Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung:Hochwertiger Journalismus ist "notwendiger denn je"

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Katja Wildermuth ist Intendantin des Bayerischen Rundfunks. (Foto: Markus Konvalin)

In der jährlichen Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung betont BR-Intendantin Katja Wildermuth die Bedeutung unabhängiger, seriöser Medien - und fordert Regeln für Digitalkonzerne.

Von Jakob Wetzel

Reichweite erzeugen, Menschen erreichen, Informationen verbreiten: Für die Geschwister Scholl, für Alexander Schmorell, Christoph Probst und die anderen Widerständler der Weißen Rose ist das damals mühsam gewesen. Sie tippten den Text ihrer Flugblätter mit der Schreibmaschine auf Matrizen, und diese steckten sie dann in einen Hektographen, um Abzüge anzufertigen, einen nach dem anderen, solange Papier, Druckfarbe und Zeit reichten. Man kann sich diesen Vorgang in einem kurzen Film ansehen, der in der Denkstätte Weiße Rose im Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) gezeigt wird. Und es ist ein spannendes Gedankenspiel, zu fragen: Wie wäre das heute gewesen?

"Wie hätte die Weiße Rose in Zeiten des Internets agiert?", fragt Katja Wildermuth bei der Gedächtnisvorlesung zum Gedenken an die Weiße Rose, die am späten Dienstagabend auf ARD-Alpha ausgestrahlt worden und nun für fünf Jahre in der Mediathek zu sehen ist. "Heute wären es wohl nicht Flugblätter gewesen, sondern Internetposts und Foren in sozialen Netzwerken", sagt die Intendantin des Bayerischen Rundfunks (BR). Aber wäre ihnen der Widerstand damit leichter gefallen? Hätten sie sich über den Kurznachrichtendienst Telegram einfacher, heimlicher verabreden können? Hätten sie den Widerstand effizienter organisieren können? Oder gerade nicht? Denn auch das Internet lasse sich kontrollieren, sagt Wildermuth, das zeige sich in Staaten wie Russland oder China. "Ich mag mir kaum ausmalen, wie ein nationalsozialistischer Überwachungsstaat sich ausgestattet hätte, um eine vollständige Kontrolle über alle Menschen auszuüben."

Mit der Gedächtnisvorlesung erinnern an der LMU jährlich wechselnde Redner an die Widerstandsgruppe. Früher sprachen sie im vollem Audimax, nun blickt Wildermuth pandemiebedingt in eine Kamera. Sie steht in der Denkstätte hinter dem Lichthof der LMU, in den 1943 das sechste und letzte Flugblatt der Weißen Rose geflattert war. Hinter der Intendantin sind verschwommen Fotografien der Widerständler zu sehen. "Gesellschaftlicher Zusammenhalt und mediale Verantwortung" heißt ihr Vortrag; welche Chancen und Risiken die Digitalisierung und die sozialen Medien bergen, ist ihr Thema - und auch, welche Verantwortung Medienhäuser und die Politik tragen, um die Gesellschaft zusammen und die Demokratie lebendig zu halten.

"Investigativer Journalismus findet nicht bei Google, Facebook und Co. statt."

Denn auch in einem demokratisch gefestigten Land sei längst nicht ausgemacht, dass die Chancen überwiegen. Die Digitalisierung habe das nach 1945 sorgfältig ausgestaltete deutsche Mediensystem durcheinander gewirbelt, sagt Wildermuth. Technologiekonzerne übten de facto mindestens so viel Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung aus wie die traditionellen Medienhäuser. Es komme nun auf die Medien an: "Hochwertiger Journalismus ist gerade in der heutigen Welt notwendiger denn je", meint Wildermuth. Dabei gehe es immer auch um publizistische Verantwortung. Qualitätsmedien hielten Standards hoch, trennten Fakten von Meinung und Information von Werbung, sie gewährleisteten Fairness und würden auch für ihre Fehler einstehen. Im Netz dagegen komme Differenzierung oft zu kurz. Meist setze sich der Aufreger durch, komplexe Botschaften blieben auf der Strecke. Und: "Investigativer Journalismus findet nicht bei Google, Facebook und Co. statt."

Auch den Gesetzgeber sieht Wildermuth in der Pflicht. Wenn immer mehr Menschen ihr Smartphone, "Alexa" oder "Siri" nach "den Nachrichten" fragten, brauche es Regeln, damit die Inhalte traditioneller Medien auch weiterhin den Weg zu den Nutzern fänden. Und es komme auf die Nutzerinnen und Nutzer an, darauf, dass die kompetent unterscheiden könnten zwischen authentischen Informationen und Propaganda. Am Ende brauche es mündige und kundige Bürger, die nicht nur ihre Smartphones bedienen, sondern auch beurteilen können, was ihnen das kleine Display anzeigt.

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