Sie haben bunte Sonnenschirme aufgespannt, um gegen Entlassungen, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zu demonstrieren. Auf zwölf Schirmen stehen Buchstaben: S-C-H-U-T-Z-S-C-H-I-R-M. "Von März bis Ende Juni wurde für 330 000 Beschäftigte in München Land und Stadt Kurzarbeit beantragt und damit für knapp dreißig Prozent der Beschäftigten", ruft Simone Burger ins Megafon. Die Kreisvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB hat am Freitag zu der Kundgebung am Fuß der Bavaria auf der Theresienwiese aufgerufen, um deutlich zu machen, welche Schutzschirme auch die Münchner in der Krise brauchen. Es gehe einfach nicht, "dass Unternehmen staatliche Förderung wie das Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen und trotzdem Beschäftigte kündigen", sagt Burger.
Auf Pappschildern machen die Beschäftigten, viele von ihnen sind auch Betriebsräte oder sogar in Vorständen verschiedener Gewerkschaftsverbände, ihrer Wut Luft: "Gastronomie braucht sichere Arbeitsplätze", steht auf einem Schild. "Weg mit der Privatisierung im Gesundheitswesen" oder "Macht Schluss mit der prekären Beschäftigung in der Weiterbildung" auf anderen.
"16 400 Menschen haben in den vergangenen Wochen ihre Arbeit verloren. Viele zittern um ihren Arbeitsplatz und wissen nicht, wie es im Oktober oder November weitergeht", sagt DGB-Chefin Burger. Das Ausmaß der Corona-Krise in München ist noch nicht absehbar. Doch Experten aus dem Sozialreferat gehen davon aus, dass spätestens im Herbst die Zahl der Arbeitslosen massiv steigen wird. Bis dahin werden viele Betriebe wohl finanziell nicht mehr durchhalten können, zudem drohen wegen des abgesagten Oktoberfests Umsatzeinbußen in Milliardenhöhe.
Tim Lünnemann, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) für die Region München, kündigte am Freitag bereits Streiks in der Lebensmittelbranche an. "Wo es wirklich schmerzhaft ist, ist das Gastgewerbe", sagt Lünnemann. Er will eine Kampagne für die Münchner Innenstadt starten und fordert alle Beschäftigten zur Solidarität auf. "Nur gemeinsam geht's", rief er den Demonstranten zu und erntete dafür Applaus.
Die Folgen der Pandemie werden wohl viele Branchen hart treffen. Horst Lischka, Chef der IG Metall in München und auch im Bundesvorstand der Gewerkschaft, betont, dass die Industrie in der Krise nicht vergessen werden dürfe. Derzeit stünden in München von 140 000 Jobs in der Branche "12 000 im Feuer". Bereits im Frühjahr habe es den Automobilzulieferer Sona BLW am Frankfurter Ring getroffen, der mit 500 Mitarbeitern Insolvenz anmelden musste.
Ein Kollege Lischkas berichtet vom Münchner Flughafen, dass vom Betrieb dort "nichts mehr übrig" sei. Von den 36 000 Beschäftigten rund um den Airport seien zwei Drittel in Kurzarbeit. "Die Leute können nicht mehr und sind demnächst vom Stellenabbau betroffen". Lischka, der für die SPD von 2008 bis 2020 im Stadtrat saß, forderte die Politik auf, dafür zu sorgen, dass staatlich geförderte Kurzarbeit auch im kommenden Jahr und für einige Branchen womöglich sogar 2022 nötig sei. Er prophezeit, dass ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit in München auch Auswirkungen auf das Konsumverhalten haben werde. Die Arbeitslosen würden nicht mehr in Münchner Gaststätten gehen oder in Warenhäusern einkaufen können.
Die Münchner DGB-Chefin Simone Burger will die Kundgebung auf der Theresienwiese dafür nutzen, dass die Politik bundesweit auf die Nöte der Beschäftigten auch in München aufmerksam gemacht wird. Es sollen Porträts der Betroffenen mit ihren Forderungen an den Stadtrat, den Landtag und den Bundestag geschickt werden. Burgers Appell mit den Schirmen lautet: "Beschäftigte in der Krise nicht im Regen stehen lassen!"