München vs. Italien:Due Cappuccinos, prego!

München ist die nördlichste Stadt Italiens? Von wegen! Zehn Gründe, warum der Münchner zwar gern so tut - aber nun mal kein Italiener ist.

Von SZ-Autoren

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Drinnen oder draußen

Nachtschwärmer auf dem Gärtnerplatz in München, 2014

Quelle: Florian Peljak

Münchens unitalienischste Seite zeigt sich am Abend, genauer: um 23 Uhr unter der Woche. Da wird der fröhliche Kneipenbesucher im Sommer vom Gehsteig nach drinnen gescheucht. Freischankflächenverordnung und so. Das ist nicht nur als Wort eines dieser Konstrukte, die in italienischen Ohren unmöglich klingen, sondern auch als Konzept. Weggehen heißt auf Italienisch nicht von ungefähr uscire, also rausgehen. Man ist auf der Piazza, übrigens auch im Winter. Die meisten Lokale sind so klein, dass drinnen sowieso kein Platz wäre. Stühle und Tische braucht man auch nicht zwingend: In Roms Ausgehvierteln werden nachts ganze Straßenzüge blockiert, weil der Pulk draußen rumsteht; fremde Autodächer eignen sich bestens zum Gläserabstellen, und am schönsten sitzt es sich auf barocken Kirchenstufen. Beschwerden von Nachbarn? Gibt es nicht. Ganz im Gegensatz zum Gärtnerplatz. Auch wenn der wenigstens ansatzweise dieses Italien-Gefühl erahnen lässt - da ist man ja inzwischen sogar schon so weit, dass man Dixi-Klos aufstellt.

Elisa Britzelmeier

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Kugeln oder Cremigkeit

Erste vegane Eisdiele Deutschlands in München, 2015

Quelle: Catherina Hess

Auch wenn die meisten Eisdielen in München von Italienern betrieben werden, sind sie doch irgendwie eingedeutscht und können nicht mit der echt italienischen Eiskultur mithalten. In Italien bestellt man sich ein Eis und bekommt gleich drei Sorten - für den gleichen Preis. Dazu erhöht der Eisverkäufer live vor dem Konsumenten noch einmal die Cremigkeit, indem er das Eis auf seinen Schöpflöffel mehrmals am Rand der Eisbox abstreift - zuletzt klatscht er einen Haufen Eis expressiv auf die Waffel, sodass es ganz verrückte Formen annehmen kann. Solche Rituale lehnt das Gros der Eisverkäufer in München allein aus Zeiteffizienzgründen ab. Hier geht es weniger um Cremigkeit, sondern darum, dass die meist zu klein geratene Kugel möglichst rund werden soll. Immer diese Perfektion, mamma mia!

Caroline von Eichhorn

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Militär oder Kunst

"Klassik am Odeonsplatz" in München, 2014

Quelle: Catherina Hess

König Ludwig I. war ein kunstsinniger Monarch. Und seit Studienreisetagen nach Rom hatte er ein Faible für Italien. Wenn so jemand die Macht und die Mittel dazu hat, dann lässt er schnell mal ein Isar-Florenz bauen. Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner besorgten das für ihren König. Die Residenz-Erweiterung kopierte den Palazzo Pitti, die gegenüber liegende Residenzpost das Florentiner Findelhaus. Und die Feldherrnhalle - Italianità-Kulisse für die Kaffeehausbesucher gegenüber - empfindet die Loggia dei Lanzi nach. Doch während in der originalen Loggia in Florenz zunächst die deutschen Landsknechte ("Lanzichenecchi") kampierten und später Skulpturen von Weltruhm aufgestellt wurden, versuchte man in München beides zugleich - das Ergebnis ist nichts Halbes und nichts Ganzes. In der Feldherrnhalle erinnern Standbilder an zwei Hauptfiguren der bayerischen Militärgeschichte, Graf Tilly und Fürst Wrede. Immerhin: Die Statuen sind aus dem Metall eingeschmolzener Kanonen gefertigt. Und das ist historisch betrachtet noch das Beste, was man über die Feldherrnhalle sagen kann.

Martin Bernstein

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Aperitif oder Aperitivo

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Quelle: Photographie Peter Hinz-Rosin

Besonders nach Feierabend fällt es ja ziemlich leicht, sich einzureden, man sei in Italien, draußen vor der Bar, in der Hand einen Aperol Sprizz. Dabei hat der Münchner Sundowner mit dem Aperitivo der Italiener ziemlich wenig zu tun. Nicht nur ordern kaum Männer Aperol und verschmähen das als "Frauengetränk" - während in Italien selbstverständlich beide Geschlechter die Mischung aus Aperol, Sekt und Soda trinken. Es fehlen auch die kleinen Häppchen, die einen klassischen Aperitivo ausmachen: In vielen Bars in Norditalien etwa zahlt der Gast am Abend ein, zwei Euro mehr für sein Getränk und darf sich im Gegenzug an einem Buffet bedienen. So ein echter italienischer Aperitivo würde hierzulande aber wohl auch nicht funktionieren. Die Deutschen würden beim Anblick eines solchen Buffets vermutlich sofort in einen All-you-can-eat-Wahn verfallen.

Pia Ratzesberger

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Kaffee oder caffè

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Quelle: Catherina Hess

Es ist wirklich superleicht, sich den Italiener raushängen zu lassen. Sakko aus, lässig über die Schulter gehängt, die Ärmel des weißen Hemdes nicht zu akkurat, aber mit Schmiss hochgekrempelt. An die Bar gehen. Andere Münchner würden jetzt "due Cappuccinos, prego" ordern. Wir aber wissen: Der Italiener bestellt nachmittags nichts mit Milch und "prego" wäre sprachlich falsch. Er bestellt auch keinen "Espresso". "Un Caffè", schleudern wir dem Kellner entgegen, es klingt stilecht wie "caffääää". Der Mann an der Bar fragt zurück: "Espresso?" Seufz.

Frank Müller

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Gebraucht oder neu

Vespa-Corso in München, 2016

Quelle: Florian Peljak

Das Fahrzeug gewordene Italien-Klischee ist natürlich die Vespa. Die Menschen lieben ihre Rundungen und in München rollen unzählige dieser altertümlichen Vehikel knatternd durch die Gegend. Hach, wie Italien ist München doch, denkt man sich da - und liegt komplett falsch. Denn während hierzulande alte Roller boomen, sieht man in italienischen Städten kaum mehr welche. Die Italiener sind mit modernen Rollern unterwegs, die weitaus weniger Lärm und Dreck machen, zuverlässiger und schneller sind. Die alten Kisten haben sie nach Deutschland vertickt. Hier bekommt man ein Schnauferl mit 40 Jahren auf dem Buckel zum Preis eines Neufahrzeugs. Neulich im Urlaub: Vier Männer fahren mit wunderschönen historischen Vespas an den Strand. Bei genauerer Begutachtung stellte sich heraus: Die Roller hatten Augsburger Kennzeichen.

Andreas Schubert

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Krüge oder Gläser

Frühlingsfest im Hippodrom in München, 2016

Quelle: Stephan Rumpf

Wäre München italienisch, müsste man nicht jedes Jahr einen neuen Wiesn-Hit über sich ergehen lassen. Es gäbe nur den einen: Adriano Celentanos "Una festa sui prati". Diese Verbindung käme aber einem Italiener nie in den Sinn. Für ihn ist das Oktoberfest das " festa della birra" und München die "capitale mondiale della birra". Eine exotische Kapitale mit Trinksitten, über die sie auf dem Stiefel nicht einmal nachzudenken wagten. "Oans, zwoa, gsuffa" klingt für italienische Ohren wie ein teutonischer Kampfschrei, ein Masskrug reicht in Rom einer sechsköpfigen Familie. In München ist alles anders, deshalb erlebt die Stadt eine Invasion aus dem Süden zum sogenannten Italiener-Wochenende. Münchens Ordnungshüter brauchen dazu Verstärkung aus Südtirol.

Günther Knoll

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Radln oder Radsport

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Die Stadt München hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Radlhauptstadt will sie werden. Fahrradfahren soll schöner und sicherer werden, damit immer mehr Leute im Alltag von Roller oder Auto auf Pedalantrieb umsteigen. Dazu gibt es Radlnächte und Radkulturfeste. Den meisten Italienern wäre dieser Ehrgeiz völlig fremd. Auf der Halbinsel gilt grundsätzlich: Je weiter südlich, desto weniger Radwege gibt es. Vor allem im Süden ist Radfahren keine Alternative zum Auto, sondern allenfalls als Sport anerkannt, dann aber nicht auf einer eigenen Spur, sondern auf der Straße, im Pulk und mit möglichst professioneller Ausrüstung, wegen der bella figura.

Jakob Wetzel

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Bäumchen oder Bäume

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Quelle: Marco Einfeldt

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn? Wohl niemand käme auf die Idee, die Antwort auf diese Frage, die den Anfang eines Goethe-Gedichts bildet, mit München in Verbindung zu bringen. Der Ehrlichkeit halber sei vermerkt, dass der Verfasser auf seiner "Italienischen Reise" Station in München machte. Heutzutage könnte Goethe tatsächlich auch hier blühende Zitronenbäume finden - freilich nur Bäumchen in Kübeln, und die meisten gehen eh gleich wieder ein, weil das oberbayerische Klima einfach nicht taugen will. Kauft man eben neue. Italienischer wird die Stadt durch solch Alibi-Gemüse zwar nicht, doch die Gartencenter verdienen gut an der Nachschubsicherung.

Günther Knoll

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Orlando oder Roland

Michael-Jackson-Denkmal

Quelle: Sebastian Gollnow/dpa

München, nach Rom und Florenz die dritte Kunsthauptstadt Italiens: In der Michaelskirche wurde erst jüngst das großartige Bronze-Kruzifix von Giambologna neu aufgestellt. Nebenan, auf dem Promenadeplatz, grüßt der Komponist Orlando di Lasso Michael-Jackson-Fans aus aller Welt. Und sogar die Straße am Grünwalder Stadion trägt einen Namen, der in den sonnigen Süden verweist - ihr Namensgeber war das künstlerische Multitalent Pietro Candid. Zumindest in der Renaissance war München durch und durch italienisch, oder? Von wegen. Giambologna hieß eigentlich Jean de Boulogne, Orlando kam als Roland zur Welt und Candid als Pieter de Witte. Allesamt keine Italiener sondern - fußballhistorische Pointe - nach damaligem Verständnis Niederländer.

Martin Bernstein

© SZ.de/ebri
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