Süddeutsche Zeitung

In der Backstube:Wer den Teig probiert, kann Weihnachten schon schmecken

Lesezeit: 3 min

Es scheint wie eine Wissenschaft: exakt 1050 Gramm bei exakt 185 Grad. Bei den Stollen der Familienbäckerei Brücklmaier kommt es auf jede Kleinigkeit an.

Von Franziska Gerlach

Stollenteig und Mensch, die beiden haben doch mehr gemeinsam, als man annehmen möchte. Wenn er zum Beispiel joggen war, sagt Sebastian Brücklmaier, dann könne er danach nicht gleich Tennis spielen. Er braucht dann erst einmal eine kurze Verschnaufpause. Und so sei das mit dem Teig des Münchner-Kindl-Stollens eben auch, erläutert der 27-jährige Bäckermeister. Bevor der in der Backstube des Perlacher Familienbetriebs in den Ofen kommt, muss er noch zehn Minuten "entspannen", wie Bäcker dazu sagen, wenn der Teig ruht.

Also warten an diesem Novembertag 18 Stollen in ihren eingefetteten Formen, oben drauf ein Deckel, damit das Ganze beim Backen nicht über den Rand läuft. Mit einem Stollen ist es offenbar wie mit einem kleinen Kind - er benötigt Zeit und Zuwendung. Seit Brücklmaier drei Stunden zuvor begonnen hat, die Früchte und Nüsse unter die helle Masse aus Mehl, Zucker und Butter zu heben, hat der Bäckermeister immer wieder nachgesehen, wie sich der Teig entwickelt. Ob er sich von den Strapazen des Knetens und Mischens erholt, ob die Hefe optimal "arbeiten" kann, selbst seine Temperatur hat er mit einem speziellen Thermometer gemessen. "24,5 Grad", sagt der Bäckermeister an seiner hölzernen Arbeitsplatte stehend, das sei ideal. Sei der Teig nämlich zu warm, werde die Butter weich, eine mitunter recht klebrige Angelegenheit.

Gerade ist der Brücklmaier dabei, 20 Kilo Teig in einzelne Stollen à 1050 Gramm zu portionieren. Groß und rund liegt der Klops vor ihm auf einer dünnen Schicht Mehl, eine mit Rosinen, Macadamia-Nüssen und braunen Mandeln durchsetzte Masse. Doch wer ein Fitzelchen probiert von Brücklmaiers üppigem Teigberg, der kann Weihnachten schon sehr deutlich schmecken: Zimt, Nelken, Anis, Kardamom und Koriander, all diese Gewürze enthält der Münchner-Kindl-Stollen.

Für vorweihnachtliche Sentimentalitäten hat der Bäckermeister in diesem Moment allerdings keine Muße, zu beschäftigt ist er mit Abwiegen und Messen. Das Backen von Stollen erfordert einige Präzision: Im Ofen der Bäckerei Brücklmaier, die sieben Filialen in München betreibt, muss der Stollen bei 185 Grad Celsius 63 Minuten backen. Und ehe der fertige Stollen anschließend mit Zucker und Butter bestrichen wird, muss er auf exakt 50 Grad Celsius abkühlen. Kein Grad weniger, aber auch keines mehr, das ist wichtig. Sonst könne sich der Puderzucker gelblich verfärben, erklärt Brücklmaier.

Denn auch diese 18 Stollen sollen ja so gut geraten wie jener, für den der Familienbetrieb bei der diesjährigen Stollenprüfung der Bäcker-Innung München und Landsberg nun eine von zehn Goldmedaillen erhalten hat - eine Auszeichnung für alle, die in den Jahren zuvor bereits mit der Note "sehr gut" abgeschnitten haben. Ein Mitarbeiter des Deutschen Brotinstituts in Weinheim hat die Prüfung der Stollen, an der auch Brücklmaier "zur Qualitätssicherung" mitgemacht hat, vorgenommen. 130 mögliche Mängel listet dessen Prüfungsbogen auf, erläutert Heinz Hoffmann, Obermeister der Bäcker-Innung München und Landsberg, nun bei einer Pressekonferenz: ungleichmäßige Zuckerbeläge oder unregelmäßige Formen der Stollen - beides nicht so schön. Aber auch verbrannte Rosinen oder ein bitterer Geschmack, wie er durch alte Nüsse entstehen könne, führten zu Punktabzügen.

Seit 1982 bietet die Bäcker-Innung München und Landsberg ihren Mitgliedern die Prüfung ihrer Stollen an, als erste Stadt in Deutschland überhaupt. 2019 haben 20 Bäckereien insgesamt 126 Stollen und Früchtebrote zur Bewertung vorgelegt: Klassiker wie Marillen- oder Quarkstollen etwa, aber auch exotische Kreationen wie Pina-Colada-Stollen, Ingwer-Stollen oder ein Himbeer-Mango-Stollen waren dabei. Und eben zahlreiche Münchner-Kindl-Stollen. Seit mehr als zehn Jahren gibt es diesen Stollen, den nur Betriebe der Bäcker-Innung München und Landsberg herstellen dürfen. Markenzeichen: die Macadamia-Nuss. "Zuerst haben wir die gar nicht aufgekriegt", erzählt Hoffmann. Doch siehe da, die Nuss mache sich wunderbar in den Münchner Stollen. Sie sei nicht nur weich, sondern sehe auch im Anschnitt hübsch aus.

In Perlach wandert beim Kneten gerade eine dieser runden, ursprünglich aus Australien stammenden Nüsse an die Oberfläche des Teiges. "Da muss man aufpassen", sagt Brücklmaier und schiebt den Ausreißer in den Teig zurück. Fällt die Nuss ab, wenn der Stollen nach dem Backen "gezuckert" wird, bleibt eine kleine Delle. Und die wiederum führt zu Punktabzug bei der Stollenprüfung. Da gehe es wirklich um die kleinsten Kleinigkeiten. Der Bäckermeister zieht den Teig auf seiner Arbeitsplatte nach vorne, zieht ihn wieder zurück, beinahe zärtlich. Am längsten, sagt Brücklmaier, hielten sich Stollen im Übrigen an einem feuchten, kalten Ort. Die Bäckerfamilie, die ihren Betrieb schon seit 1883 führt, lagert daher jedes Jahr einen Stollen im Keller ein, den sie erst an Ostern isst. Eine Art Test. Und dieser "komplett durchgezogene" Teststollen schmecke auch tatsächlich anders als der an Weihnachten. Viel intensiver, weil Nüsse, Rosinen und Gewürze mehr Zeit gehabt hätten. Zeit, ihr weihnachtliches Aroma zu entfalten.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2019
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