Süddeutsche Zeitung

Innenstadt:"Rockin' around the Christmas tree" in Dauerschleife

Am ersten Adventswochenende scheint der Konsum alle, aber auch wirklich alle, ins Münchner Stadtzentrum getrieben zu haben. In der Christkindltram kommt man dem Trubel wenigstens für eine gute halbe Stunde aus.

Von Andreas Schubert

Man muss die Kellnerin schon bewundern, wie sie das Tablett durch den ruckelnden Oldtimer balanciert, ohne auch nur einen Tropfen Glühwein zu verschütten. Wie sie das schafft? Das wisse sie selbst nicht so genau, sagt sie. Manchmal werde es dann schon ein bisschen knapp, wenn sie sich durch die Leute hindurch quetschen muss. Kein Wunder: In der Christkindltram der Münchner Verkehrsgesellschaft herrscht wie eh und je Gedränge. Diejenigen, die keinen Sitzplatz bekommen haben, sind hauptsächlich damit beschäftigt, sich einerseits irgendwo festzuhalten, andererseits ja nichts von ihrem Punsch oder Glühwein zu verschütten.

Aus den Boxen dudelt eine Dauerschleife an rockigen Weihnachtsliedern: "Rockin' around the Christmas tree", "Jingle Bell rock", "Feliz Navidad", solche Sachen. Der Sound ist genauso zuckrig wie die Innenausstattung der Christkindltram. Die Haltestangen sehen eben aus wie Zuckerstangen, an der Decke klebt eine leicht glitzernde grüne Verkleidung, die Simse über den Fenstern sind mit Zweiglein verkleidet. So manche Bedienung trägt, natürlich, eine Nikolausmütze.

Auf den Beginn der Adventszeit, die Eröffnung der Christkindlmärkte, romantische Kutschfahrten in der Dämmerung durch den Englischen Garten und vor allem auf die Lichterdekos warten viele während des grauen Novembers fast schon sehnsüchtig. Und die Christkindltram, die jedes Jahr vom 30. November bis 23. Dezember, wochentags von 15 bis 19.30 Uhr und am Wochenende von 11.15 bis 19.30 Uhr unterwegs ist, ist ein idealer Start, sich auf den Advent einzustimmen. Dementsprechend erfreut sie sich größter Beliebtheit, nicht nur bei Touristen.

Schon eine halbe Stunde vor der Abfahrt - sie startet alle 45 Minuten am Sendlinger-Tor-Platz - bilden sich die ersten Schlangen am Ticketschalter, dann an der Haltestelle an der Brunnenschleife vor der Matthäuskirche. Dieses Jahr hat die MVG wieder einen Ticketschalter eingeführt, der auch spontane Fahrten mit der Tram möglich macht. Noch vergangenes Jahr mussten die Kunden mindestens 24 Stunden vorher online reservieren, was nicht so gut ankam und deshalb wieder abgeschafft wurde. Jetzt sitzt wieder ein freundlicher Mensch mit weihnachtlichem Phantasie-Outfit in der kleinen Bude und stempelt, ganz analog, die Abfahrtzeit per Hand mit einem altmodischen Datumsstempel auf die Tickets.

Weil es am ersten Adventssamstag dann doch ziemlich kalt ist, gehen schon am Stand vor der Haltestelle die Glühweine in weihnachtlichen MVG-Tassen über den Tresen. "Glühwein Rot oder Weiss von glücklichen Glühen" wird da in feinstem Verkehrsbetriebe-Humor angepriesen, vier Euro die Tasse. Und für besonders durstige Gruppen verkaufen sie am Stand das "Nikolausgedeck" - 1,9 Liter Glühwein in der Thermoskanne für 30 Euro. Wen das alles nicht ausreichend wärmt, der kann sich dann in der Tram selbst dank der geschickten Bedienung weiterwärmen, dazu passt ein zuckriger Donut for zwei Euro.

Die glühwein- respektive kinderpunschselige Fahrt der Christkindltram führt vom Sendlinger Tor über den Stachus, die Maximilianstraße zum Max-Weber-Platz, über den Gasteig zum Isartor, weiter über die Thierschstraße zum Maxmonument und von dort wieder über die Maximilianstraße und den Stachus zurück zum Sendlinger Tor. Etwa 35 Minuten dauert die Reise in den Advent, und wer dann mit Tempo 20 dahinzuckelnd von der erhöhten Sitzposition des historischen M-Wagens von 1957 auf all die glitzernden Weihnachtsdekos in der Maximilianstraße und die Glühweingondeln vor dem Hotel Vier Jahreszeiten schaut, wird wieder einmal daran erinnert, dass Kitsch klassenlos ist.

Überhaupt schien der Konsum am ersten Adventssamstag alle, aber auch wirklich alle, ins Münchner Stadtzentrum getrieben zu haben. Von der Tram aus bietet der Blick auf Theatiner- und Weinstraße ein Wimmelbild mit Zigtausenden Menschen mit Einkaufstaschen. Am Stachus der gleiche Anblick - und die Terrasse des Eiszaubers am Stachus ist auch komplett überfüllt. Aber dem Vernehmen nach - auch diese Verlautbarung gehört alle Jahre wieder zum festen Adventsprogramm - haben die Leute vor allem geschaut statt gekauft, wie der bayerische Handelsverband mitteilen lässt. Es habe noch kein "Geschenkefieber" geherrscht. Die Händler hätten sich mehr erhofft, hieß es - wie alle Jahre wieder. Glaubt man dem Handelsverband, müssen die vielen, vielen Menschen dann in all ihren bunten Tüten vor allem Luft durch die Gegend getragen haben. Großartig vorwärts kam man jedenfalls nicht in der Fußgängerzone.

In der Christkindltram kommt man dem Trubel zumindest für eine gute halbe Stunde aus. Die Fahrgäste sind gut gelaunt und entspannt, unter ihnen sind viele Familien mit kleinen Kindern und auch einige Erwachsenengrüppchen, die sich vom Shoppen kurz erholen wollen. Bis zum Fest sind es noch gut drei Wochen - verheißungsvoll trägt der Zug die Fahrzeugnummer 2412.

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SZ vom 02.12.2019/kbl
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