Süddeutsche Zeitung

Kolumne Null Acht Neun:Oh, ein Tannenbaum!

Fußball, Kunstraub, Bahnprojekte: Gründe, sich zu ärgern, gibt es etliche. Zum Glück aber gibt's jetzt wieder die Christbäume.

Glosse von Christiane Lutz

In München ist gute Laune eine Frage der Haltung. Wer schon länger hier lebt, der weiß das. In München ist abends tote Hose? Hier ist man einfach eher besinnlich unterwegs. Die Wohnungen sind zu teuer? Prima, ein Grund mehr, zusammen zu wohnen. Man könnte sagen: Mist, die schönen Lederhandschuhe in der Tram liegenlassen, mit der man fahren musste, weil es geregnet hat. Man sagt besser: Ist doch gut, dass die schönen Lederhandschuhe in der Tram liegen geblieben sind und nicht auf der regennassen Straße.

So soll diese Woche, wenn man jetzt am Wochenende ausgeruht auf sie zurückschaut, auch nicht eingehen in die Geschichte als die Woche, in der die deutsche Nationalmannschaft in Katar kein Zeichen gegen irgendwas setzte und trotzdem gegen Japan verlor. Es war auch nicht die Woche, in der in Manching ein millionenschwerer Goldschatz geklaut wurde, weil die Alarmanlage genau in dem Moment nicht funktionierte, als die Diebe sich anschlichen. Es war auch nicht die Woche, in der sich die zweite Stammstrecke um geschätzte 25 Jahre verspätete.

Nein, es war vor allem: die Christbaumwoche. Allüberall in München wurden sie ausgesucht, angeschleppt und aufgerichtet, die öffentlichen Christbäume. Auf Plätzchen und Plätze gestellt, in Empfangshallen und ausgelassene Brunnenbecken. Am Montag zählte der Bürgermeister am Marienplatz feierlich den Countdown runter und die Sibirische Weißtanne aus dem Landkreis Weilheim-Schongau wurde angeknipst, während die Mandelröster die Mandelröstmaschinen anwarfen. Über dem Marienplatz schwebte ein sehr ernster Duft von Weihnachtsmarkt, und die Stadt war wild entschlossen, sich heimelig zu präsentieren und einladend. Und selbst im Eingangsbereich einer überregionalen süddeutschen Zeitung konnte man live dabei sein, wie zwei emsige Helfer fußballgroße Kugeln aus Kisten packten und an eine tadellose Tanne hefteten.

Beim genaueren Betrachten diverser errichteter Christbäume fiel zwar auf, da waren oft nur sehr wenig Lichtlein oder, auch solche gab es, gar keine. Kann man jetzt beklagenswert finden oder einfach argumentieren, dass weniger Lichtlein weniger Strom und so weiter.

Denn mal ganz ohne Ironie: Es ist doch schön, dass sie da sind, diese Christbäume. Es war wohl nie schöner als dieses Jahr, dass sie da sind. Trotz all der Krisen und Katastrophen, oder gerade wegen ihnen. Denn je schlimmer der Zustand der Welt, desto rührender doch die Gesten, die dem was entgegen setzen wollen. Es ist, als erinnerten sich die Münchner gerade erst langsam wieder daran, wie das geht, ein bisschen sinnlos im Dunkeln glitzern, einfach, weil's schön aussieht. An das Gefühl also, für das die Stadt eigentlich mal berühmt war. Also kurz mal weg mit Zynismus und dem "Brauchen wir nicht" und ruhig ran die Bäumchen, die Stadt ist voll von ihnen. Denn: Sich nicht freuen bringt ja auch niemanden weiter.

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