Vorkaufsrecht:Dieter Reiter versendet trügerische Hoffnung

Vorkaufsrecht: Verkauft: das Karree Schleißheimer Straße, Karl-Theodor-, Bechsteinstraße.

Verkauft: das Karree Schleißheimer Straße, Karl-Theodor-, Bechsteinstraße.

(Foto: Florian Peljak)

Ein großer Wohnblock in Schwabing wird verkauft, und die Bewohner bekommen Post aus dem Rathaus. Der Brief weckt Erwartungen, dass die Stadt das Haus vor Spekulation retten könnte. Kann sie aber gar nicht.

Von Bernd Kastner

Ist das ein Fake? Alle Mieterinnen und Mieter in einem Schwabinger Wohnblock mit gut 90 Wohnungen bekommen Post vom Oberbürgermeister. Darin teilt er mit, dass ihr Haus gerade verkauft worden sei. Die Bewohnerschaft ist alarmiert, sie befürchtet Mieterhöhungen und andere Unbill. Der OB aber schreibt, dass die Stadt alles versuchen werde, ihr Vorkaufsrecht auszuüben, sprich: in den Kaufvertrag einzutreten und Haus und Mieter zu retten. Tatsächlich? Seit Monaten übt die Stadt ihr Vorkaufrecht in Erhaltungssatzungsgebieten doch gar nicht mehr aus.

Ist der Brief mit der eingescannten Unterschrift ein Scherz-Schreiben? Man findet zwar den OB-Schriftzug samt Stadtwappen rechts oben, aber nirgends den Namen dieses Oberbürgermeisters, keine Absender-Adresse, kein Adressfeld, kein Datum. Die Anschrift der Anlage im Karree Schleißheimer, Karl-Theodor- und Bechsteinstraße ist rot als Teil der Anrede eingefügt. Zwei Absätze sind gelb hinterlegt, darin sind Daten, Uhrzeiten und eine Telefonnummer rot geschrieben - das signalisiert Dringlichkeit: "Wichtiger aktueller Hinweis: Die Landeshauptstadt kann das Vorkaufsrecht in Einzelfällen immer noch ausüben." Beigelegt ist ein "Informationsblatt zum Vollzug von Erhaltungssatzungen", das informiert, dass ungenehmigte Baumaßnahmen bis zu 30 000 Euro Bußgeld kosten können. Warum geht das an Mieterinnen und Mieter?

Nein, der Brief ist kein Fake. Er stammt aus dem Sozialreferat, verschickt im Namen von Dieter Reiter. Der bezieht sich auf Presseberichte, wonach das Vorkaufsrecht seit Monaten praktisch perdu sei: "Dazu kann ich Ihnen mitteilen, dass die Stadt München weiterhin versuchen wird, in jedem rechtlich möglichen Fall das Vorkaufsrecht auszuüben. Und dazu brauchen wir Ihre Mitwirkung!" Man möge sich bitte von einem Interviewer befragen lassen, zu Wohnfläche, Miethöhe, Nebenkosten et cetera.

Das Haus ist denkmalgeschützt, sogar als Ensemble mit der Sebastianskirche

Das weckte Hoffnung im Haus, "das ging allen so", sagt Uwe-Michael Gutzschhahn, seit 21 Jahren Mieter in der Anlage. Alle hätten gedacht, dass die Stadt etwas tun könne. Das Haus wäre ja auch jede Rettung wert vor möglicher Spekulation, Aufwertung und Vertreibung, sagen die Bewohner, weil es so besonders sei. Gebaut wurde es um 1930 von Eduard Herbert und Otho Orlando Kurz im Stil der Neuen Sachlichkeit. Es steht unter Denkmalschutz, und zusammen mit der benachbarten Sebastianskirche auch noch unter Ensembleschutz. "Da ist ein Rettungsanker": Diese Botschaft sei im Haus angekommen, sagt Gutzschhahn.

Allein, es dürfte ein Phantom-Anker sein. An der juristischen Lage hat sich seit November 2021 nichts geändert. Da entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass Kommunen in Gebieten mit Erhaltungssatzungen nur in zwei Ausnahmefällen ein Vorkaufsrecht zustehe: wenn ein Haus zu großen Teilen leer steht oder es eine Schrottimmobilie ist. Der Schreck war groß im Rathaus und unter Mieterschützern, sie fordern vom Bundesgesetzgeber, das Baugesetzbuch zu ändern, um das Vorkaufsrecht wiederzubeleben. SPD und Grüne wollen, nicht aber die FDP.

Die Stadt lässt sich informieren, welche Gebäude ihr durch die Lappen gehen

Nach dem Urteil sind in München bis Ende Juni 33 Häuser in Erhaltungssatzungen verkauft worden, ohne dass die Stadt etwas hätte tun können. Dabei werde es auch bleiben, heißt es aus dem zuständigen Kommunalreferat. Trotzdem prüfe man weiter jedes verkaufte Anwesen, wenn auch nicht ganz so akribisch wie einst, auf eine Haushaltsbefragung wolle man nicht verzichten. Der Stadtrat lässt sich informieren, welche Häuser der Stadt durch die Lappen gegangen sind. Warum aber schreibt man der Bewohnerschaft nicht klar, was Sache ist, und dass sie sich keine Hoffnung zu machen braucht? Es wäre "nicht sachgerecht", antwortet das Sozialreferat, "gleich rechtlich detailliert die Gründe für eine Ausübung oder Nichtausübung darzustellen".

Inzwischen hat sich in dem Block eine Mietergemeinschaft gegründet, erzählt Gutzschhahn. Lange habe man über diesen vermeintlichen Rettungsanker diskutiert. Bei ihm kommt das Agieren der Stadt nicht gut an. "Ein Schlag ins Gesicht" sei es gewesen, als sie nach und nach erfahren hätten, dass nicht der Brief ein Fake sei, wohl aber die Hoffnung. Inzwischen hat das Sozialreferat reagiert: Man hat den Brief überarbeitet. Künftig werden Mieter von verkauften Häusern ein Datum lesen und dass der OB Dieter Reiter heißt. Inhaltlich aber bleibt alles gleich. Dieter Reiter versendet weiterhin trügerische Hoffnung.

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