Ausstellung in München: „Schweigen schützt nur die Täter“

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Die durch ihren Mut bekannt gewordene Betroffene Gisèle Pelicot aus Frankreich wird in der Ausstellung zitiert. Die Kleidungsstücke stammen aber nicht von prominenten Personen. (Foto: Robert Haas)

Die Ausstellung „Was ich anhatte …“ zeigt die Kleidungsstücke von Betroffenen sexualisierter Gewalt und ihre Geschichten. Sie soll zeigen: Die Schuld liegt niemals bei den Opfern.

Von Katharina Haase

Wenn Ina über die Vergewaltigung schreibt, die sie durchleben musste, dann klingt das so: „Ich war wie gelähmt, und konnte nicht atmen – mich nicht bewegen und nicht reden.“ Im Mai 2022 war Ina auf dem Sofa eines Freundes eingeschlafen. Als sie aufwachte, war er über ihr. Vor Angst nicht reden können – das wird der jungen Frau später zum Verhängnis. Trotz vieler Beweise lässt die Staatsanwaltschaft die Anzeige gegen den Mann fallen. „Sie sagten mein Fehler bei der Vergewaltigung war, dass ich nicht Nein sagte!“

Neben Inas geschriebenen Worten, hängt die Kleidung, die sie in jener Nacht trug: Ein beigefarbenes T-Shirt, eine hellblaue Jeans – normale Alltagskleidung. Inas Outfit und ihre Geschichte sind Teil der Ausstellung „Was ich anhatte …“, die am Dienstag im Foyer des Kreisverwaltungsreferats in der Ruppertstraße eröffnet wurde und dort im Rahmen der Münchner Aktionswochen gegen Gewalt an Frauen stattfindet.

Die Idee stammt von Kuratorin Beatrix Wilmes, die sich bereits ihr ganzes berufliches Leben lang gegen die Gewalt an Frauen engagiert. Während der Corona-Pandemie startete sie einen Aufruf in den sozialen Medien und bat Betroffene sexueller Gewalt, ihr Kleidungsstücke zuzusenden. Die Resonanz war gewaltig. Zwölf Geschichten werden ausgestellt, eine Auswahl von Frauen, Mädchen aber auch Jungen und non-binären Menschen. Die jüngste Betroffene war zum Tatzeitpunkt sechs Jahre alt, die älteste über 80.

Es ist eine Installation, die zeigen soll: Sexualisierte Gewalt kann jeden treffen. Egal, wie alt man ist, egal, wo man ist und auch: egal, was man anhatte. Denn es ist genau diese Frage, die vielen Personen, denen sexualisierte Gewalt widerfahren ist, noch heute gestellt wird, wenn sie von dem Erlebten berichten: „Und was hattest du an?“ Der Subtext ist klar: „Hast du die Tat provoziert?“ Eine Frage, die die Opfer zu Täterinnen und die Täter zu Opfern macht.

Fast 200 Menschen sind am Dienstag gekommen. Der Großteil von ihnen ist weiblich. Statistisch gesehen wird jede dritte Frau im Saal am Ende ihres Lebens selbst einmal Opfer sexualisierter Gewalt geworden sein. Bürgermeister Dominik Krause (Grüne) spricht bei der Eröffnung von mehr als 2000 Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die im vergangenen Jahr in München gezählt wurden. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Zwar gebe es München ein Bündnis von 66 Organisationen, die sich diesem Thema widmeten, so Krause, doch „so wichtig sie sind, desto bitterer ist ihre Notwendigkeit“. Der Ansatz müsse eigentlich ein anderer sein. „Frauen ist am besten geholfen, wenn Männer gar nicht erst zu Tätern werden.“

Tatsächlich ist die Gewalt an Frauen tief in der Gesellschaft verankert. In einer Studie der Kinderrechtsorganisation Plan International im Jahr 2023 unter Männern zwischen 18 und 35 Jahren in Deutschland gaben 37 Prozent der Befragten an, aufreizendes Verhalten oder Kleidung von Frauen als Aufforderung zu verstehen. 34 Prozent erklärten, schon einmal handgreiflich gegenüber einer Frau geworden zu sein, um ihr Respekt einzuflößen.

Auch um das künftig zu verhindern, sollen in München von Januar an Kurse angeboten werden, in denen Frauen sich zu Selbstbehauptungs- und Selbstverteidungstrainerinnen ausbilden lassen können, erklärt Nicole Lassal, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt. Im Jahr 2023 war die Zahl der in Deutschland erfassten schweren sexuellen Straftaten zum fünften Mal in Folge gestiegen. Nur wenige der Taten werden tatsächlich zur Anzeige gebracht. Kommt es zum Prozess, endet nur einer von 100 Fällen mit einer Verurteilung.

Aus „Nein heißt Nein“ muss „Nur Ja heißt Ja“ werden

Und diese ist dann oft ein weiterer Schlag ins Gesicht der Betroffenen. So wie bei Sonja, die sich insgesamt 15 Jahre ihres Lebens dem sexuellen, körperlichen und psychischen Missbrauch durch ihren Stiefvater ausgesetzt sah. Erst Jahre später schaffte sie den Schritt zur Anzeige. Diese endete mit zwei Jahren Bewährungsstrafe für den Täter und einem Richter, der Sonja anblaffte, was das Weinen denn jetzt noch bringen solle. Sonja zeigt sich hier in Form eines Kleides. Es ist ein Kleid in Kindergröße, blau und grün mit großen rosa Rosen.

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„Bei einem sexualisierten Übergriff geht es nicht um Sex. Es geht um Unterdrückung“, sagt Beatrix Wilmes. „Frauen brauchen keine Beschützer. Sie brauchen Respekt.“ Aus „Nein heißt Nein“ müsse „Nur Ja heißt Ja“ werden – denn die meisten Betroffenen schafften es in ihrer Angst oft nicht mehr zu sprechen. Und bei vielen führten die Taten zu schweren psychischen Beeinträchtigungen.

Wie das enden kann, zeigt die Geschichte von Markus, der neun Jahre alt war, als er in der Pfadfindergruppe zum ersten Mal Opfer sexuellen Missbrauchs wurde. Jahrelang litt er darunter, erst als Erwachsener vertraute er sich seiner Familie an. Typisch für ein Männlichkeitsbild, unter dem auch die Männer selbst oft leiden. Bei der Studie von Plan International glaubten 71 Prozent der Befragten, als Männer persönliche Probleme mit sich selbst ausmachen zu müssen, statt um Hilfe zu bitten. Markus ist der einzige Mensch der Ausstellung, der seinen Text nicht selbst schreiben konnte. Im Jahr 2007 beging er Suizid.

Die Installation sei keine Opferausstellung, betont Beatrix Wilmes. Vielmehr solle sie die Scham lindern und Mut machen. „Schweigen schützt nur die Täter“, so Wilmes, „reden hilft!“

Anmerkung der Redaktion: Dass die Wanderausstellung in München zu sehen sein konnte, ist vor allem der Arbeit des Vereins „KO – Kein Opfer“ zu verdanken, der in Kooperation mit der Gleichstellungsstelle und dem KVR 14 Monate an diesem Projekt gearbeitet hat. KO e.V. gibt Opfern von sexualisierter Gewalt eine Stimme, schafft einen geschützten Raum für Betroffene und setzt sich für die Stärkung der Rechte von Opfern ein. Die Vorstandsvorsitzende Nina Fuchs sowie eine der Aufsichtsrätinnen des Vereins stellten zum Zweck der Ausstellung ebenfalls Kleidungsstücke zur Verfügung.

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