Notizen einer Nationalsozialistin:"Das Herz sagt uns: durchhalten"

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Wolfhilde von König schreibt als Jugendliche während der Diktatur Tagebuch. Selbst in der Niederlage steht sie weiter zum Regime.

Von Jakob Wetzel

Es musste viel geschehen, bis Wolfhilde von König überhaupt so etwas wie Zweifel zuließ. Doch am 25. März 1945 brach es aus ihr heraus: "Man weiß nicht, was man denken soll", schrieb die 19-jährige Münchnerin an jenem Tag. Ihr Vater hatte Geburtstag; sie hoffe, dessen Wunsch nach dem Sieg werde in Erfüllung gehen, schreibt sie. Doch es sehe ja nicht danach aus. Überall rücke der Feind vor. "Ich versuche weiter zu glauben an unseren Sieg, denn wenn wir verlieren, geben wir den Sinn des Lebens auf."

Wolfhilde von Königs Tagebuch zeigt, welche Spuren die Propaganda der Nazis im Kopf einer jungen Frau hinterließ. Geboren im November 1925, wohnte sie mit ihrer trotz des Namens bürgerlich lebenden Familie an der Thierschstraße im Lehel und war eine glühende Anhängerin des Regimes. 1936, noch bevor es Pflicht wurde, trat von König dem Bund Deutscher Mädel (BDM) bei. Von 1943 an war sie, anders als ihre Eltern, auch Mitglied der Nazi-Partei. Ihre Aufzeichnungen hat der Historiker Sven Keller 2015 als "Kriegstagebuch einer jungen Nationalsozialistin" herausgegeben.

Ihm zufolge führte von König Tagebuch, weil sie glaubte, mit dem Krieg etwas Großem beizuwohnen, von dem sie später erzählen können wollte - so wie auch ihr Vater im Ersten Weltkrieg Tagebuch geführt hatte. Ihr erster Eintrag war ein Hitler-Zitat, und zu Beginn dokumentierte die damals noch 13-Jährige hauptsächlich politische und militärische Erfolge, die sie den Zeitungen entnahm. Fast stolz hielt sie außerdem fest, wie sie selbst zu den Kriegsbemühungen beitrug, zum Beispiel durch das Befüllen von Sandsäcken. Und sie schwärmte in ihren Notizen von Ritterkreuzträgern und Generälen, vor allem aber von Adolf Hitler. 1942 aber verändere sich das Tagebuch, analysiert Keller. Feindliche Flieger erreichten München. Der Krieg erscheint im Tagebuch nun nicht mehr als Heldengeschichte.

Von Königs Haltung zum Regime änderte sich freilich nicht. An Ostern 1945 klagte sie über "Miesmacher", die Gerüchte verbreiteten; "das Herz sagt uns: durchhalten". Wenig später beschwor sie den Widerstandswillen "einer Bevölkerung, die sich nicht unterkriegen läßt", und setzte ihre Hoffnungen auf die Partisanen des "Werwolf", die "Seele des Freiheitskampfes". Dieser Ton änderte sich auch dann nicht, als die amerikanische Armee München einnahm. Weil Nachbarn den Besatzern zuwinkten, ätzte die Frau, etwas "mehr Ehre hätte ich den Münchnern schon zugetraut". Die Panzer und Fahrzeuge der US-Armee kommentierte die 19-Jährige so: "Das Material ist schlecht, man kann es nicht fassen, daß wir vor diesen Waffen kapitulieren mußten."

Die Verbrechen der Nazis kommen im Tagebuch nicht vor; dafür hatte die Propaganda bei von König wohl auch mit ihrem Rassenwahn Erfolg. Im April und Mai 1945 half die Frau im Schwabinger Krankenhaus aus. Im Juni aber warf sie hin. Die Militärregierung hatte die Klinik beschlagnahmt, um "Displaced Persons", von den Nazis verschleppte Zivilisten, zu versorgen. König schrieb, die Klinik sei jetzt ein "Ausländerkrankenhaus". Und: "Jüdinnen und Ukrainerinnen zu pflegen, habe ich wirklich keine Lust."

© SZ vom 25.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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