Weltrekord:"Ich hab' nur noch Sterne gesehen. Brutal!"

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Mit seiner Schlaufenkonstruktion und mehreren Urschreien bringt der Österreicher Franz Müllner das 75 Meter hohe und 750 Tonnen schwere Rad am Münchner Werksviertel in Bewegung. (Foto: Robert Haas)

Ein 50-jähriger Österreicher setzt nur mit Muskelkraft das Hi-Sky, das größte mobile Riesenrad der Welt im Werksviertel, in Bewegung.

Von Thomas Becker

Aus der Ferne sieht alles aus wie immer: Das Hi-Sky, das größte mobile Riesenrad der Welt am Ostbahnhof, es dreht sich. Dass jedoch die Technik ausgeschaltet ist und ein Mensch das 75 Meter hohe und 750 Tonnen schwere Rad dreht, auf die Idee würde niemand kommen, der alle Sinne beisammen hat. Genau das ist aber passiert: Franz Müllner, ein Extremsportler aus Österreich, Spitzname "The Austrian Rock", hat sich mächtig ins Zeug gelegt und das Unmögliche geschafft: Mehr als zehn Meter weit hat er das Rad gedreht, bevor er erschöpft zur Seite kippt. Bange Sekunden, bis er sich auf den Rücken dreht, wie ein Maikäfer pumpt, um dann ins johlende Publikum zu winken. Geschafft, Weltrekord Nummer 41.

Wie man auf die Idee kommt, am Rad zu drehen? Nun, der Mann ist seit mehr als 20 Jahren im Geschäft, zigfacher Strongman-Sieger, Europameister im Autotragen, Rekordhalter im Bratpfannenrollen (21), im Drei-Bungee-Springerinnen-Halten, im Bierdosen-am-Bauch-Zertrümmern, im Bierfass-Stemmen, im 120-Rollstuhlfahrer-Ziehen, im Heißluftballon-50-Meter-Runterziehen, er hat die mit 601,7 Kilo schwerste Holzhantel der Welt gestemmt, eine 150 Tonnen schwere Boeing 777, zwölf Fiaker, vier gasgebende Motorräder festgehalten, 50 Kinder die Skipiste raufgezogen, einen 13 Tonnen schweren Panzer 30 Meter weit gezogen und einen Smart gestemmt - um nur einen Bruchteil seiner Extremleistungen anzureißen.

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Nun also das Hi-Sky. Ein eisiger Wind geht, gefühlte Temperatur gerade noch über null, und da sitzt der Müllner Franz kurz vor dem Rekordversuch in kurzen Hosen auf dem Ergometer und strampelt die Wadl warm. Auf dem Stehtisch vor ihm: eine Neun-Liter-Flasche Prosecco mit dem schönen Namen Koks, von befreundeten Schampus-Brauern aus der Steiermark. Immerhin eine Mütze hat der Franz auf, atmet noch ein wenig Zusatzsauerstoff, bevor er gleich in die Gurte steigt. Zeit zum Ratschen hat er trotzdem. Vom vorabendlichen Restaurantbesuch mit dem Rekordzeugen Axel Schulz beim Schuhbeck Alfons erzählt er ("Schweinsbraten, was sonst? Aber kein Bier!"), vom gar nicht gut gelaufenen Training am Vortag ("Es war so nass, kein Grip, nix"), von seinem Motto ("Geht nicht, gibt's nicht") und seinem Geheimrezept: "Meine Frau kocht sehr gut." Klar, ausgewogene Ernährung sei wichtig, aber bei ihm gebe es "ois": Gemüse, Fisch, viel Fleisch und ein Mal die Woche was Süßes. Auch was das Krafttraining angeht, kann er nicht mit Extravagantem dienen: "Ich trainiere fast nur mit dem Ergometer, wie der Hermann Maier früher."

Skifahren kann er als Salzburger natürlich auch, aber schon früh zog es ihn nach seiner Zeit als Soldat im Fallschirmspringerbataillon Wiener Neustadt zum Extremsport: Marathon, Ironman, Ultraläufe. Und irgendwann diese Strongman-Wettbewerbe. Die schnöden Zahlen zu Franz Müllner: 50 Jahre 1,90 Meter, 125 Kilo, Bizepsumfang 48 Zentimeter, verheiratet, zwei Kinder - die Namen der 13 und 23 Jahre alte Töchter hat er sich auf die Unterarme tätowieren lassen: Larissa und Angelika.

Die Zuschauerschar hat sich warmgegrölt, es wird ernst für den Franz und das Rad. Einmal kurz in die Hände geklatscht, los geht's! Der Austrian Rock legt sich ins Seil, geht auf die Knie, zieht von vorn an einem Tau - und legt los. Und siehe da: Sofort bewegt sich das Rad, ein Urschrei jagt den nächsten, und nach zehn, zwölf Metern Schwerstarbeit plumpst der Koloss zur Seite: "Ich hab' nur noch Sterne gesehen. Brutal! Aber wenn du einmal auslässt, ist es vorbei." Auch so ein Kerl kennt Versagensängste: "Vorher dachte ich mir: ,Blamier dich nicht! Zieh das jetzt weg, Franz!' Ich war wie von einem anderen Stern." Ex-Schwergewichtsboxer Axel Schulz hat eine andere Erklärung: "Er hat's nur geschafft, weil ich vorher gesagt habe: ,Wenn du's nicht schaffst, gibt's richtig auf die Fresse.'" Im Ernst fügt er an: "Ich könnt' das ja nicht, mit meinen dünnen Beinchen."

Gemeinsam zapfen die beiden noch ein Bierfass an, und Schulz sagt zu Müllner: "Hau du, du hast mehr Kraft!" Doch statt das Holzfass in tausend Stücke zu zerlegen, hämmert der Austrian Rock eher vorsichtig - bloß nichts kaputtmachen. Danach geht's zum Schuhbeck, ins Theaterzelt. Auf ein Bier. Oder zwei. Verdient hat er sich's, der Müllner Franz.

© SZ vom 29.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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