Die Stadt München zieht die Konsequenzen aus dem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts zum kommunalen Vorkaufsrecht in Erhaltungssatzungsgebieten und ändert ihre Wohnungspolitik. Der Stadtrat hat am Mittwoch beschlossen, auf das Vorkaufsrecht für fünf Mietshäuser zu verzichten und außerdem fünf Bescheide, die noch nicht bestandskräftig sind, noch einmal zu prüfen. Künftig entscheiden die Stadträte nur noch über den Vorkauf, wenn mindestens die Hälfte der Wohnungen in einem Haus leer stehen oder das Gebäude stark sanierungsbedürftig ist.
Das Nachsehen haben die Mieter der fünf Häuser, bei denen die Stadt am Mittwoch auf den Vorkauf verzichtet hat. Das sind die Anwesen Milchstraße 1, Balanstraße 31 (beide Haidhausen), Gabelsbergerstraße 77 (Maxvorstadt), Griegstraße 51/53 (Milbertshofen) und Ohlstadter Straße 6a (Sendling-Westpark). Aber das Urteil der Leipziger Richter hat auch Auswirkungen auf fünf Fälle, bei denen die Stadt zwar bereits in die Kaufverträge eingetreten ist, bei denen die Entscheidungen aber noch keine Bestandskraft haben, weil die Klagefrist noch läuft. Bei zwei dieser Objekte - der Westendstraße 5 (Schwanthalerhöhe) und der Georgenschwaigstraße 26 (Milbertshofen) - hätte der Stadtrat auf Vorschlag des Kommunalreferats die Ausübungsbescheide am Mittwoch wieder aufheben sollen. Die Verwaltung hatte signalisiert, dass da nach dem Leipziger Urteil nichts zu machen sei: keine Erfolgsaussichten bei den laufenden Gerichtsverfahren, schlimmstenfalls Schadenersatzansprüche. Doch der Stadtrat vertagte die Entscheidung in nichtöffentlicher Sitzung auf Januar.
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Die drei anderen Fälle will die Verwaltung ohnehin noch genauer unter die Lupe nehmen, weil sie "Besonderheiten" aufweisen. Dazu zählt neben den Anwesen Ligsalzstraße 35 (Schwanthalerhöhe) und Frankfurter Ring 18a (Milbertshofen) das denkmalgeschützte Gebäude Agnesstraße 48 (Schwabing-West). Der Fall machte mehrmals Schlagzeilen: Die 15 Wohnungen stehen seit etwa zwei Jahren leer, die Mieter wurden Zug um Zug vertrieben. Als ein Grünwalder Investor das Haus für 35 Millionen Euro an einen Starnberger Investor verkaufen wollte, 54 Prozent über dem offiziell ermittelten Wert, zog die Stadt Ende September ihr Vorkaufsrecht - allerdings zum Preis von nur 22,7 Millionen Euro, also dem Marktwert, den das städtische Bewertungsamt für die Immobilie ermittelt hat.
"Wollen wir wirklich, dass nur noch wohlhabende Menschen in den Innenstädten leben?"
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts stößt bei Kommunalpolitikern von der Linken bis zur CSU auf Unverständnis und Entsetzen, wie die Debatte am Mittwoch zeigte. "Wir müssen uns halt an die Rechtsprechung halten", sagte Kathrin Abele (SPD) kopfschüttelnd. Der Mieterschutz sei massiv ausgehöhlt worden. Stefan Jagel (Die Linke) sprach von einem "bitteren Urteil", Sibylle Stöhr (Grüne) von einem "rabenschwarzen Tag für die Mieterinnen und Mieter". Die Vorkaufsrechtspraxis, wie die Stadt München sie ausgeübt habe, sei damit "vorerst beerdigt", die Folge absehbar. "Wollen wir wirklich, dass nur noch wohlhabende Menschen in den Innenstädten leben?", fragte Stöhr.
Unbedingt verhindern will die große Mehrheit, dass der Stadtrat künftig von Hausverkäufen in Erhaltungssatzungsgebieten gar nichts mehr erfährt. "Wir wollen wissen, was in unserer Stadt passiert", sagte Abele. Denn zunächst hatte das Kommunalreferat die Fälle dem Stadtrat gar nicht mehr vorlegen wollen, bei denen er nicht eingreifen kann, also alle Objekte, die zu mehr als der Hälfte vermietet und in gutem Zustand sind. Doch mit großer Mehrheit wurde ein Änderungsantrag von Grün-Rot und der Linken beschlossen. Danach wird der Stadtrat so weit möglich weiterhin über die Eckdaten zu allen Verkäufen informiert, also zu Lage, Kaufpreis, Anzahl der Wohnungen, Grund- und Wohnfläche sowie Käufer. Dagegen und gegen alle anderen Beschlüsse stimmte die Fraktion von FDP und Bayernpartei.
Grundsätzlich revidiert werden soll der Urteilsspruch aus Leipzig auf politischem Weg, wenn es nach dem Münchner Stadtrat geht. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wurde von der Mehrheit beauftragt, sich in Berlin dafür einzusetzen, dass Paragraf 26 des Bundesbaugesetzes geändert wird und das so schnell wie möglich. Münchens CSU-Chef Georg Eisenreich fordert unabhängig davon, dass "der Bund die Rechtslage so ändern soll, dass Kommunen Vorkaufsrechte wie bisher ausüben können". Die Tür zu diesem Ausweg hatten die Leipziger Richter selbst geöffnet: Es sei Sache des Gesetzgebers, den Wortlaut des einschlägigen Gesetzestextes zu überarbeiten - "vor dem Hintergrund neuer Entwicklungen und drängender Probleme auf dem Wohnungsmarkt".
Ob das tatsächlich passiert, hängt aber von der FDP ab, die in Berlin mitregiert - und das Vorkaufsrecht äußerst skeptisch sieht. Ihr Vertreter im Stadtrat, Jörg Hoffmann, jedenfalls hat schon angekündigt, dass er seine Parteifreunde "inständig darum bitten" werde, "nichts an der aktuellen Rechtslage zu ändern".