Süddeutsche Zeitung

Schwanthalerhöhe:Ringelreihen

Das Haus an der Schwanthalerstraße 113 soll saniert werden. Dafür werden die Mieterinnen und Mieter im Gebäude umquartiert, bis sie in ihre alten Wohnungen zurück können

Von Julia Weinzierler, Schwanthalerhöhe

Die Architektur des Brutalismus scheidet bis heute die Geister. An der Schwanthalerstraße finden sich mehrere Bauten, die den Betonstil par excellence präsentieren. Auch das Gebäude mit der Hausnummer 113, direkt angrenzend an den Elektronikmarkt Saturn, trägt diesen unverkennbaren Stil nach außen. Trotz und vielleicht auch wegen dieser Substanz war nicht sicher, wie es mit dem mittlerweile 45 Jahre alten Bau weitergehen soll. Nun hat der Eigentümer, die Bayerische Hausbau, eine laut eigener Aussage "mieterfreundliche" Entscheidung getroffen. Doch nicht jeder ist darüber erfreut.

Das Haus hat schon einige Jahre auf dem Buckel, das war auch den Bewohnern bewusst. Lange stand gar ein Neubau im Raum, Fachgutachten geben aber Entwarnung: Eine Sanierung wird dem Zustand des Gebäudes gerecht. Die nun geplanten Bauarbeiten werden mehr als zwei Jahre andauern, Wohnungen müssen dafür geräumt werden. Im Hinblick auf die in jedem Fall zu erwartenden Bauarbeiten hat die Bayerische Hausbau seit Planungsbeginn neue Mietverträge bis Februar 2022 befristet. Von März an soll dann gewerkelt werden.

Eben weil dadurch automatisch ein Teil der Wohnungen frei wird, können die Mieter mit unbefristeten Verträgen auf eine Ersatzbleibe im Gebäude ausweichen - denn mittlerweile haben mehr Mieter befristete Verträge als unbefristete. Insgesamt 214 Wohnungen hat der massive Bau.

Die Bayerische Hausbau verspricht, dass Mieter mit unbefristeten Verträgen nach den Maßnahmen wieder in ihre alte Wohnung zurückziehen dürfen - und bis zum Abschluss der Sanierungsarbeiten mit keiner Mieterhöhung rechnen müssen. "Danach greifen, wie bisher auch, die im Mietvertrag festgelegten gesetzlich möglichen Regelungen, die sich zum Beispiel am Mietspiegel orientieren", erklärt ein Sprecher der Bayerischen Hausbau. Die häufige Forderung von Mieterschützern wird damit erfüllt: Plötzlich komplett vor die Tür gesetzt wird niemand. Ob es aufgrund von Lärm und Staub während der Arbeiten zu Mietminderungen kommen wird, "muss im Einzelfall entschieden werden", heißt es von der Immobilienfirma, die mit "erheblichen Beeinträchtigungen innerhalb des Gebäudes" rechnet. Der Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe hat das Vorhaben in seiner Sitzung wohlwollend zur Kenntnis genommen - und darum gebeten, Parkmöglichkeiten für Handwerker möglichst so einzurichten, dass es für die Anwohner zu keinen Engpässen kommt.

In einer der unzähligen Wohnungen des Objekts lebt Joachim Metzner. Der Rentner hat sich auf seinen rund 35 Quadratmetern mit dem "genialen" Blick auf München den Traum vom Stadtleben erfüllt. Vor 35 Jahren zog es ihn vom Land in die Stadt, das Portemonnaie war damals schon nicht allzu üppig gefüllt, der Freiheitsdrang hingegen groß. Er hat es sich in den Jahren gemütlich gemacht, mit einer Maßbauwand aus Fichte ein bisschen ländlichen Charme in den Betonklotz gebracht. Doch nun, da sein Arbeitsleben vorbei ist, bleibt finanziell wenig übrig. "Raus möchte ich auf keinen Fall, das kann ich mir nicht leisten", sagt Metzner. Das Angebot der Bayerischen Hausbau, während der Sanierung intern umzuziehen, wird er wohl annehmen müssen. Wirklich glücklich ist er damit derweil nicht.

Schon länger spekulierten die Nachbarn darüber, wie es mit dem Objekt, welches sie ihr Zuhause nennen, weitergehen wird. Dann kam der Brief mit Ankündigung der Sanierungsmaßnahmen. "Das ist ein Damoklesschwert, das hängt so über mir und macht mich unruhig", sagt Metzner. Denn so einen Umzug schultere er mit fast 70 Jahren nicht mehr so leicht.

Zudem habe er viel investiert in die Wohnung, fühle sich wohl, zwischen selbstgemalten Bildern seines Vaters, einem recht neuen Teppichboden und den maßgefertigten Holzmöbeln. Schon länger wollte er auch den Balkon auf Vordermann bringen. Doch seitdem das Gerücht im Haus herumging, dass es wohl zu Baumaßnahmen kommen wird, verlor er die Lust an weiteren Investitionen.

In Bezug auf die Bayerische Hausbau als Vermieter hegt Metzner keinen Groll, in den vielen Jahrzehnten lief immer alles gut, sagt er. Auch vor den Baumaßnahmen fürchtet er sich nicht, mit dem Forum Schwanthalerhöhe vor der Tür hat er schon einiges mitgemacht, ist immer wieder zu seiner 95-jährigen Mutter aufs Land geflohen. Wirklich Sorge bereitet ihm lediglich der Umzug - und zwar nicht nur in die Ersatzwohnung, sondern dann auch wieder zurück in sein Reich. Auch wenn ihn das Ganze dann doch "nackert dawischt" hat, wie Metzner es ausdrückt, muss er sich nun wenigstens keine neue Wohnung suchen. Mitte 2024 sollen die Baumaßnahmen an der Schwanthalerstraße 113 abgeschlossen sein - spätestens dann finden die maßgefertigten Fichtenmöbel wieder ihren angestammten Platz. Wer ihm dann seine geliebten Bilder wieder aufhängt, weiß er aber noch nicht.

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Quelle:
SZ vom 24.06.2020
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