Süddeutsche Zeitung

Wohnen in München:Stadt muss nach Urteil auf fünf Vorkaufsrechte verzichten

Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts entfaltet nun konkrete Wirkung auf die Wohnungspolitik in München. Künftig wird die Stadt nur noch in seltenen Fällen Immobilien dem Markt entziehen können.

Von Sebastian Krass

Anne Hübner von der SPD erlebte den Termin als "sehr deprimierend". Stefan Jagel findet die Lage, wie sie sich nun darstellt, "noch schlimmer als gedacht, einfach nur frustrierend". Es war ein Informationstermin des Kommunalreferats, der einigen Stadträtinnen und Stadträten an diesem Dienstag die Laune verdarb. Kommunalreferentin Kristina Frank (CSU) stellte die Konsequenzen dar, die sich aus der Begründung des Bundesverwaltungsgerichts zum Urteil über kommunale Vorkaufsrechte in Erhaltungssatzungsgebieten ergeben. Die Zukunft fängt sehr bald an: in der Vollversammlung am kommenden Mittwoch, bei der fünf Vorkaufsrechtsfälle auf der Tagesordnung stehen werden.

Voraussichtlich wird das Referat in allen fünf Fällen empfehlen, das Vorkaufsrecht nicht auszuüben, weil die Rechtslage sich nach dem höchstrichterlichen Urteil geändert hat. Es geht um die Anwesen Gabelsbergerstraße 77 (Maxvorstadt), Milchstraße 1 und Balanstraße 31 (beide Haidhausen), Griegstraße 51/53 (Milbertshofen) und Ohlstadter Straße 6a (Sendling-Westpark). Und der Stadtrat wird es auch nicht wagen können, sich über die Beschlussempfehlung hinwegzusetzen. Denn dann, so geben Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Inhalt der Besprechung wieder, würde der Stadtrat sich strafbar machen, Tatbestand: Untreue. Somit werden die Verkäufe der Häuser an Investoren wie geplant über die Bühne gehen.

"Wir haben keine Handhabe mehr"

Möglicherweise geraten sogar noch Vorkaufsrechte aus der Vergangenheit ins Rutschen. Das bereits ausgeübte, aber noch nicht rechtskräftige Vorkaufsrecht zur Ligsalzstraße 35 soll in dem Termin mit Frank als möglicher Problemfall genannt worden sein. Zudem könnten theoretisch Käufer, die sich mit einer Abwendungserklärung zu Sozialstandards verpflichtet und somit das Vorkaufsrecht umgangen haben, austesten, ob sie überhaupt noch an ihre Zusagen gebunden sind. Solche Fälle sind aber bisher nicht bekannt.

"Wir haben keine Handhabe mehr, Vorkaufsrechte auszuüben wie bisher", sagt Sybille Stöhr von den Grünen. "Das Einzige, was helfen würde, ist eine Gesetzesänderung auf Bundesebene. Dazu soll es demnächst eine Bundesratsinitiative geben, die von Berlin angestoßen wird." Zur Notwendigkeit einer Gesetzesänderung zeichnet sich aber ein Konflikt in der Ampel-Koalition ab: Während sich viele Stimmen von SPD und Grünen dafür aussprechen, will die FDP erst einmal prüfen, ob das Vorkaufsrecht tatsächlich ein so wichtiges Instrument zum Schutz von Mieterinnen und Mietern ist. Auf jeden Fall ist es ein Instrument, für das die Stadt viel Geld ausgegeben hat: 2020 zog sie das Vorkaufsrecht 21-mal für insgesamt 147 Millionen Euro, 2021 waren es bisher elf Fälle für 89 Millionen Euro.

Über viele Hausverkäufe würden die Politiker gar nicht mehr informiert

Kommunalreferentin Frank, die die Gesetzesänderung ebenfalls befürwortet, kündigte den Fraktionen auch an, nächste Woche einen Grundsatzbeschluss einzubringen. Demzufolge müsste sie künftig Fälle, bei denen nach der derzeitigen Rechtslage kein Vorkaufsrecht mehr besteht, auch nicht mehr in den Stadtrat einbringen. Das ist das, was Stefan Jagel, Fraktionsvorsitzender von Die Linke/Die Partei, noch schlimmer als gedacht findet: dass die Kommunalpolitik dann über viele Hausverkäufe und die damit verbundenen Zukunftssorgen von Mieterinnen und Mietern gar nicht mehr informiert würde.

Jagel findet die Situation auch persönlich belastend: "Ich habe bei mir Briefe liegen von Betroffenen, die mich um Hilfe gebeten haben, und muss ihnen jetzt etwas zurückschreiben." Anne Hübner, Fraktionschefin von SPD/Volt, erzählt, sie stehe seit einer Weile mit der Bewohnerschaft aus der Milchstraße 1 in Kontakt, "und wir haben immer versichert: Klar üben wir das Vorkaufsrecht aus".

Dann kam aber im November jenes Urteil, in dem es um einen Fall aus Berlin ging. Die seit Ende vergangener Woche vorliegende Begründung macht das Urteil zu einer Grundsatzentscheidung. Demnach haben Kommunen ein Vorkaufsrecht in Erhaltungssatzungsgebieten nur noch dann, wenn die Immobilie nicht dem Zweck der Satzung, also dem Schutz bestehender Milieus, entsprechend genutzt wird, also wenn sie etwa ganz oder weitgehend leer steht oder verfällt. Ist das Haus hingegen vollständig bewohnt und zwar mit einem Abbild der örtlichen Bevölkerung, so gibt das Baugesetzbuch kein Vorkaufsrecht her. Dabei spielt es dann auch keine Rolle, welche Pläne ein Investor mit einer Immobilie und mit den Mieterinnen und Mietern hat. "So kann es auf keinen Fall bleiben, man wird um eine Gesetzesänderung nicht rumkommen, um weiter den Milieuschutz zu ermöglichen", sagt Heike Kainz (CSU).

Keinesfalls seien die Käufer immer "böse Miethaie"

Der Fraktionschef von FDP/Bayernpartei, Jörg Hoffmann, konnte bei dem Termin am Dienstag zwar nicht dabei sein. Aber seine Position ist ohnehin klar: "Ich finde das Urteil gut", sagt Hoffmann. "Die Grundvermutung, dass die Stadt vorkaufen muss, weil sonst alles schlecht wird, ist falsch." Keineswegs seien die Käufer "immer böse Miethaie". Ihm, so sagt Hoffmann, sei sei "wirklich sehr wichtig", dass die FDP bei ihrer Haltung bleibe und sich nicht in der Ampel-Koalition zu einer Gesetzesänderung treiben lasse. Tobias Ruff, der der Fraktion ÖDP/München-Liste vorsteht, lehnt das Vorkaufsrecht zwar nicht so rundweg ab, plädiert aber dafür, "dass die Stadt nun die frei werdenden Mittel nicht im Haushalt einkassiert, sondern damit an anderen Stellen Wohnraum schafft".

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