Süddeutsche Zeitung

Winter-Tollwood:Dicht wie nie

Zum Festival auf die Theresienwiese strömen rekordverdächtig viele Menschen - das stellt die Sicherheitskräfte vor besondere Herausforderungen.

Von Thomas Becker

Donnerstagabend, ein Grad, leichter Nieselregen. Einer dieser Tage, an denen es gefühlt schon um kurz nach vier dunkel wird. Was man nicht alles anstellen kann an so einem Schmuddel-Dezemberabend! Am Gärtnerplatz wird der "Nussknacker" gegeben, im Volkstheater "Die Physiker", in der Milla spielen die "Dives" Female Garage Punk, im Gasteig zeigt jemand Dschungel-Bilder aus Papua-Neuguinea. Herrlich, diese Vielfalt! Aber was machen viele Münchner? Sie streben dorthin, wo es auch viele andere Münchner hinzieht: auf den Weihnachtsmarkt. Oder besser noch: aufs Tollwood. Weil man da auch noch shoppen kann - falls man in dem Gedränge überhaupt etwas findet.

"Wenn die stade Zeit vorbei is', werd's a wieda ruhiga", bemerkte einst Karl Valentin treffend. Dabei kannte der Tollwood noch gar nicht. Seit 1991, drei Jahre nach dem Start des Sommerfestivals im Olympiagelände, gibt es den Winterableger dieser etwas anderen Multi-Kulti-Veranstaltung, die Kritiker mittlerweile als die Fortsetzung des Oktoberfests nur ohne Achterbahn sehen. Seit dem Jahr 2000 werden die Buden und Zeltstädte im nördlichen Teil der Theresienwiese aufgebaut, was in Sicherheitsfragen ein Segen ist, dazu später mehr.

In diesem Jahr dauert das bunte Treiben vom 26. November bis zum 31. Dezember, und am Ende werden wohl wieder rund 600 000 Menschen da gewesen sein. Francisco Tejadh glaubt sogar, dass es in diesem Jahr so viele sind wie nie zuvor. Er arbeitet im Havanna Club, einer der ersten Bar-Buden, wenn man das Gelände vom U-Bahnhof Theresienwiese aus betritt. "Am Samstag und am Freitagabend ist es am vollsten", erzählt Tejadh, "unter der Woche wird es so gegen 18, 19 Uhr voll, wenn die Leute Feierabend haben." Eine Einschätzung, die viele Standbesitzer teilen, Judith Schwertfeger etwa, die im "Bazar" Berner Rösti verkauft: "Am Samstag kommen sie hier nur so durch", sagt sie und legt die Arme eng an den Körper, "von morgens bis abends geht das so zu, am Freitagabend auch schon." Anstrengend sei das Gedränge und Geschiebe schon, aber halt auch gut fürs Geschäft. Aber muss man sich in diesem Massenauflauf nicht Gedanken um die Sicherheit machen? Man muss.

"Zuständig für die Sicherheit ist bei jedem Markt der jeweilige Veranstalter", erklärt Johannes Mayer, Sprecher des Kreisverwaltungsreferats (KVR), "darüber hinaus ist das KVR für alle Märkte in München als Genehmigungs- beziehungsweise Sicherheitsbehörde zuständig." Das Sicherheitskonzept des Veranstalters werde in Sachen Brandschutz, Evakuierung und Rettungswege regelmäßig von diesem evaluiert und fortgeschrieben, so Mayer: "Tollwood findet auf dem Oktoberfestgelände statt; insofern besteht mit den dortigen Hochsicherheitspollern eine sehr gute Absicherung gegen Angriffe wie in Berlin."

Wohl wahr: Rings um die Theresienwiese leuchten sämtliche Poller in weihnachtlichem Rot: keine Durchfahrt! Nur am Esperantoplatz gegenüber der Bavaria sind fünf Poller im Boden geblieben: Parkplatzzufahrt für den Christbaumverkauf. An dessen Ende wurden jedoch zusätzlich hüfthohe Betonelemente aufgestellt: keine Chance für Terroristen auf vier Rädern.

Wie gelingt der Spagat, das Gelände bestmöglichst zu sichern, ohne einen stimmungstötenden Hochsicherheitstrakt daraus zu machen? "Tollwood hat in den vergangenen Jahren - insbesondere seit den Anschlägen von Paris 2015 und dem Amoklauf im OEZ 2016 - die Sicherheitsvorkehrungen für das Festival in Absprache mit dem KVR, der Branddirektion und dem Polizeipräsidium kontinuierlich erhöht", erklärt Tollwood-Sprecherin Christiane Stenzel. So soll sichergestellt werden, dass man auf den Ernstfall, wie etwa die Räumung des Geländes, bestmöglich vorbereitet ist, und die Abläufe exakt definiert sind. Laut Stenzel wurde auch der private Sicherheitsdienst in den vergangenen Jahren verstärkt. Angaben zur Zahl der Security-Kräfte kann sie jedoch nicht machen. Beim Oktoberfest sind in der Regel 450 und zu Spitzenzeiten gar 600 Security-Mitarbeiter am Werk, "aber mit dem Oktoberfest können sie gar nichts vergleichen", sagt KVR-Mann Mayer.

Bei Tollwood überwachen Ordner während, aber auch außerhalb der Öffnungszeiten das eingezäunte Gelände sowie die Zugänge und die Zufahrt. Der Zutritt ist für Besucher nur über vier Eingänge möglich. "Dort ist zu den Festivalöffnungszeiten eine Eingangsstreife positioniert, die stichprobenartig Taschenkontrollen durchführt", erklärt Stenzel. Auch am Spiegelzelt sowie bei den Podiumsdiskussionen und Kabarett-Veranstaltungen im Weltsalon gebe es stichprobenartige Taschenkontrollen. Alle Besucher dieser Veranstaltungen werden gebeten, auf größere Taschen und Rucksäcke zu verzichten und alle Gegenstände, die nicht unbedingt erforderlich sind, zu Hause zu lassen. Um die Kontrollen am Einlass zu beschleunigen, wird empfohlen, die Mitnahme auf kleine Handtaschen (maximal DIN A4) zu beschränken. Stenzel weiter: "Die Türen an den Längsseiten der Zelte sind auf Notausgänge und die Warenanlieferung beschränkt. Sowohl das Tollwood-Team als auch die Aussteller wurden vor Festivalbeginn sensibilisiert und zur Wachsamkeit aufgerufen."

Vor drei Jahren hatte man das Sommerfestival aus Sicherheitsgründen abgebrochen und evakuiert - nach dem Terroranschlag im benachbarten Olympia-Einkaufszentrum. Seitdem gibt es zusätzlich zu den Lautsprecheranlagen in den Zelten eine Beschallungsanlage auf dem Freigelände. Im Ernstfall können so alle Besucher unmittelbar und gleichzeitig beispielsweise über eine Räumung informiert werden.

Auf dem Winter-Tollwood 2019 geht unmittelbare Gefahr höchstens von den teichgroßen Pfützen aus, die sich hier in schöner Tollwoodtradition schnell bilden. Oder vom quengeligen Nachwuchs, der sich lautstark, ausdauernd, aber durchaus zu Recht beschwert, dass es auf diesem Weihnachtsmarkt weder eine Krippe noch ein Kinderkarrussell gibt. Dafür haben sie hier einen waschechten "Hexenkessel", vor dem eine Security-Kraft an diesem Abend allerdings verschenkt wäre, so harmlos gemütlich wie es da drinnen zugeht. Auf der Bühne stehen die "Waikiki Sundowner" und geben Old Country-Swing-Blues zum Besten - ein Fall für die Engtanztruppe. Was man nicht alles anstellen kann an so einem verregneten Schmuddel-Abend!

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Quelle:
SZ vom 14.12.2019
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