Süddeutsche Zeitung

Kulinariat:Eine Oase mit allerbester Küche

Lesezeit: 3 min

Stylish auf lässig-freundliche Art - und mit richtig gutem Essen: Ein Deli wie das "Kulinariat" an der Schwanthalerhöhe findet man sonst in ganz München nicht.

Von Tankred Tunke

In Zeiten vorgezogener Sperrstunden und drohender Lockdowns wirkt es fast unwirklich, doch bis vor Kurzem konnte man der Restaurantszene im Westend gleichsam beim Wachsen zusehen. Gefühlt im Monatsrhythmus eröffnete hier ein neues Lokal. Und in der Home-Office-Mittagspause kann man wählen zwischen Knödel-Tris und Kimchi, zwischen Vegan Bowl Mexican Style, Pizza Speck-Birne oder Chicken Teriyaki. Vielfalt und Fusion-Angebote sind schön, doch verstellen sie den Blick darauf, dass viele Küchen eher an Trends und zusammengestöpselten Systemtellern interessiert sind als an gutem Essen. Lokale, in denen wirklich gut gekocht wird, sind auch im neuen Gastrotrendviertel eine Seltenheit. Da ist es ein echter Gewinn, dass im Frühjahr das Kulinariat eröffnet hat.

In einem Jahr wie diesem ein neues Lokal aufzumachen, ist wohl Kraftakt und Mutprobe zugleich. Doch die Umstände merkt man diesem Deli nicht an. Der vormals heruntergekommene Hinterhof wurde liebevoll saniert, mit freigelegten Ziegelwänden, Mauern in Französischgrau und einem schicken Holzdeck. In Hochbeeten wächst nicht nur grüne Dekoration, hier werden sogar einige Kräuter für die Küche geerntet. Großstadtoase? Hier passt das Bild endlich mal.

Auch drinnen ist das Lokal auf lässig- freundliche Art stylish: Sichtbeton, helle Holzmöbel, gutes Licht, offene Küche. Auf Regalen stehen Gläser mit eingewecktem Gemüse, doch was anderswo eher Deko wäre, ist hier ein Baustein der Küche, die viel mit Fermentation arbeitet und auf gute Produkte setzt. Schon die kleine, aber interessante Speisekarte legt nahe, dass es um eine im besten Sinne moderne, weil nachhaltige und angenehm ideologiefreie Küche geht, bei der viele Teller einfach aussehen mögen, es aber nicht sind.

Das beginnt beim Brot von der Grünwalder Biobäckerei "Brotzeit", das der Qualität entsprechend scheibenweise serviert wird (zwei Euro), wahlweise mit selbstgemachten Aufstrichen wie Erbsencreme. Und es geht weiter mit den Salaten, die sofort zu unseren Favoriten zählten. Da wäre etwa der gemischte Salat (steht nicht auf der Karte, macht die Küche aber auf Nachfrage), der schon wegen der unterschiedlichen Texturen seiner knackfrischen Zutaten ein Genuss ist - jeweils fein gewürfelte Ringelbete, Karotten und Tomaten zu verschiedenen Blattsalaten von schöner Schärfe und gerösteten Kürbiskernen. Noch feiner waren die Linsen (Alb-Leisa) zu Blattsalaten, entkernter Gurke, konfierten Portobello-Pilzen (großen Champignons), süßen Cocktailtomaten und gehobelten Haselnüssen, angemacht in einer toll abgeschmeckten Vinaigrette aus Sonnenblumenöl, fermentierter Zitrone und viel Petersilie - wunderbar (12,50).

Die wichtigsten Gerichte auf der Karte basieren auf einem klugen Bausteinsystem. Wodurch garantiert ist, dass für jeden Ernährungsstil eine Variante dabei ist, ohne dass geschmacklich Abstriche gemacht werden. Ein Spagat übrigens, den bislang nur wenige Lokale hinkriegen. So lässt sich der Linsensalat durch Büffelmozzarella oder gratinierten Ziegenkäse erweitern (plus vier Euro). Ein Signature-Teller des Hauses ist ein veganer Pilz-Sud von großer geschmacklicher Tiefe, der an japanische Ramen erinnert (acht Euro). Die Einlage besteht aus Gerstengraupen, Karotten, Pilzen, fermentierten Zwiebeln und Lauch, die Brühe lässt sich aber auch mit gekochtem Ei (2,50), Schmorfleisch (7,50) oder geräucherter Forelle (4,50) kombinieren.

Besonders gut gefallen hat uns das Baukastensystem bei den verschiedenen Sorten Bete, die mariniert und im Salzteig gegart und in einer Soße mit glacierten Kirschen zu zartem Sellerie-Püree serviert wurden (15,50); eine tolle Kombination, die nebenbei wieder zeigte, wie aufregend unterschiedlich Rote, Gelbe oder Chioggia-Bete schmecken. Und wie gut man sie kombinieren kann. Das Gemüse war zu Portobello-Pilzen (plus 3,50 Euro) ebenso überzeugend wie zur toll gewürzten geschmorten Rinderschulter (neun Euro) oder zum lauwarmen Saiblingsfilet (7,50).

Gerne hätten wir hier auch mal einen Abend verbracht. Doch als Deli ist das Kulinariat bislang nur tagsüber geöffnet (samstags auch Frühstück), am Abend bewirten Johannes - Josch - Höcherl und Stefanie - Steffi - Fritz nur geschlossene Gesellschaften, vorausgesetzt natürlich, die Pandemie spielt gerade nicht verrückt. Wenn man nicht nur ein Stück Kuchen oder ein gutes Sandwich hier essen will, lohnt es sich, auch tagsüber etwas Zeit mitzubringen. Denn dem üblichen To-go- oder Rucki-Zucki-Mittag setzt man im Kulinariat Qualität, Sorgfalt und Zugewandtheit entgegen.

Unser Business-Lunch (Kürbis-Orangensuppe mit Heidschnuckenschinken, Pilzrisotto mit fermentierten Heidelbeeren und Schnittlauchöl, selbstgemachtes Eis, 25 Euro) dauerte weit länger als eine Stunde und hatte mit Business angenehm wenig zu tun. Auch legt man hier sicher fünf Euro mehr an als anderswo. Man könnte auch sagen: den Preis, den gutes Essen kosten muss. Sich auch mal etwas Gutes tun - sollten wir das aus der Krise lernen, dann wäre viel gewonnen. Das Kulinariat ist der richtige Ort dafür.

Adresse: Schwanthalerstraße 143, 80339 München, Telefon: 0160/5534852, Öffnungszeiten: Dienstag bis Frreitag 11 bis 17 Uhr, Samstag 10 bis 17 Uhr, contact@daskulinariat.de

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Quelle:
SZ vom 29.10.2020
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