Süddeutsche Zeitung

Adventszeit:Münchens Weihnachtsmarkt-Tradition

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Das Spektrum der Christkindlmärkte in der Stadt ist groß: Neben den Klassikern in der Innenstadt oder in Schwabing findet sich eine Reihe alternativer Orte. Und der Glühwein? Den gibt es, kaum zu glauben, in München noch gar nicht so lange.

Von Franz Kotteder

Wenn man dem Wirtschaftsreferenten Clemens Baumgärtner (CSU) und seiner Veranstaltungsabteilung glauben möchte, dann hat der Christkindlmarkt vor dem Rathaus eine Tradition, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht. Denn schon auf den sogenannten Nikolaimärkten hätten die alten Münchner "Nützliches, Schönes und Nahrhaftes eingekauft". Man könnte jetzt fragen, was man seinerzeit darunter verstand, oder auch, wo sich denn auf unseren aktuellen Christkindlmärkten eigentlich überhaupt noch "Nützliches, Schönes und Nahrhaftes" finden lässt? Aber das wäre natürlich schon ein bisschen defätistisch, und Christkindlmarkthasser gibt es in dieser Stadt eigentlich schon genug.

Das ist aber nicht weiter erstaunlich, schließlich gibt es schon mehr als genug Christkindlmärkte. Nach amtlicher Zählung sind es bereits "über 30 größere und kleinere", wobei die gefühlte Zahl eher bei "über 130" liegt. Denn kaum neigt sich der Monat November seinem Ende entgegen, schon scheinen sie auf jeder freien Fläche, die größer als drei oder vier Autoparkplätze ist, aus dem Boden zu schießen. Öffnet man im Dezember die Haustüre, kann es leicht sein, dass man über eine Bretterbude stolpert, einem Weihnachtsmann in die Arme fällt oder mindestens von Glühweinschwaden umweht wird.

Nun gut, das war jetzt ein bisschen übertrieben. Aber dennoch kann man leicht den Eindruck gewinnen, jeder Einzelhändler und jedes Großunternehmen dieser Stadt übe sich dieser Tage im erbarmungslosen Vollzug der "staadn Zeit" vor Heiligabend. Und nicht selten geschieht das durch die Aufstellung eines Christkindl-, Weihnachts-, Winterzauber- oder sonstigen Marktes, der individuell auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten wird. "Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen", wie es in der Bibel heißt, ist damit nur bedingt zu erreichen. Gelegentlich tut man sich auch sichtlich schwer, adäquate Weihnachtsstimmung zu verbreiten. Besonders an verkehrsreichen Plätzen geraten die Budendörfer dann gerne mal zu astreinen Tristkindlmärkten.

Der Begriff "Tradition" im Zusammenhang mit Christkindlmarkt ist ohnehin problematisch. Woher weiß man schon so genau, was vor 700 Jahren die Adventszeit ausmachte? Fette Bratwürste dürften Jahrhunderte lang wohl nicht zum Standard gehört haben, weil die breite Bevölkerung sowieso froh war, wenn sie überhaupt etwas zum Nagen und zum Beißen hatte. Und der Glühwein? Denn gibt es - kaum zu glauben - erst seit 49 Jahren auf dem Christkindlmarkt, der sich damals noch beim Hochbunker an der Blumenstraße befand. Eingeführt hat ihn die Standlbetreiberin Karola Reuss. Eigentlich verkaufte sie Christbaumkugeln, aber dann fragte sie sich im Jahr 1969 eines Tages, warum es denn keine heißen Getränke auf dem Markt gebe? Zusammen mit ihrem Mann eröffnete sie im Jahr darauf einen Stand für Heißgetränke mit Kaffee, Tee, Milch, Kakao - und eben Glühwein nach einem alten Familienrezept. Karola Reuss ist bereits verstorben, ihren Stand gibt es noch immer, seit 1972 auf dem Marienplatz: Nummer 58, "Glühwein nach Großmutterart" steht auf dem Schild, ihr Sohn führt ihn zusammen mit seiner Frau weiter.

Was da so relativ spät eingeführt wurde, steht heute flächendeckend für Weihnachtsmärkte generell. Das hat Auswirkungen bis auf die Theresienwiese und den Weihnachtsmarkt des Tollwood-Winterfestivals. Dort gibt es ja nicht nur die riesigen Bazar-Zelte mit allerlei leicht verschenkbarer Multikulti-Keramik, peruanischen Strickhandtaschen, Saris, marokkanischen Ledergürteln, kenianischen Sandalen und wärmenden Folkloredecken, die angeblich mit original Lama-Spucke aus dem Himalaja wetterfest imprägniert wurden, und anderen Öko-Klimbim. Sondern es gibt auch eine erkleckliche Anzahl von großen Glühweinbuden, in denen beinahe jegliche Art von erhitzbarem Alkohol zu bekommen ist und um die sich an föhnwarmen Frühwinterabenden oft große (Glühwein)-Trauben bilden, sodass man meinen könnte, der halbe Ballermann sei wegen der rigiden mallorquinischen Behörden hierher ins Exil geflüchtet.

Nein, "Tradition", das ist dann vielleicht doch eher der Kripperlmarkt, in diesem Jahr vor dem Alten Peter situiert. Weihnachtskrippen sind zwar ein wenig aus der Mode, aber in vielen Familien werden sie weiterhin Jahr für Jahr aufgestellt und liebevoll erneuert, wenn etwas kaputtgegangen ist. Das zeigt allein schon der Andrang, den das Bayerische Nationalmuseum jeden Winter in seiner Krippensammlung zu verzeichnen hat. Vielleicht gibt es deshalb dieses Jahr gleich zwei große Krippen im Prunkhof des Rathauses und eine am Marienplatz beim Rindermarkt zu bestaunen. Traditionelle adventliche Volksmusik wechselnder Qualität gibt es täglich um 17.30 Uhr vom Rathausbalkon zu hören. Und donnerstags kann man sie um 16.30 Uhr zusammen mit den Musikantinnen Traudi Siferlinger und Monika Drasch sogar selber singen und musizieren, jeweils eine halbe Stunde lang.

Wer's lieber ein bisschen gruselig mag, mit Anklängen ans vorchristliche Brauchtum rund um den Jahreswechsel, der möge doch den Schaulauf der Krampusse (rund 300 Mitwirkende!) am 8. Dezember um 15 Uhr besuchen. Jenen, denen Christkindlmärkte generell ein Graus sind, wird das nicht helfen. Aber es bleibt ihnen ja unbenommen, sich in dem vielfältigen Angebot an Weihnachtsmärkten den herauszusuchen, dessen Angebot ihnen entgegenkommt, und seinen Besuch zur eigenen Tradition werden zu lassen. Hilft auch das nichts, dann bleibt wohl nur noch die Flucht auf eine einsame Insel.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2019
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