Kritik:Heidi lacht

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Wer glitzert, darf auch glänzen: Dennis Fell-Hernandez (Mitte) und Sebastian Brandes (re.) in der Uraufführung "Heidi weint". (Foto: Judith Buss)

Muss alles so perfekt sein wie in einer Casting-Show? Die Kammerspiele antworten mit einem lustigen Abend auf "Germany's next Topmodel".

Von Yvonne Poppek, München

So sieht also ein Klotz am Bein aus: gar nicht übel. Julia Gräfner jedenfalls kann damit voller Grandezza die Bühne abschreiten. Der Klotz stört nicht, er ist eine Attraktion. Gräfner weiß, wie lässig es ist, so herumzulaufen. Schließlich hat sie den Klotz gerade aus einem Ziegelsteinmäuerchen im Werkraum der Kammerspiele geschlagen und mit Klebeband unter ihren rechten Fuß gepappt. Bei jedem Tritt schmatzt es herrlich, weil das Band nicht perfekt gewickelt ist und am Boden haften bleibt. Gräfner hebt und senkt sich, links-rechts, links-rechts, schaukelt mit den Hüften, wirft modelmäßig wild-kokette Blicke ins Publikum. Es ist eines dieser lustigen Bilder an dem Abend, der unter dem Titel "Heidi weint - Eine Gefühlsversammlung" in eine ganz andere Richtung lockt. Traurig, so viel steht fest, ist hier nämlich gar nichts.

Mit Heidi ist niemand anderes gemeint als Heidi Klum, Model und Moderatorin von "Germany's next Topmodel". Dennis Seidel und Julia Weber haben mit Texten auf die Casting-Show geantwortet. Was wäre, wenn alles nicht perfekt wäre, wenn es Schwäche gäbe? Regisseurin Nele Jahnke hat die Texte - assoziative Strecken, Schnipsel aus der Körpervermarktungssprache, harmlose Gedichtzeilen - zu einer losen Grundlage ihrer Inszenierung gemacht, Ideen aus dem sechsköpfigen Ensemble flossen in den Abend ein. Auf der Bühne arbeiten sie sich nun mit viel Körpereinsatz, Songs und Persiflagen an der Grundidee ab. Theoretisch hätte sich bei diesem Thema ein großer Zorn auf die Hochglanzwelt der Realityshow entladen können. Es ist das Glück des Abends, dass davon nichts zu spüren ist. Geboten wird auch kein intellektueller Diskurs. Es ist vielmehr eine Feier dessen, nicht genormt funktionieren zu müssen. Erwartungen nicht zu erfüllen. Ein Ausbruch, frei, ohne die Last der Wut.

Das inklusive Ensemble hat Lea Søvsø in goldglitzernde Kostüme gesteckt, egal ob Abendkleid, Overall oder kurze Hose. Jeder Schauspieler deutet für sich den Raum aus. David Gaviria trippelt, windet, rempelt sich über die mintgrüne Bühne von Sabina Winkler und Charlotte Pistorius. Johanna Kappauf ist der gute Geist des Abends, schützend und schützenswert zugleich. Luisa Wöllisch und Dennis Fell-Hernandez liefern sich einen Wettstreit um den Premium-Rampenplatz, Sebastian Brandes gibt den schüchtern-naiven Romantiker, und Julia Gräfner schert sich mit großer Coolness um nichts. Doch die Bühne gehört spürbar allen bei "Heidi weint". Und so ziehen die Schauspieler gemeinsam eine grandiose Playback-Nummer zu Chers "Believe" ab. Spätestens da ist klar: Die bessere, lustigere Show ist nicht die perfekte, sondern die mit den Rissen.

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