München:Wie die Stadt sich in der NS-Zeit profilieren wollte

Französische Zwangsarbeiter bei Gleisarbeiten in München 1939

Französische Zwangsarbeiter bei Gleisarbeiten für die Trambahn.

(Foto: SZ-Photo)

München bereicherte sich am Eigentum jüdischer Bürger und sogar die städtischen Bäder grenzten Juden aus. Drei neue Bücher beleuchten Münchens unrühmliche Rolle.

Von Wolfgang Görl, Martin Bernstein und Jakob Wetzel

Am 18. August 1933 meldeten die Münchner Neuesten Nachrichten: "Der Städtische Nachrichtendienst teilt mit: Durch Verfügung nach Paragraf 17 der Gemeindeordnung ist mit sofortiger Wirksamkeit Personen nicht arischer Abstammung der Besuch städtischer Badeanstalten mit Ausnahme der Brause-, Wannen- und medizinischer Einzelbäder untersagt!" Öffentliche Bäder waren Juden fortan verschlossen.

Am Ungererbad etwa verkündete ein Schild "Kein Eintritt für Hunde und Juden" - eine zynische Formulierung, welche die rassistisch motivierte Stigmatisierung der Juden als minderwertige Menschen augenscheinlich machen sollte. Von Oktober 1941 an war es den Münchner Juden auch verboten, öffentliche Nahverkehrsmittel zu nutzen. Ähnliche Verbote erließen die Nazis für Zwangsarbeiter aus Polen und der Sowjetunion.

Nachzulesen sind die Befunde über diese Art rassistischer Verfolgung in einer Dissertation, die Mathias Irlinger unter dem Titel "Die Versorgung der 'Hauptstadt der Bewegung'" an der Ludwig-Maximilians-Universität verfasst hat und die im Frühjahr 2018 publiziert wird. Irlinger geht der Frage nach, "wie die Münchner Stadtverwaltung im 'Dritten Reich' durch ihre Infrastrukturangebote die Bindekräfte der Bevölkerung stärkte und wie sie dabei die technischen Systeme als Mittel der Herrschaftsdurchsetzung nutzte".

Auf den ersten Blick scheinen städtische Versorgungsbetriebe ideologiefreie Zonen zu sein, in denen allein technische oder verwaltungstechnische Aufgaben zu bewältigen sind. Dass diese Sicht der Dinge nicht zutrifft, und schon gar nicht im nationalsozialistischen Staat, weist Irlinger in seiner Studie akribisch nach. Demnach setzte die NS-Stadtführung, an deren Spitze Oberbürgermeister Karl Fiehler stand, "kommunale Infrastrukturen bewusst als Mittel der Herrschaftsstabilisierung ein", und darüber hinaus dienten sie "hochgradig ideologischen Zielsetzungen".

Um ihre Herrschaft abzusichern, vertrauten die Nazis nicht nur auf die gewaltsame Unterdrückung oppositioneller Kräfte und andere Instrumente politischen Terrors. "Die Leistungsangebote an die Bevölkerung", so Irlinger, "halfen mit, dass sich das nationalsozialistische Regime lange auf die Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung stützen konnte."

Die Infrastruktur wurde immer aufrecht erhalten

Selbst in den letzten Kriegsjahren, als die alliierten Bomber Städte wie München in Schutt und Asche legten, setzte die Verwaltung alles daran, die Versorgungssysteme in Gang zu halten - aus gutem Grund, wie Fiehler noch am 5. April 1945 zu verstehen gab. Die Zerschlagung der Infrastruktur würde "das ganze Gefüge des Staates zum Einsturz bringen". Anders gesagt: Wenn kein Trinkwasser mehr fließt, die Verkehrssysteme zusammenbrechen, die Lichter ausgehen, hat das Regime jeglichen Kredit verspielt.

Den Nazis kam zugute, dass München in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein modernes urbanes Versorgungssystem geschaffen hatte. Gas- und Elektrizitätswerke wurden gebaut, die Versorgung mit frischem Wasser gesichert, man fand neue Wege der Abwasser- und Müllentsorgung, auch die Trambahn kam. In den 1920er-Jahren investierte die Stadt erneut große Summe, um die Infrastruktur auf den neuesten Stand zu bringen. Die Nazis setzten sich ins gemachte Nest, taten aber so, als wären sie es gewesen, die das Nest gebaut hätten.

Tatsächlich blieben viele Projekte liegen, weil Hitler und seine Paladine großspurige Umbaupläne für München hatten. So hielt man, konstatiert Irlinger, "das Bild einer tatkräftigen Politik nach außen aufrecht, während zugleich zahlreiche notwendige Maßnahmen zugunsten von Großplanungen ausblieben". Dass es erhebliche Missstände gab, entging den Münchnern nicht. Es hagelte Beschwerden, sodass Fiehler bei einer geheimen Sitzung bedauerte, dass man die "Meckerer" nicht ins Konzentrationslager sperren könne.

Die soziale Kontrolle wurde oft unterwandert

Diente die kommunale Infrastruktur einerseits der Bindung der Bevölkerung an das Regime, so fungierte sie andererseits als Mittel der Ausgrenzung. Wer keine Bäder mehr betreten, keine Trambahnen nutzen durfte, war isoliert, ja stigmatisiert. "Durch den öffentlich sichtbaren Ausschluss bot das nationalsozialistische Regime scheinbar eindeutige Freund-Feind-Schemata an, die wieder als Identifikationsangebot an die 'Volksgemeinschaft' funktionierten."

Um die Ausgrenzung der als "fremdrassig" gebrandmarkten Menschen zu sichern, setzten die Nazis neben Repressalien auch auf die soziale Kontrolle durch "Volksgenossinnen und Volksgenossen". Das funktionierte nicht immer. Vereinzelt gelang es Juden oder Zwangsarbeitern, trotz Verbots eine Badeanstalt zu besuchen oder mit der Tram zu fahren. Wurden sie erwischt, drohten drakonische Strafen.

Mathias Irlinger: Die Versorgung der 'Hauptstadt der Bewegung'. Erscheint voraussichtlich im Mai 2018 im Wallstein-Verlag.

Feste fürs Image

Es war ein Sieg auf der ganzen Linie für die Braunhemden. Das auf vier Tage angelegte Treffen des Katholischen Gesellenvereins (KGV) endete im Juni 1933 im Chaos, mit gewaltsamen Übergriffen auf Mitglieder des Kolpingvereins und mit dem fast schon fluchtartigen Rückzug des Münchner Erzbischofs in dessen private Räume. Die SA hatte demonstriert, wem - und wem allein - die Münchner Straßen gehören sollten.

Die erste öffentliche Großveranstaltung eines Münchner Vereins nach der Machtübernahme Hitlers, wiewohl bereits zuvor genehmigt, endete als Machtdemonstration des Regimes. Im "Hemdenkrieg" setzten sich, auch dank der erklärten Untätigkeit der Schutzpolizei, die braunen Hemden der SA gegen die orange-braunen Kolpinghemden durch. Die Nationalsozialisten hatten ihr Ziel erreicht, wie Beatrice Wichmann schreibt: "jede Form öffentlichen symbolischen Handelns durch andere gesellschaftliche Gruppen (...) zu verhindern und den eigenen ausschließlichen Herrschaftsanspruch zu unterstreichen".

Repression bis hin zur Gewalt - so stellt man sich, wenn überhaupt, eine "Imagepolitik" des NS-Regimes vor. Es ist das große Verdienst von Margit Szöllösi-Janze unter Mitarbeit von Juliane Hornung herausgegebenen Sammelbands zur "Imagepolitik der ,Hauptstadt der Bewegung'", diese Erwartungshaltung vielfältig zu brechen. Unterdrückung war eben nur eine Seite der Medaille. "Hand in Hand mit scharfen Schnitten der Exklusion, mit dem Ausschluss von politisch, ,rassisch', weltanschaulich oder sozial ,unerwünschten' Münchnern aus der Stadtgesellschaft, Hand in Hand mit Stigmatisierung, Ausplünderung, Verfolgung und schließlich Vernichtung", schreibt die Herausgeberin, "gingen weit reichende Angebote der Integration und Partizipation an konforme Gruppen der Stadtbevölkerung."

Mit anderen Worten: Den Münchnern wurde das Mitmachen leicht gemacht - und viele machten gern mit. So wie auch die Kommune gern mitmachte. Von der früher oft behaupteten Konfrontation mit Staat und Partei bleibt da wenig übrig.

Deutlich wird das etwa an den beiden Titeln, mit denen München sich schmückte. "Hauptstadt der Bewegung" - diese Bezeichnung wurde nicht etwa von Adolf Hitler "verliehen" (der Diktator zog erst 1935 ziemlich formlos nach), sondern vom Münchner Stadtrat eingeführt. "Hauptstadt der deutschen Kunst" dagegen ist eine Erfindung Hitlers. Die Stadt wiederum übernahm dieses Image aber nur zu gern und ließ sich das Millionenbeträge kosten.

Eine imagepolitische Wettbewerbsspirale

Auf der anderen Seite nämlich kam ja auch etwas herein: Die Große Deutsche Kunstausstellung frequentierten in den Jahren 1937 bis 1939 durchschnittlich knapp 480 000 Besucher, 1942 wurde die Rekordzahl von 850 000 erreicht. Jeder vierte Besucher kaufte einen Katalog, bis zu 450 000 Kunstpostkarten wurden abgesetzt. Und der "Führer" erstand im Rekordjahr Kunstwerke im Wert von 1,3 Millionen Reichsmark.

München befand sich mit anderen deutschen Städten in einer Art imagepolitischer Wettbewerbsspirale. "Wir müssen ein Fest nach dem anderen jagen, damit der Barometerstand nicht sinkt", forderte der Ratsherr Christian Weber im Oktober 1935. Dafür übernahmen die Nationalsozialisten auch traditionelle Formen des Feierns, etwa die 1829 eingeführte Verleihung von Arbeiter- und Dienstbotenmedaillen. Nahezu unmerklich wurde der Festakt mit neuen Inhalten gefüllt. Aus der individuellen Ehrung wurde ein Apotheose von "Volksgemeinschaft" und "Gefolgschaft". Am Ende waren die geehrten Arbeiter und Hausangestellten Kämpfer an der "Heimatfront".

Margit Szöllösi-Janze (Hg.): München im Nationalsozialismus. Band 4. Imagepolitik der "Hauptstadt der Bewegung", Göttingen 2017, 284 Seiten

"Braune Kassen" in der Stadt

Albert Wurm hatte ganze Arbeit geleistet. Der Leiter des Pfandleihamts organisierte nach den Pogromen im November 1938 mit seinen Mitarbeitern maßgeblich den Raub von Gold, Silber, Edelsteinen und Perlen aus dem Besitz jüdischer Münchner. Und dabei ging er so akribisch vor, dass ihm Münchens Bürgermeister Karl Fiehler ein Sonderlob aussprach: Er habe sich über seine Dienstpflichten hinaus "in uneigennütziger Weise" eingesetzt. Und weil das gar so uneigennützig war, erhielt Wurm unter anderem ein teures Silberservice. Es war Silber, das Juden gehört hatte.

Fiehler hatte allen Grund, sich erkenntlich zu zeigen, denn auch die Stadt München hatte profitiert. Zwar ging das gesammelte Gold ans Reich, das Silber aber blieb dort, und am Weiterverkauf der übrigen Beute verdiente die Stadt mit einer Provision von zehn Prozent, zudem besaß sie ein Vorkaufsrecht. Einige Mitarbeiter der Verwaltung freuten sich in der Folge über besondere Präsente. Zum Dienstjubiläum erhielten sie etwa Silbermedaillen aus eingeschmolzenem "Judensilber".

Diese Einblicke in die perverse Welt der Schreibtischtäter sind Paul-Moritz Rabe zu verdanken: Der junge Historiker hat Geschichten wie diese in seiner mehrfach preisgekrönten Doktorarbeit zusammengetragen, die jetzt als Buch erschienen ist. Es war ein Forschungsprojekt, das erst einmal "kein Vergnügen" war, wie Rabe einräumt - nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen der Art der Quellen. Rabe hat Haushaltspläne gelesen, Wälzer mit vielen Hundert Seiten und Hunderttausenden Positionen, untergliedert in Einzelpläne und Teilziffern, aufgeteilt auf Sonder-, Neben-, Betriebs- und andere Etats. Nur wenige Historiker haben sich damit bislang befasst, auch wenn die Etats griffbereit in Archiven und Bibliotheken liegen.

So hat Rabe Pionierarbeit geleistet, und die Lektüre durchgehalten und den Überblick bewahrt zu haben, mag für sich schon herausfordernd gewesen sein. Rabes eigentliche Kunst aber besteht darin, in all diesen Zahlen Entscheidungen greifbar zu machen und Geschichten zu erzählen.

Dabei verraten alleine die Antworten auf die Fragen, woher das Geld der Stadt kam und wofür es wieder ausgegeben wurde, viel über München im Nazi-Reich. Rabe beleuchtet etwa, wie sich die Stadt Immobilien sicherte, die Juden gehörten, oder wie sie fällige Überweisungen an jüdische Bürger einbehielt und auf ein eigenes "Judenkonto" überwies, von dem das Geld schließlich ins Stadtsäckel floss. Er zeichnet nach, wie die Stadt neue Steuern erhob, die wiederum vor allem Juden trafen, oder wie sie auch deshalb die Eingemeindungen insbesondere im Westen vorantrieb, weil sie auf höhere Steuereinnahmen setzte.

München finanzierte Propagandaveranstaltungen

An der Sozialhilfe im vermeintlichen "Volksstaat" sparte die Stadt hingegen, damit mehr Geld in die Kriegswirtschaft fließen konnte. Wofür die Stadt ihr Geld ausgab, ist überhaupt aufschlussreich. Hunderttausende Reichsmark kostete es etwa, jedem frisch getrauten Ehepaar ein Exemplar von Hitlers "Mein Kampf" zu schenken; andere Kommunen sparten sich dieses Geld.

München, die "Hauptstadt der Bewegung", finanzierte hingegen zusätzlich diverse Propagandaveranstaltungen. Fast 50 Millionen Reichsmark steckte die Stadt alleine in die gigantomanischen Umbaupläne der Nazis für München. Und die Stadtverwaltung betrieb ihre eigene Günstlingswirtschaft, versah etwa NSDAP-Kader mit Geschenken und Steuervergünstigungen, veruntreute also Geld der Bürger.

Dabei hielt sie im Etat bis 1944 die schwarze Null, nicht zuletzt durch buchhalterische Tricks. Denn nach den Verwerfungen der Weltwirtschaftskrise musste ein Eindruck unbedingt aufrechterhalten werden: Im Nazi-Staat herrschten nun wieder Recht und Ordnung.

Paul-Moritz Rabe: Die Stadt und das Geld. Haushalt und Herrschaft im nationalsozialistischen München, Göttingen 2017, 400 Seiten

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