Süddeutsche Zeitung

München:Wie das Radfahren in der Stadt sicherer werden soll

  • Fast jeder zweite Schwerverletzte bei einem Verkehrsunfall war im vergangenen Jahr ein Radfahrer.
  • Polizei und Kreisverwaltungsreferat wollen besonders heikle Straßen und Kreuzungen deshalb sicherer machen.
  • Dazu sollen eine grüne Welle für Radfahrer und spezielle Vorfahrtregelungen getestet werden.

Von Andreas Schubert

Dass die Radler in München immer mehr werden, verwundert nicht: Das Rad ist ein Verkehrsmittel, mit dem man einigermaßen verlässlich vorwärts kommt, während sich auf den Straßen die Autos stauen. Es verpestet die Luft nicht und die Kosten halten sich in Grenzen. Und Bewegung, schon klar, ist überdies gesund.

Doch dass die Zahl der Radfahrer jedes Jahr steigt, merkt auch die Münchner Polizei. "Jeder dritte Verkehrsteilnehmer, der im letzten Jahr in München bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde, war mit dem Fahrrad unterwegs", sagt Polizeivizepräsident Werner Feiler. "Bei den Schwerverletzten war sogar beinahe jeder zweite ein Radfahrer."

Zur Statistik: Die Zahl der Radunfälle ist im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen, von 2542 auf 2506. 214 Radler wurden dabei schwer verletzt, drei kamen ums Leben. Bei 51,6 Prozent dieser Unfälle trugen Radler die Hauptschuld. Sie hatten die Vorfahrt missachtet, waren als "Geisterradler" entgegen der Fahrtrichtung oder über rote Ampeln gefahren. Wenn Autofahrer schuld waren, hatten sie entweder Fahrradfahrer beim Öffnen der Autotüren oder beim Rechtsabbiegen übersehen.

Letzteres ist ein besonders heikles Thema. Die Polizei hat dazu eigens in einer Online-Umfrage eruiert, wo es in der Stadt am häufigsten zu brenzligen Situationen kommt. Besonders unfallträchtig ist etwa die Kreuzung der Berg-am-Laim-Straße zum Leuchtenbergring, wo 2016 vier Radunfälle passiert sind, die südliche Lindwurmstraße/Ecke Poccistraße, wo es zweimal gekracht hat, oder die Donnersbergerbrücke/Ecke Arnulfstraße. Hier war im Jahr 2015 ein Radler von einem Lastwagen beim Abbiegen übersehen worden, er starb bei dem Unfall.

Die drei genannten Stellen sind in der Umfrage am häufigsten angegeben worden. Insgesamt hat die Polizei eine Liste mit 15 Brennpunkten erstellt (siehe Grafik), die seit Montag zwei Wochen lang verstärkt überwacht werden. Die Beamten wollen Autofahrer vor allem auf ihre Fehler beim Abbiegen aufmerksam machen. Dazu gehört laut Polizei, dass Kraftfahrer oft nicht rechtzeitig blinken und den Blick über die rechte Schulter vergessen.

Rücksicht im Straßenverkehr

Außerdem sollen sie darauf hingewiesen werden, dass sich die Rechtslage für Radler seit Januar geändert hat. Für sie gelten nun dieselben Ampeln wie für die Autofahrer, sofern es keine gesonderte Radampel gibt. Wenn also Fußgänger schon Rot haben und Autos Grün, dann dürfen die Radler weiterfahren.

Wie viele Fahrräder es in München gibt, dazu gibt es keine Statistik. Bei mehr als 1,5 Millionen Einwohnern dürfte es aber mehr Räder geben als Autos, von denen rund 715 000 in München angemeldet sind. Feiler appelliert deshalb an alle Verkehrsteilnehmer, sich rücksichtsvoll zu verhalten.

Radfahrern rät er insbesondere, auch mal auf ihre Vorfahrt zu verzichten, wenn sie nicht sicher seien, ob der Auto- oder Lastwagenfahrer sie auch wirklich gesehen hat. Besonders gefährlich ist der tote Winkel beim Abbiegen. Im vergangenen Jahr starben eine Radfahrerin, zwei Fußgängerinnen und eine Inlineskaterin, weil sie übersehen worden waren.

Auch dem Kreisverwaltungsreferat (KVR) ist die Gefahrenlage durchaus bewusst. Wie KVR-Chef Thomas Böhle sagt, werde seine Behörde zusammen mit der Polizei in der nächsten Zeit die in der Online-Umfrage genannten Brennpunkte überprüfen und überlegen, was man dort verbessern kann. An einigen Kreuzungen ist das KVR bereits tätig geworden. So sind zum Beispiel an den Kreuzungen Hanauer Straße/Lassallestraße, Ludwigsbrücke/Steinsdorfstraße oder Moosacher Straße/Lerchenauer Straße die Fahrradfurten inzwischen rot eingefärbt.

Doch es geht noch mehr: An der Berg-am-Laim-Straße etwa wird das KVR - unabhängig von der Umfrage - demnächst eine neue Ampelschaltung testen. Seit vergangenem Sommer ist zudem die Radquerung rot markiert, hat große Fahrradampeln und einen Warnblinker. "Ein großes Sicherheitsproblem an dieser stark befahrenen Kreuzung sind Geisterradler", sagt Böhle, "sie machen die Situation für abbiegende Autofahrer sehr unübersichtlich."

Wie der Stadtrat schon im vergangenen Jahr beschlossen hat, wird es noch weitere Verbesserungen für die Radler geben. Dazu gehören 13 einzelne Maßnahmen wie neue Radfahrstreifen an der Brienner Straße, eine neue Radquerung an der Dachauer Straße oder eine rotgefärbte, barrierefreie Radfurt am Stiglmaierplatz. Vergangenes Jahr wurden zudem 14 Einbahnstraßen für den Radverkehr geöffnet, im Stadtgebiet dürfen Radler nun auf 363 von insgesamt etwa 700 Einbahnstraßen auf gesonderten Spuren in die Gegenrichtung fahren.

Außerdem hat das KVR drei neue Fahrradstraßen ausgewiesen. München hat mit 60 Fahrradstraßen nun die meisten in Deutschland. Doch Fahrradstraßen sind nicht nur ein Gewinn für die Radler, sie sind auch eine Gefahrenquelle. Denn die meisten befinden sich in Tempo-30-Zonen, wo laut Straßenverkehrsordnung grundsätzlich rechts-vor-links gilt.

München will deshalb auf drei Versuchsrouten eine Vorfahrtsregelung für Radler testen: Auf der Route Menzinger Straße-Nymphenburg-Olympiapark-Petuelring, auf der Route Clemensstraße und auf einer künftigen Route im Neubaugebiet Freiham. Für den Test braucht es allerdings eine Genehmigung des bayerischen Innenministeriums, sagt Böhle. "Wie es aussieht, ist man recht aufgeschlossen dort." Im Jahr 2018 soll der Pilotversuch starten, wenn er erfolgreich verläuft, kann die Stadt zusammen mit dem Städtetag auf eine bundesweite Gesetzesänderung hinarbeiten.

Grüne Welle für Radler wird getestet

Des Weiteren plant das KVR im Stadtgebiet an 15 Stellen grüne Abbiege-Pfeile für Radler an Kreuzungen. Hier stehen Genehmigungen des bayerischen Innenministeriums und des Bundesinnenministeriums aus. Die meisten Radler, sagt Böhle, bögen ohnehin illegal bei Rot ab, "man folgt damit einem gewissen Bedürfnis".

Schon kommende Woche startet der Test der Grünen Welle für Radfahrer, wissenschaftlich begleitet von der Technischen Universität. Dazu hat sich das KVR die Schellingstraße zwischen Luisen- und Ludwigstraße ausgesucht. Hier sind die Ampeln relativ nah beieinander und hier sind alle Arten von Verkehrsmitteln unterwegs: Die belebte Straße mit Linienbussen, Autos und Radlern sei ein anspruchsvolles Umfeld für diesen Test unter realistischen Bedingungen, so Böhle.

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Quelle:
SZ vom 11.05.2017/vewo
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