Süddeutsche Zeitung

Winter-Radfahren in München:Mehr Platten durch spitzen Splitt?

Immer wieder beschweren sich Radfahrer über Pannen auf gestreuten Wegen. Doch das Baureferat beteuert, dass die Steinchen den Regeln entsprechen. Das Problem liegt woanders.

Von Andreas Schubert

So richtig zufrieden sind Fahrradfahrer offenbar nie. Jetzt, im Winter, quillt das Empörungsportal Twitter wieder über mit Fotos von schlecht geräumten Radwegen samt entsprechend gesalzener Kommentare. Und wenn doch mal ein gutes Beispiel eines sauber geräumten Radwegs dabei ist, wie ein Tweet vom Montag dieser Woche aus der Plinganserstraße in München zeigt, findet sich garantiert jemand mit einem miesen Gegenbeispiel.

Ob es stürmt oder schneit oder Blitzeis die Straßen zu Rutschbahnen macht: Viele können oder wollen aufs Radeln nicht verzichten. Die Zahl der Winterradler hat in den vergangenen Jahren derart zugenommen, dass das Baureferat den Winterdienst intensiviert hat. Weil die Radwege aber nicht gesalzen werden, bringt der Räumdienst auch Streusplitt auf - und der ist für die Radler Segen und Fluch zugleich. Einerseits ermöglicht der Splitt es überhaupt, dass einigermaßen rutschsicher geradelt werden kann. Andererseits fluchen die Radler immer dann über die städtischen Geröllheimer, wenn sie sich mal wieder einen Platten gefahren haben.

In den vergangenen Jahren kamen sogar Gerüchte auf, dass die Stadt irgendwann ihren Splitt gewechselt habe und nun schärferen Stoff auf die Wege schütte. Das bestätigt das Baureferat nicht und verweist stattdessen auf die "H BeStreu", die "Hinweise für die Beschaffung von tauenden und abstumpfenden Streustoffen für den Winterdienst". Dieses von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen erdachte Regelwerk legt fest, mit welchem Material Kommunen die Straßen streuen sollen. Bei dem im Stadtgebiet verwendeten Splitt handelt es sich um Kiesmoräne-Splitt aus Kieswerken des Münchner Umlandes. Hergestellt wird dieser, indem Kies mechanisch zur erwünschten Körnigkeit, in der Regel sind das zwei bis fünf Millimeter, zerkleinert wird.

Auf den Einsatz von Streusalz auf Radwegen verzichtet München aus ökologischen Gründen, damit das sogenannte Straßenbegleitgrün, vulgo Bäume, nicht beschädigt wird. Auf 70 Prozent der baulichen Radwege läuft das Schmelzwasser in den Baumgraben, das Salz würde mit versickern. Es wird deshalb nur im Hauptstraßennetz, auf Straßen mit Buslinienverkehr und an Gefahrenstellen eingesetzt. Hierbei verwendet das Baureferat Sole, also eine Salz-Wasserlösung.

Splitt im Parkett ist auch nicht beliebt

Die Mengen an Streugut, die jede Saison anfallen, unterscheiden sich je nach Wetterlage. Im Winter 2020/2021 landeten in München bei 22 Schneefall- und 92 Frosttagen insgesamt 14 000 Tonnen Streusalz und 17 000 Tonnen Splitt auf den Straßen. Im Winter 2021/2022 gab es hingegen nur 17 Schnee- und 89 Frosttage mit einem Verbrauch von 7400 Tonnen Salz und 9000 Tonnen Splitt.

Der Splitt von den Rad- und Fußwegen, der gerne auch mittels Schuhsohlen in Wohnungen getragen wird und deshalb bei Besitzern von Parkettböden ebenso nur mäßig beliebt ist, wird in längeren Wärmephasen aufgekehrt und recycelt. Bis zum Frühjahr bleibt er, wie einst üblich, nicht mehr liegen. Für den Winterdienst eignet sich der Recyclingsplitt aber nicht mehr. Durch wochenlanges Liegen auf der Straße verliert er seine Kantigkeit und taugt dann vor allem noch als Baumaterial.

Ohne Kante kein Grip: Erfahrene Radler wissen, wie mit dem winterlichen Splitt umgegangen werden muss. Der ADFC München etwa rät, immer auf das Reifenmaterial zu achten. Neue oder gar pannensichere Mäntel beugten platten Reifen vor. Und wer trotzdem mal einen Schlauch flicken muss, sollte immer genau das Innere des Mantels nach Steinchen abtasten, sonst kommt der nächste Platten schon bei der nächsten Fahrt. Am besten hilft nach Ansicht des Fahrradklubs aber eines: Den Splitt nach dem Tauen schnellstmöglich wieder abzukehren. Das dauere in München noch immer viel zu lang.

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