Soziales:Wie eine Pfarrerin eine einzigartige Altenheim-Seelsorge aufbaut

Soziales: Edith Öxler macht das, was im Pflegealltag oft vernachlässigt wird: Sie nimmt sich Zeit für Gespräche.

Edith Öxler macht das, was im Pflegealltag oft vernachlässigt wird: Sie nimmt sich Zeit für Gespräche.

(Foto: Catherina Hess)

Sie will Menschen in schwierigen Lebenssituationen nicht allein lassen. Edith Öxler widmet sich dem "Kerngeschäft von Kirchen", sich um Kranke und Alte zu kümmern.

Von Gerhard Fischer

Karikaturisten mögen die neue Große Koalition. Merkel und ihre Raute, der bullige Peter Altmaier, die CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer mit Kurzhaar-Frisur und Hornbrille, Olaf Scholz ohne Frisur - viele sind gut zu zeichnen. Und dann gibt es auch noch die Groko-Pläne, zum Beispiel diese 8000 neuen Pflegekräfte: Das reicht ja hinten und vorne nicht. Ein Karikaturist hat dazu neulich einen halben Menschen gezeichnet, der einem Patienten im Heim die Hand reicht und sagt: "Guten Tag, ich bin Ihr neuer Pfleger."

Edith Öxler sitzt in der Lobby des "Kompetenzzentrums Demenz" in der Landsberger Straße. Sie kennt die Karikatur nicht, aber was sie eben sagt, klingt wie die Verbalisierung der Zeichnung: "Es gibt alleine in München 119 Pflegeeinrichtungen - soll es dann eine Viertel-Stelle für jede geben?"

Die Pfarrerin Edith Öxler ist eine schmächtige, unprätentiöse Frau, die wirkt, als habe sie sehr viel Energie. Und sehr viel guten Willen. Öxler ist die Beauftragte für Altenheimseelsorge in der evangelischen Kirche - sie macht das, was im Pflegealltag oft vernachlässigt wird: Sie nimmt sich Zeit für Gespräche oder Spaziergänge. Und sie begleitet Sterbende, berät Angehörige, schult Ehrenamtliche und hilft Kirchengemeinden beim Ausbau der Altenheimseelsorge.

Jetzt hat Edith Öxler auch noch ein Buch geschrieben, das im März erscheinen wird. Es heißt "Spiritualität am Ende des Lebens". Öxler sagt, das Buch richte sich an Angehörige und Pfleger, um ihnen zu helfen, wie sie "spirituelle Bedürfnisse von Sterbenden erkennen und damit besser umgehen können".

Öxler beugt sich ein wenig vor, sie will gleich am Beginn des Gesprächs etwas klarstellen: "Spiritualität ist nicht deckungsgleich mit Religion." Bei der Spiritualität gehe es um existenzielle Fragen wie: Wer bin ich und wozu lebe ich? Es gehe um Haltung, Respekt und Würde - und um die Bedürfnisse der alten Menschen, die nicht nur Nummern sein, sondern erkannt werden wollen. In ihrem Buch zitiert Öxler den Theologen Traugott Roser, der sagt, Spiritualität umfasse im Palliativ-Kontext alles, was dem Patienten wichtig sei.

Die alten Menschen sollen sich umsorgt fühlen

Öxler hat sich auf ihrem Stuhl wieder nach hinten fallen lassen. "Ich will auf die alten Menschen eingehen, damit sie wieder gerne reden, auch über ihr Innerstes", sagt sie. "Wenn sie erzählen, sollen sie dafür nicht beurteilt oder verurteilt werden." Es sei erstaunlich, wie Bewohner, die eigentlich ihre Sprachfähigkeit verloren haben, wieder kurze Geschichten erzählen könnten.

Eine Gruppe von alten Menschen zieht durch die Lobby, viele zu Fuß, einige mit Rollator, manche im Rollstuhl. Sie gehen zum Singen in den Gottesdienst-Raum. Eine Frau drückt einem Gast, der von draußen herein kommt, die Hand und sagt: "Kalte Hände und heißes Herz - die Liebe ewig währt." Öxler lächelt und blickt der Gruppe hinterher. "Beim gemeinsamen Singen geht es ums Dazugehören zur Menschengemeinschaft", sagt sie.

Edith Öxler, 52, ist im Donaumoos aufgewachsen, nicht weit von Neuburg entfernt. Sie studierte Evangelische Theologie, machte ihr Vikariat, wurde Pfarrerin und ging danach ein Jahr nach Cleveland in Ohio - für eine Seelsorgeausbildung. Später machte sie auch noch eine Schulung zur Gestalt-Therapeutin. "Dieser ganzheitliche Ansatz hilft gerade im Kontakt mit demenziell veränderten Menschen", sagt sie.

2011 begann sie, die Altenheimseelsorge im Dekanatsbezirk München aufzubauen. Es sei schließlich das "Kerngeschäft von Kirchen, sich um Kranke und Alte zu kümmern." Öxler sagt, sie finde es schlimm, wenn Menschen in schwierigen Lebenssituationen allein gelassen würden. "Ich will dazu beitragen, dass sie gesehen, gehört und ernst genommen werden, auch wenn sie für andere unbequem und schwierig sind."

Pläne funktionieren in der Seelsorge nicht

Edith Öxler hat sich Verstärkung geholt. Fünf Pfarrer und mehr als 20 ausgebildete Seelsorger begleiten alte Menschen in mehr als 30 Heimen in der Region München. "Mein Ziel ist, dass möglichst alle Heime in München einen Seelsorger bekommen", sagt sie. Die Dekanatssynode gibt Geld für die Altenheim-Seelsorge, das unter anderem über das Kirchgeld eingenommen wird. "Ich freue mich sehr darüber", sagt Edith Öxler. "München ist da einmalig in Bayern - Kollegen in anderen Dekanatsbezirken können davon nur träumen."

Auch die Stiftung "Wort und Tat" unterstütze ihre Arbeit, etwa beim kostenfreien Friedhofsfahrdienst. Alte Menschen können anrufen, werden von zu Hause abgeholt und bis zum Grab begleitet. "Wir sind keine Taxler", sagt Öxler. "Der Schwerpunkt liegt auf den menschlichen Kontakten." Etwa 100 Leute nehmen den Dienst in Anspruch.

Edith Öxler geht in den Wohnbereich in den dritten Stock hinauf. Sie muss kurz etwas erledigen. Derweil sitzt die Gruppe, die vorhin durch die Lobby gezogen ist, im Gottesdienst-Raum und singt. Der Betreuer Thomas Lessner spielt Gitarre. "Wir singen jetzt ein Lied", sagt er. "Es macht einen schönen Teint bei Frauen." Eine Frau antwortet: "Vielen Dank!" Lessner beginnt mit "Drei Chinesen mit dem Kontrabass", es folgt "Kein schöner Land in dieser Zeit". Sie singen ältere, eingängige Lieder. "Das geht auswendig und kennen viele", sagt Lessner. Die Leute summen mit, singen, klatschen oder wippen, eine Frau schlägt im Takt auf ihren Rollator.

Ein Mann im Rollstuhl versucht auszubüxen, er rollt zur Tür, will sie öffnen. Lessner geht ihm hinterher, er hört nicht auf zu singen und zu spielen. Er hält den Mann zurück, bringt ihn wieder in die Mitte der anderen. Dann singen sie "Muss i denn zum Städtele hinaus".

Edith Öxler kommt wieder herunter in die Lobby. Auf dem Weg passiert sie Bilder an der Wand: Porträtzeichnungen, Landschaftsbilder. "Das haben unsere Bewohner gemalt", sagt sie. Es sind sehr schöne Bilder.

Die Arbeit ist ehrlich - weil es die alten Leute auch sind

Öxler arbeitet zehn Wochenstunden im Kompetenzzentrum Demenz in der Landsberger Straße, in dem 120 Menschen wohnen. "Das ist das operative Geschäft meiner Tätigkeit", sagt sie, nachdem sie sich wieder auf den Stuhl in der Lobby gesetzt hat. "Ich gehe durchs Haus und sehe, was mir begegnet - Pläne funktionieren in der Seelsorge nicht." Neulich stand sie am Eingang, und eine Schwester sagte zu ihr, eine Frau liege im Sterben. Die Pfarrerin kümmerte sich um sie; gab ihr den Segen.

Ein paar alte Menschen und ihre Betreuer gehen vorbei. Öxler blickt ihnen hinterher. "Wenn jemand dement wird, bleibt der Wesenskern des Charakters zwar erhalten", sagt sie dann, "aber manche werden schon sanfter oder aggressiver als sie vorher waren." Anteile, die unterdrückt oder kontrolliert wurden, kämen heraus. "Sie reißen sich nicht mehr zusammen, es verstellt sich keiner", sagt sie. "Es ist ehrlich - deshalb arbeite ich hier so gerne."

Das könnte ein schönes Schlusswort sein. Aber Edith Öxler ist noch nicht fertig. "Wenn ich drei Wünsche frei hätte...", sagt sie, und es geht natürlich um die Situation der Pflege in Deutschland. Wenn sie also drei Wünsche frei hätte, dann hätte sie gerne eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte und ein besseres Image für Hochaltrige, deren Leben nicht zu Ende sei und die durchaus noch was zu lachen hätten.

Und drittens?

"Das Thema Pflege und alte Menschen kommt immer in Sonntagsreden vor", sagt sie, "aber es sollte von den gesellschaftlich wichtigen Kreisen auch von Montag bis Freitag ernst genommen werden." Sie überlegt kurz, dann sagt sie: "Wir gestalten damit unsere eigene Zukunft."

Auch das könnte ein schönes Schlusswort sein. Aber einen Tag später kommt noch eine Mail von ihr: "Die Einnahmen meines Buches gehen natürlich in die Altenheim-Pflegetöpfe", schreibt Edith Öxler. "Vielleicht kann ich davon das Honorar für einen Seelsorge-Begleiter bestreiten."

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