Süddeutsche Zeitung

Weltkriegsende in München:Marsch in die Gefangenschaft

In langen Kolonnen ziehen deutsche Soldaten durch das Karlstor stadtauswärts. Sie haben kampflos kapituliert.

Von Wolfgang Görl

In langen Kolonnen ziehen gefangene deutsche Soldaten, bewacht von GIs der 42. US-Infanterie-Division, Anfang Mai 1945 durch das Karlstor stadtauswärts. Sie haben kampflos kapituliert, die Schlacht um München hat nicht stattgefunden. Die Amerikaner internierten die Soldaten der geschlagenen Wehrmacht in Lagern außerhalb Münchens.

Bereits im Sommer kamen Gefangene, die unverdächtig waren, an den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt gewesen zu sein, wieder frei. Am 22. Juni 1945 notiert der Stadtchronist: "Alle entlassenen deutschen Kriegsgefangenen, die in der Stadt ihren Wohnsitz haben oder noch hier eintreffen werden, haben sich bei bestimmten Polizeirevieren zu melden." Andere Kriegsgefangene haben zunächst weniger Glück. Die Amerikaner ziehen sie heran, um mitzuhelfen, die zerstörte Stadt aufzuräumen. Die ehemaligen Wehrmachtssoldaten müssen Schutt wegräumen, den Lastwagen der US-Armee dann abtransportieren. Anfang Juli verzeichnet die Stadtchronik, dass viele Lager, in denen ausländische Zwangsarbeiter eingesperrt waren, mittlerweile leer stehen. Die Behörden planen, sie als Durchgangslager für die aus Kriegsgefangenschaft zurückkehrenden Soldaten zu nutzen.

Gut zwei Jahre nach Kriegsende, im Juni 1947, registriert das Statistische Amt, dass sich noch 24 833 Münchner in Gefangenschaft befinden oder vermisst sind. Unter diesen sind 11 374 Kriegsgefangene, die nach Vereinbarung der Alliierten bis 31. Dezember 1948 entlassen werden sollen. Ungeklärt ist zu diesem Zeitpunkt das Schicksal von mehr als 13 000 vermissten Münchnern.

Historiker schätzen, dass im Zweiten Weltkrieg rund eine Million Bayern in Kriegsgefangenschaft geraten sind. Etwa die Hälfte von ihnen kehrte bis Ende 1945 nach Hause zurück. Am längsten in Gefangenschaft waren in der Regel jene Soldaten, die von der Roten Armee in Lagern in der Sowjetunion interniert waren. Viele der Verschleppten überlebten die Gefangenschaft nicht. Die letzten von ihnen kehrten erst im Jahr 1956 aus der UdSSR zurück.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2020
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