Weihnachten im Seniorenheim:Ein besonderes Fest

Weihnachten im Seniorenheim: Mit vielen Erinnerungen aus der Kindheit verbunden ist Heiligabend für Renate Jung (links) und Erika Mader (rechts), die im Münchenstift-Haus Heilig Geist leben. Für Elisabet und Wolfgang Näher, die im Münchnenstift-Haus an der Effnerstraße leben, fällt in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie das Familienfest aus. Fotos: Catherina Hess, Stephan Rumpf (2)

Mit vielen Erinnerungen aus der Kindheit verbunden ist Heiligabend für Renate Jung (links) und Erika Mader (rechts), die im Münchenstift-Haus Heilig Geist leben. Für Elisabet und Wolfgang Näher, die im Münchnenstift-Haus an der Effnerstraße leben, fällt in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie das Familienfest aus. Fotos: Catherina Hess, Stephan Rumpf (2)

Die Weihnachtszeit ist für Menschen, die in Seniorenheimen leben, nie einfach: Wenn andernorts die Familien zusammenrücken, wird deutlich, dass Alter auch einsam machen kann. Nun verschärft Corona die Situation - und doch es gibt auch Gründe zur Freude.

Von Sven Loerzer

Einfach war es nicht für Erika Mader, die eigene Wohnung aufzugeben. Vor zwei Jahren war die 83-Jährige sehr krank, "ich war nicht mehr fähig allein zu sein", die Wohnung im zweiten Stock ohne Lift, "ich habe das alles nicht mehr geschafft". Ja, sagt die ehemals selbständige Schneiderin, "es ist schon ein schwerer Schritt, die eigene Wohnung aufzugeben, ich träume immer wieder davon, dass ich dort etwas mache, aber in der Früh, wenn ich aufwache, ist es Schall und Rauch. Vorbei."

Jetzt lebt sie im Münchenstift-Haus Heilig Geist in Neuhausen, schiebt wehmütige Gedanken weg: "Ich bin sehr froh darum. Es ist sehr schön hier." Wenn nur das Virus nicht wäre. "Das hat uns einen dicken Strich durch unsere Aktivitäten gemacht. Wir haben geturnt, Yoga gemacht, gesungen und gekocht, wo wir alle beinander waren. Das geht jetzt nicht mehr, leider Gottes. Da sind wir alle schon sehr traurig. Wir dürfen nicht mehr näher beinander sein, ist ja klar." Selbstverständlich werde sie sich impfen lassen, sie hoffe, dass es dann endlich vorbei ist im nächsten Jahr mit Corona, das die Menschen auseinanderbringt.

Weihnachten, das Fest, bei dem Familien in gewöhnlichen Jahren enger zusammenrücken, ist für Menschen, die im Seniorenheim leben, nie ganz einfach gewesen. Denn es unterstreicht um so mehr, dass das Alter auch zunehmend einsam machen kann. Die Wärme des Kerzenlichts existiert nur mehr in der Erinnerung. Erika Mader hat keine Kinder, "die Menschen, die zu mir kommen könnten, wohnen weit weg, das lohnt sich nicht für eine halbe Stunde Besuch". Mehr ist im Moment nicht drin, und auch nur mit Test und FFP2-Maske, um die Bewohner von Seniorenheimen vor dem Virus zu schützen, der ihr Leben bedroht.

"Es gibt ein paar Kleinigkeiten und wir machen eine Flasche Wein auf. Ein bisschen muss man schon feiern"

Heiligabend, wie das früher war, daran erinnert sich Erika Mader gerne: "Es war wunderschön, schon die Tage zuvor voller Spannung, was alles auf einen zukommt, und Heimlichkeiten, weil etwas versteckt wurde. Es war wirklich eine schöne Zeit." Mit Weihnachten verbindet Erika Mader auch Schnee, "früher, in meiner Kinderzeit, haben wir viel Schnee gehabt - und nicht das Passende zum Anziehen. Der Weg zur Schule war weit, da haben wir halt gefroren." Als echtes "Münchner Kindl" hat sie das Weihnachten der Nachkriegszeit noch in Erinnerung, "ein bisserl ärmlich". Da seien die Puppen neu angezogen und die Spielsachen erneuert und für Weihnachten hergerichtet worden.

Ein Christbaum gehörte dazu, auch später, wenn sie mit ihren Katzen Weihnachten feierte, war es wenigstens noch ein kleiner. "Da ist schon immer jemand gekommen, oder ich bin zu Freunden gefahren." Und es gab "etwas Feines, ich habe eine Gans und Knödel gemacht. Das war zwar viel Arbeit, aber einem jeden hat es geschmeckt". Früher habe man ja noch ordentlich gegessen, nicht nur hier und da ein Stück. Zuvor schon hat sie gebacken, "es gab immer viele Plätzchen, zum Schnabulieren war genug da". Die ganz einfachen Butterplätzchen hatten es ihr angetan. "Leider habe ich hier keine Gelegenheit mehr zum Backen, das ist schon traurig." Ein wenig weihnachtlich hat sie es sich gemacht, mit einem Tannengesteck, "selber zusammengebastelt". Für einen Baum hätte sie keinen Platz und das "Gehänge zum Schmücken", das sei alles in der alten Wohnung geblieben.

Ganz allein wird Erika Mader nicht sein an Heiligabend, sie hat zwei Frauen aus dem Haus eingeladen, "es gibt ein paar Kleinigkeiten und wir machen eine Flasche Wein auf. Ein bisschen muss man schon feiern." Die Feiertage werde sie dann "allein wie immer" verbringen: "Ich habe da nicht viel Schwierigkeiten, ich war lange Zeit allein."

"Wir haben die glückliche Natur, nicht aus allem ein Problem zu machen"

Schon mehr als 60 Jahre feiern Elisabet und Wolfgang Näher zusammen Weihnachten, 1959 haben die beiden geheiratet, im nächsten Jahr werden beide 90 Jahre alt. Geschenke gebe es nicht, "wir beschenken uns das ganze Jahr mit unserer Anwesenheit", sagt Wolfgang Näher und lacht. Seine Frau kann sich noch gut an ihr erstes gemeinsames Weihnachten erinnern, sie hatten gerade eine kleine Wohnung im Lehel bezogen. Viel stand noch nicht drin, ein großer Bücherschrank, eine Couch, eine Matratze, im Schlafzimmer standen zwei große Kartons. "Mein Mann schrieb noch an seiner Doktorarbeit", erzählt Elisabet Näher, "es ging sparsam zu, aber wir hatten eine süße, kleine Tochter."

Eigentlich hatten sie für dieses Jahr ausgemacht, ihre Tochter in München zu treffen, aber auch das wird wahrscheinlich ausfallen, so wie das Familientreffen, das sonst abwechselnd bei einer der beiden Töchter stattfand, seitdem die Eltern im Münchenstift-Haus an der Effnerstraße eingezogen sind. Vier Jahre ist das nun her, damals sei ihnen bewusst geworden, dass sie schon alt seien, sagt Wolfgang Näher. Das "sehr schöne Reihenhaus" sei viel zu groß gewesen, deshalb hätten sie sich 25 Altenheime angeschaut. Im Münchenstift-Haus fühlen sie sich wohl. "Man tut viel für uns hier im Haus", sagt seine Frau. Vor Corona gab es Gymnastik, da wurde Stadt, Land, Fluss gespielt, und auch die Volkshochschule gestaltete ein Angebot. Doch nun geht wenig, vor kurzem waren vier Blechbläser im Garten des Hauses und spielten Weihnachtslieder.

Sein traurigstes Weihnachten habe er 1944 erlebt, sagt der ehemalige Limnologe, der in der Gewässer- und Kläranlagenüberwachung arbeitete. Damals musste sich sein Vater einen Großteil seines Magens entfernen lassen. Weihnachten in seiner Heimat Kempten sei ja sehr andächtig begangen worden, viel gab es da nicht, einen gestrickten Skipullover und ein paar Kleinigkeiten, "heute ist alles zu sehr kommerzialisiert". Seine Frau, die aus Glücksburg bei Flensburg stammt, verbindet Heiligabend mit dem Spaziergang durch den verschneiten Wald zur Glücksburger Schlosskirche - ein Ritual: "Wir waren keine Kirchgänger."

Für Elisabet und Wolfgang Näher gehörte zu den Festtagen, als die eigenen Töchter klein waren, immer auch ein "sehr gutes Essen". Reh besorgte sich Näher aus Kempten, dazu gab es Spätzle. Heute ist ihnen das nicht mehr wichtig, die Tage gehen so schnell vorbei. Um Frühstück und Abendessen kümmern sich beide selbst, das Mittagessen kommt wegen Corona aufs Zimmer. Weihnachtsfeiern, wie sonst immer üblich, sind nicht möglich.

Ihre schönste Erinnerung hat Elisabet Näher an das Weihnachtsfest in den Siebzigerjahren, als sie ihr Mann, der Klavier und Cello spielt, zusammen mit den beiden Töchtern an Querflöte und Geige mit einem Hauskonzert inklusive Programmheft überraschte. Eigentlich ist er Anfang des Jahres drauf und dran gewesen, sich ein kleines Klavier zu kaufen, weil er seinen Flügel vermisst. Musik bedeutet beiden noch immer viel. Die Zeit der großen Reisen haben sie beendet, "es hört alles der Reihe nach auf", sagt Wolfgang Näher. "Das ist der ganz normale Gang."

Seit 2007 sein Bruder gestorben sei, habe er viele Freunde verloren, 84 Tote zählte er seitdem im näheren und weiteren Umfeld. "Die Menschenlandschaft um einen herum verödet." Natürlich hoffe er, verschont zu bleiben von Corona, es sei keine schöne Vorstellung, in eine Klinik gebracht zu werden. Angst habe er dennoch nicht, seine Gesundheit sei relativ robust, er müsse nicht bei der ersten Impfserie dabei sein. "Wir haben die glückliche Natur, nicht aus allem ein Problem zu machen." Man müsse flexibel bleiben, wenn ein Familientreffen nicht möglich sei, so gebe es doch das Telefon.

Mit einem neuen Fernseher und Youtube lässt sich wahrlich viel entdecken

Und Youtube, sagt Renate Jung, 80. Das breite Angebot an klassischer Musik hat sie mit ihrem neuen Fernseher für sich entdeckt. Die im ostpreußischen Masuren geborene ehemalige Musiklehrerin und Chorleiterin, die lange in Amerika lebte, liebt Bach. Für sie war es "ein ganz großes Glück", dass sie in der Kirche des Münchenstift-Hauses Heilig Geist in Neuhausen auf dem dort stehenden Klavier spielen darf. Sechs Kinder waren sie zuhause, ihre älteste Schwester, so überliefert es ihre Familie, brachte Renate kurz vor ihrem zweiten Geburtstag das Weihnachtsgedicht "Von drauß' vom Walde komm ich her" bei. Erinnern kann sie sich daran freilich nicht mehr, auch von der Flucht aus Ostpreußen ist ihr wenig im Gedächtnis geblieben: "Es war schlimm." Seit einem Jahr ist Renate Jung nun in Heilig Geist, "die Beine haben plötzlich nachgegeben, ich konnte nicht mehr aufstehen". Zurück in ihre Wohnung im dritten Stock ohne Lift, das ging nicht mehr.

In der Familie sei früher feierlich die Bescherung zelebriert worden, nachdem der älteste Bruder das Weihnachtsevangelium gelesen und die Familie Weihnachtslieder gesungen habe. Meistens gab es Gans, Plätzchen und Mohnkuchen. Der Christbaum hatte noch echte Kerzen und "viel Lametta". Und trotz Armut in den Nachkriegsjahren ging ihr großer Wunsch in Erfüllung: Rollschuhe.

Vom gemeinsamem Weihnachtserlebnis lässt das Coronajahr nicht viel übrig. Das Essen im Heim werde in der Wohnbereichsküche serviert, natürlich auf Abstand, ob die beiden Gottesdienste stattfinden können, ist nicht sicher. An den Feiertagen Besuch, auf eine halbe Stunde, mit Schnelltest. "Alles nicht so schlimm", wiegelt Renate Jung ab. Und freut sich an ihrem eigenen "wunderschönen Christbäumchen, mit Kugeln und Kerzen" als Reminiszenz an fröhlichere Tage.

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