Die Schlange ist lang. Weit über den Christbaum hinaus, der an der Brunnenschleife am Sendlinger-Tor-Platz steht. Alle wollen am Kassenhäuschen das dunkelgrüne Ticket für eine besondere Fahrt: mit der Christkindltram durch die Münchner Innenstadt.
Kurz vor 11 Uhr. Der 55. Strich auf der Liste ist gemacht. Nichts geht mehr. „55 Personen pro Fahrt sind erlaubt“, sagt Jürgen Öllinger von der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG). Aus gutem Grund. Damit man sich noch bewegen kann im schmalen Gang der Tram, genügend Platz hat. „11-Uhr-Fahrt ausverkauft“, schreibt er an eine Tafel. Und nur ein paar Stunden später heißt es auf der Webseite der MVG, dass es sogar für den ganzen Tag keine Tickets mehr gibt.
Öllinger ist froh, dass es mit der Christkindltram überhaupt noch geklappt hat. Denn Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) habe sich recht kurzfristig wieder eine solche Straßenbahn gewünscht. Drei Wochen Zeit habe man am Ende nur gehabt, um alles zu organisieren. Die Fahrer, die Genehmigung beim Kreisverwaltungsreferat, die Genehmigung für den Alkoholausschank.


Vor 30 Jahren ist die Christkindltram zum ersten Mal durch München geruckelt. Doch dann kam Corona. „Umso schöner, dass sie jetzt wieder fährt“, sagt. Öllinger. Auch wenn es nicht der Museumszug ist, der „unbedingt“ repariert werden müsse.
So dunkelgrün wie das Ticket ist auch die Straßenbahn. Die weihnachtsgrüne Folie, die an die Seiten der Tram geklebt worden ist, zieren Tannenbäume und Schneekugeln. Den ersten Wagen schmückt ein Tannenkranz mit roter Schleife. Innen warten für die erste Fahrt am Tag unter Glitzergirlanden mit Nikolausmützen Virág Varayti und Robert Lujić. Glühwein und Kinderpunsch ausschenken, Lebkuchen nachfüllen, mit vielen Menschen reden. Seit drei Wochen ist Robert Lujić dabei, er liebe diese Fahrten, sagt er: „Die Leute sind so zufrieden.“
Er hat recht. Ein Blick in große Kinderaugen reicht. Der zweijährige Ben klebt an der Fensterscheibe und hat die Welt um sich vergessen. Er schaut und schaut. „Mein Sohn liebt alle öffentlichen Verkehrsmittel“, sagt Mama Elisabeth, 36. Zum ersten Mal ist sie mit ihrem Mann und Freunden in der Christkindltram unterwegs. Auch sie genießt die Stadtrundfahrt bei einem Becher Glühwein. „Das ist ein rollender Christkindlmarkt“, sagt sie. Nur viel wärmer.

Auf diese Weise durch München bummeln sei außerdem „wunderschön“. Dafür nehme man sich im Alltag doch nie die Zeit. Und sie sagt ein Wort, dass in der Weihnachtszeit Seltenheitswert haben dürfte: Entschleunigung. „Man fährt und kommt für 30 Minuten zur Ruhe“, beschreibt die Mutter ihr Erwachsenengefühl.
Auch die 77-jährige Helga Banasch stimmt sich zusammen mit ihren Töchtern Kirsten, 48, und Kristina, 46, auf ihren gemeinsamen Mutter-Töchter-Tag ein. Noch trinke sie Kinderpunsch, sagt sie. Später wollen sie noch von einem Christkindlmarkt auf den nächsten. „Aber dann mit Glühwein.“
Es ruckelt und rattert. Mancher Fahrgast balanciert einen übervollen Glühweinbecher an seinen Platz. Zu Bruch sei bis jetzt aber noch kein Becher gegangen, sagt Robert Lujić. Höchstens Glühwein verschüttet worden. Besonders bei den Abendfahrten, die vorwiegend junge Leute buchten. „Der Vormittag gehört den Familien.“ Nach jeder Fahrt holt er am Sendlinger Tor neuen Glühwein und saubere Tassen.
Vom Sendlinger Tor zum Isartor über das Maxmonument, die Maximilianstraße, den Lenbachplatz, Stachus und zurück zum Sendlinger Tor. Von Freitagnachmittag bis Sonntagabend fährt die Tram. Freitags sechs Fahrten, sonst zwölf. Egal, wo, und egal, wann Ralf Fischer klingelt – die Menschen bleiben stehen, machen Fotos und winken der Tram zu, die mit gemütlichen 20 Kilometern pro Stunde an Passanten vorbeifährt. An hastenden Menschen mit großen Tüten.
Endlich können auch Rollstuhlfahrer mitfahren
„Hier drinnen ist es so viel entspannter“, sagt Fischer, der schon so viele Male die Christkindltram gefahren ist. Eines vermisst er: die Klingel und „die Rassel“ des alten Museumswagens. Die seien viel schöner gewesen. Vor allem lauter. „Da sind die Autofahrer freiwillig auf die Seite gehupft“, erinnert er sich lachend. Trotz Nostalgieanwandlung freut es Fischer, dass in der neuen Bahn endlich auch Rollstuhlfahrer mitfahren können. „Einige, die das schon gemacht haben, hatten vor Freude Tränen in den Augen.“
Bis 15.15 Uhr fährt Fischer. Danach übernimmt sein Kollege die Abendschicht. Draußen leuchtet München dann im vorweihnachtlichen Glitzerlicht. Drinnen schenkt Robert Lujić wohl mehr Glühwein aus als um 11 Uhr.
Irgendwann nach Weihnachten wird die dunkelgrüne Weihnachtsfolie von der Tram abgezogen. Dann ist die Straßenbahn wieder so blau wie alle anderen in München.