Widerstand gegen das NS-Regime:Auf den Spuren der "Weißen Rose"

Widerstand gegen das NS-Regime: Hildegard Kronawitter vor dem Bodendenkmal, das die Flugblätter der "Weißen Rose" verewigt. "Wer von uns ahnt das Ausmaß der Schmach, die über uns und unsere Kinder kommen wird, wenn einst der Schleier von unseren Augen gefallen ist und die grauenvollsten und jegliches Maß überschreitenden Verbrechen ans Tageslicht treten?", heißt es darin.

Hildegard Kronawitter vor dem Bodendenkmal, das die Flugblätter der "Weißen Rose" verewigt. "Wer von uns ahnt das Ausmaß der Schmach, die über uns und unsere Kinder kommen wird, wenn einst der Schleier von unseren Augen gefallen ist und die grauenvollsten und jegliches Maß überschreitenden Verbrechen ans Tageslicht treten?", heißt es darin.

(Foto: Catherina Hess/Catherina Hess)

Sie waren jung und liebten die Freiheit. Vor 80 Jahren wurden die Geschwister Scholl und Christoph Probst verhaftet und hingerichtet. Hildegard Kronawitter erinnert an den Mut der Widerstandsgruppe und ihr Leben in München.

Von Ulrike Heidenreich

Hildegard Kronawitter, die Vorsitzende der "Weiße Rose"-Stiftung, betrachtet vor dem Haupteingang der Universität ein Bodendenkmal, das an die Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl erinnert. Dieses bildet Flugblätter, Porträtfotos und einen Abschiedsbrief von Willi Graf ab. Sie sagt: "Von dieser Geschichte zu erzählen ist zugleich auch immer eine Anfrage an mich selbst. Wie verhalte ich mich im Alltag? Bin ich hinsichtlich Zivilcourage wirklich das, was ich sein möchte? Zeige ich Menschen Mitmenschlichkeit genug? Ich komme hier ein bisschen ins Moralische. Aber ohne Moral geht es halt nicht in einer Demokratie. Wir brauchen diese Moral, die uns sagt, wir müssen tolerant sein und wir müssen Partei ergreifen. Partei ergreifen, auch im ganz wortwörtlichen Sinne, nämlich für andere da zu sein."

Es ist 80 Jahre her, dass Hans und Sophie Scholl sowie ihr Freund Christoph Probst verhaftet und ermordet wurden. Die Mitglieder der studentischen Widerstandsgruppe gegen das Hitler-Regime waren dabei beobachtet worden, wie sie Flugblätter in den Lichthof der Universität warfen. Sie waren die ersten aus der Gruppe, die hingerichtet wurden. Denn die "Weiße Rose" hatte viele Sympathisanten und Unterstützer. Führende Köpfe waren die Medizinstudenten Hans Scholl und Alexander Schmorell. Zum engen Kreis zählten Christoph Probst, Willi Graf, der Universitätsprofessor Kurt Huber und Hans' Schwester Sophie Scholl. Kurt Huber und Alexander Schmorell wurden im Juli hingerichtet, Willi Graf im Oktober.

Hildegard Kronawitter, ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete und Witwe des langjährigen Münchner Oberbürgermeisters Georg Kronawitter, wurde am Freitag mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, für ihr Engagement in der Erinnerungs- und Gedenkarbeit zur NS-Diktatur. Für den SZ-Podcast "München persönlich" macht sie sich auf den Weg, um wichtige Orte des rechten Terrors und des Widerstands in der Stadt zu beschreiben.

Justizpalast in der Prielmayerstraße

Widerstand gegen das NS-Regime: Die Eingangshalle im Justizpalast in München.

Die Eingangshalle im Justizpalast in München.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

"Der Prozess am 22. Februar 1943 war sehr kurzfristig angesetzt worden. Die Verhaftung fand ja am 18. Februar statt. Die Verhandlung begann um 10 Uhr und dauerte zweieinhalb Stunden. Roland Freisler mit seinem Volksgerichtshof war extra angereist aus Berlin. Er selber hat Teile der Flugblätter, das war das Belastende, vorgelesen. Wir stellen uns gerne vor, wie Scholl wahrscheinlich geschmunzelt hat, als er seine Texte, eine Anklage des Systems, hier zu hören bekam. Ein Prozessbeteiligter notierte, dass Hans Scholl das Verfahren als Affentheater bezeichnet hat", berichtet Kronawitter.

Die Angeklagten

Widerstand gegen das NS-Regime: Die undatierten Fotos zeigen Hans und Sophie Scholl.

Die undatierten Fotos zeigen Hans und Sophie Scholl.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Bei der Verhandlung waren Hans und Sophie 24 und 21 Jahre alt. Im Saal schrie Richter Freisler, bis sich seine Stimme überschlug. Sophie Scholl zeigte sich davon unbeeindruckt und sagte zu den Zuhörern: "Was wir schrieben und sagten, das denken Sie alle ja auch, nur haben Sie nicht den Mut, es auszusprechen." Woher nahmen die jungen Menschen aber diesen Mut? "Darüber kann man nur spekulieren. Ich glaube, es hatte etwas mit Ihrer Erziehung zu tun. Sie haben gelernt, in den Familien das freie Wort zu führen, die eigene Meinung zu entwickeln. Das Gewissen war schon auch ein gewisser Seismograf für sie", sagt Hildegard Kronawitter.

Gefängnis München-Stadelheim

Widerstand gegen das NS-Regime: Lichtinstallation auf der Gefängnismauer von Gesichtern ermordeter Häftlinge wie Sophie Scholl im Jahr 2021

Lichtinstallation auf der Gefängnismauer von Gesichtern ermordeter Häftlinge wie Sophie Scholl im Jahr 2021

(Foto: Stephan Rumpf)

Eine Lichtinstallation auf der Gefängnismauer am Gedenktag vor zwei Jahren zeigt das Gesicht von Sophie Scholl. Wenige Stunden nach dem Prozess wurden Probst und die Geschwister Scholl dort geköpft. Kronawitter: "Bewegend finde ich zu lesen, wie es den Eltern Scholl gelungen ist, ins Gefängnis zu ihren Kindern zu kommen. Die Wärter haben dies wohl ohne große Formalitäten erlaubt. Die Hinrichtung lief gnadenlos und fast mechanisch ab. Auf dem vorgedruckten Formular bei Hans Scholl steht handschriftlich eingefügt: ,Er rief: Es lebe die Freiheit!'"

Zaun am Ostbahnhof

Widerstand gegen das NS-Regime: An diesem Zaun vor der Verladestation des Ostbahnhofes an der Orleanssstraße verabschiedet sich Sophie Scholl am 23. Juli 1942 von ihrem Bruder Hans Scholl sowie Alexander Schmerell und Willi Graf. Die Tafel hängt an dem Metallzaun in der Orleansstraße gegenüber von Hausnummer 63.

An diesem Zaun vor der Verladestation des Ostbahnhofes an der Orleanssstraße verabschiedet sich Sophie Scholl am 23. Juli 1942 von ihrem Bruder Hans Scholl sowie Alexander Schmerell und Willi Graf. Die Tafel hängt an dem Metallzaun in der Orleansstraße gegenüber von Hausnummer 63.

(Foto: Florian Peljak)

Das vielleicht bekannteste Foto der "Weißen Rose" ist am Münchner Ostbahnhof entstanden. Hans Scholl wartet mit Alexander Schmorell und Willi Graf vor der Verladestation des Ostbahnhofs auf den Zug, der sie zu ihrem Sanitätsdienst an die Ostfront nahe Moskau bringt. Im Hintergrund ist Sophie Scholl zu sehen. Kronawitter: "Das fünfte Flugblatt war getragen von der Überzeugung, dass der Krieg trotz aller Lügen und aller Propaganda verloren war. Einige der Medizinstudenten, die Mitglieder der Gruppe waren, haben kurz vor der Niederlage bei Stalingrad Grausamkeit jenseits alles Vorstellbaren erleben müssen.

Wohnungen in Schwabing

Widerstand gegen das NS-Regime: Eine Tafel an diesem Haus in der Franz Joseph-Straße erinnert an Hans und Sophie Scholl.

Eine Tafel an diesem Haus in der Franz Joseph-Straße erinnert an Hans und Sophie Scholl.

(Foto: Catherina Hess)
Widerstand gegen das NS-Regime: An Willi Graf erinnert eine Gedenktafel in der Mandlstraße in Schwabing.

An Willi Graf erinnert eine Gedenktafel in der Mandlstraße in Schwabing.

(Foto: Catherina Hess)

Franz-Joseph-Straße 13, Hinterhaus, und Mandlstraße 28 - Tafeln erinnern an ihre früheren Bewohnerinnen und Bewohner Scholl und Graf. "Es waren keine luxuriösen Wohnverhältnisse, sondern die Studierenden waren angewiesen darauf, dass ihnen jemand ein Zimmer vermietet. Natürlich sind Sie zur Universität gegangen, haben dort Vorlesungen gehört, haben aber auch darauf hingewirkt, die Flugblatt-Aktionen auszuweiten. Es machte alles eine enorme Arbeit. In der Weiße-Rose-Gedenkstätte in der Universität zeigen wir, wie ein Flugblatt entstanden ist. Man ging ja nicht einfach in einen Copyshop, sondern der Text musste mühsam auf Matrize geschrieben und mit einfachem Gerät abgezogen werden. Dann musste das getrocknet werden. Von Willi Graf gibt es eine Aussage, wie er an einem Nachmittag in die Wohnung der Scholls gekommen ist, und dann hätten sie zu viert stundenlang gearbeitet. Als er gegangen war, hatten sie gerade mal nur circa 2000 Abzüge hergestellt", erzählt Hildegard Kronawitter.

Straßennamen in der Studentenstadt

Widerstand gegen das NS-Regime: Die Hans-Leipelt-Straße in der Studentenstadt.

Die Hans-Leipelt-Straße in der Studentenstadt.

(Foto: Florian Peljak)

Bereits im Jahr 1946 hat die Stadt München damit begonnen, die Erinnerung an die Widerstandsgruppe auch im Stadtplan festzuschreiben. "Es ist unglaublich spannend, dass es bereits im Juni 1945 ein Einschreiben gab an den damaligen Oberbürgermeister Scharnagl. Man möge nach den Geschwistern Scholl, Kurt Huber und Alexander Schmorell Straßen benennen, um sie für ihre Tat zu würdigen, hieß es darin. Dann gibt es nach drei Monaten noch mal ein Schreiben. Da wendet sich wieder ein Bürger an den Oberbürgermeister und formuliert, die Stadt München sei verpflichtet, alle Menschen zu ehren, die unter der Nationalsozialisten gelitten haben", berichtet die Vorsitzende der "Weiße Rose"-Stiftung. Die Rondells vor der Ludwig-Maximilian-Universität wurden zum Professor-Huber-Platz und dem Geschwister-Scholl-Platz, ein Platz in Harlaching zum Alexander-Schmorell-Platz. 1963 entschied die Stadt, dass die Widerstandskämpfer Willi Graf, Christoph Probst und Hans Leipelt Namensgeber für Straßen in der neuen Studentenstadt Freimann sein sollten. Unter den Straßenschildern sind kleine Infotafeln mit den Lebensläufen angebracht. Später wurde eine Sporthalle nach Hans Scholl benannt. Und das renovierte Blaue Haus wird zum Sophie-Scholl-Haus.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusHinrichtung der Geschwister Scholl vor 80 Jahren
:Im Namen des Terrors

Nur vier Tage verstrichen zwischen der Verhaftung der Geschwister Hans und Sophie Scholl am 18. Februar 1943 und ihrer Ermordung. Ein Blick in die Maschinerie der nationalsozialistischen Gewaltjustiz.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: