Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Vom Zauber des Beziehungsbäuchleins

Der Sohn wünscht sich Hemden zu Weihnachten: Die alten passen nicht mehr, seit er eine neue Freundin und deshalb etwas zugelegt hat.

Glosse von Stephan Handel

Der entfernt lebende Sohn ruft an, um seine Weihnachtswünsche mitzuteilen. Er sagt, er benötige für die Arbeit ein paar neue Hemden, die alten passen nicht mehr so recht: Seit einiger Zeit hat er eine neue Freundin, und das habe, sagt er, dazu geführt, dass er jetzt ein kleines "Beziehungsbäuchlein" vor sich hertrage.

Beziehungsbäuchlein. Ist das nicht bezaubernd? Männer haben ja viele Ausreden, um ihre Wampe zu euphemisieren: Der Stress, die vielen Dienstessen, keine Zeit für Sport, zu viele Schokoriegel zwischendurch. In den allermeisten Fällen aber ist es doch so, dass ihnen ab einem gewissen Alter alles egal ist, gemäß dem Ausspruch von Friedrich Torbergs Tante Jolesch: "Was ein Mann schöner is wie ein Aff, is ein Luxus."

Sie sprechen dann von ihrer Bierwampe als "Stauungen am Mittleren Ring", nennen sie ihren Knödelfriedhof und beharren darauf, dass ein Mann erst ab zwei Zentnern ein richtiger Mann sei. Immerhin - den ganzen Tag hart gearbeitet, da werde ich mir doch zum Abendessen einen Schweinsbraten und ein paar Halbe Bier gönnen können. Und Weihnachten ist ja auch nur einmal im Jahr, und die Gans und die Plätzchen und so jung kommen wir nicht mehr zusammen: Hoch die Tassen.

Wie viel zarter, wie viel poetischer ist doch die Vorstellung eines Beziehungsbäuchleins: Die Frau bringt den einsamen Jäger von seinem unsteten Leben ab, nicht mehr Tiefkühlpizza und durchgebrachte Nächte bestimmen seine Tage, sondern Regelmäßigkeit, ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung. Für Sport bleibt zwar immer noch zu wenig Zeit, dieser Mangel wird aber zumindest zu Beginn einer Beziehung durch andere kalorienzehrende Tätigkeiten ausgeglichen. Und anstatt jeden Abend durch die Clubs zu ziehen, sitzt der brav gewordene Night-Hero jetzt neben seiner Liebsten zuhause auf dem Sofa, sieht sich mit ihr eine romantische Liebeskomödie an und teilt eine Tüte Kartoffelchips. Das Beziehungsbäuchlein - jedem sei es vergönnt, so wie jedem eine Liebe zu gönnen ist. Die Hemden sind auf dem Weg, Sohn.

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