Bundesverwaltungsgericht:Was das Urteil zu Vorkaufsrechten für München bedeutet

Bundesverwaltungsgericht: Besonders in der Innenstadt werden manche Wohnungen nur als Zweitwohnung für den gelegentlichen Theater- oder Opernbesuch genutzt.

Besonders in der Innenstadt werden manche Wohnungen nur als Zweitwohnung für den gelegentlichen Theater- oder Opernbesuch genutzt.

(Foto: imago images/Westend61)

Womöglich kann die Stadt in nächster Zeit manchmal nichts gegen den Verkauf von Häusern an Investoren tun. Nun diskutiert der Stadtrat, wie es im Kampf gegen die schleichende Verdrängung von Mietern weitergehen soll.

Von Sebastian Krass

Es werden unsichere Zeiten für Mieterinnen und Mieter, die hoffen, dass die Stadt sie vor Verdrängung aus ihren Wohnungen schützt - und es ist gut möglich, dass die Stadt in nächster Zeit manchmal nichts gegen den Verkauf ihrer Häuser an Investoren tun kann. Diese Schlüsse ergeben sich aus einer ersten Einschätzung des Kommunalreferats zu einem Urteil, mit dem das Bundesverwaltungsgericht die bisherige Praxis zu Vorkaufsrechten von Kommunen infrage gestellt hat. Der Stadtrat wird sich am Donnerstag im nicht-öffentlichen Teil der Vollversammlung mit der Beschlussvorlage befassen, das Papier liegt der SZ vor. "Eine abschließende, generelle Positionierung" werde man erst vorlegen können, wenn die Begründung des Urteils vorliege, schreibt Kommunalreferentin Kristina Frank. Vorerst werde man jedes einzelne Vorkaufsrecht im Lichte der bisher bekannten Pressemitteilung zum Urteil beurteilen müssen, es entstünden aber auch dabei erhebliche Risiken: "Rechtssicherheit kann (...) nicht gewährt werden."

In einem aktuellen Fall, dem Haus Sailerstraße 5a in Schwabing-West, spricht sich das Referat dafür aus, die Vorkaufsoption zu ziehen. Dem Vernehmen nach stehen für Dezember weitere Fälle an, in denen die Stadt vor dieser Frage stehen könnte. Aus dem ganzen Land, auch aus der Münchner Kommunalpolitik, sind inzwischen Forderungen an die neue Bundesregierung laut geworden, das Baugesetzbuch anzupassen.

In dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ging es um einen Fall aus dem Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Dort soll ein Haus mit 20 Mietwohnungen verkauft werden. Die Kommune hatte ein Vorkaufsrecht, weil das Grundstück in einem Erhaltungssatzungsgebiet liegt. Diese Satzungen sollen dazu dienen, bestehende Milieus zu erhalten und den Anstieg von Mieten zu bremsen. Das Gericht gab einer Klage des Immobilienunternehmens, das das Haus übernehmen will, statt. Es legt das Baugesetzbuch so aus, dass das Vorkaufsrecht nicht gilt, wenn ein Grundstück gemäß städtebaulichen Zielen genutzt wird - also das Haus darauf in ordentlichem Zustand und bewohnt ist. Die Pressemitteilung ist so zu verstehen, dass das Vorkaufsrecht nur noch gilt, wenn Häuser Missstände oder Mängel aufweisen, es sich um sogenannte Schrottimmobilien handelt.

Die wenigsten Häuser würden als "Schrottimmobilien" durchgehen

In München gibt es 30 Erhaltungssatzungsgebiete, in denen 336 000 Bewohnerinnen und Bewohner leben. In diesem Jahr hat die Stadt das Vorkaufsrecht bisher zehnmal ausgeübt, in sechs weiteren Fällen haben die Käufer das Vorkaufsrecht umgangen, indem sie sich mit einer sogenannten Abwendungserklärung zu Sozialstandards verpflichtet haben. Die wenigsten dieser 16 Immobilien würden als "Schrottimmobilien" durchgehen - nach der neuen Rechtssprechung stünde das Vorkaufsrecht also infrage. Allerdings geht das Kommunalreferat in einer Antwort auf eine Anfrage der Stadtratsfraktion von FDP/Bayernpartei davon aus, dass die acht Fälle, die bereits "bestandskräftig" sind, gesichert bleiben. Die zwei Fälle, die noch nicht endgültig vollzogen sind (Georgenschwaigstraße 26 und Agnesstraße 48), müsse man prüfen, das gelte auch für die Frage, ob die abgegebenen Abwendungserklärungen bindend bleiben.

Im aktuellen Fall an der Sailerstraße geht es um ein Haus mit zwölf Wohnungen, das für 5,05 Millionen Euro verkauft werden soll. Da zehn Wohnungen leerstehen, geht das Referat davon aus, dass das Haus nicht gemäß der Erhaltungssatzung genutzt wird und somit das Vorkaufsrecht der Stadt besteht - Referentin Frank empfiehlt dem Stadtrat den Ankauf.

Bayerns Bauministerin verhindert einen Beschluss mit einem Veto

Am vergangenen Freitag tagten die Bauminister und -ministerinnen der Länder, auch da ging es um die Zukunft der Vorkaufsrechte. Es bestehe "große Einigkeit", dass "schnellstmöglich eine Klarstellung im Baugesetzbuch vorgenommen werden" müsse, erklärte Hamburgs Senatorin für Wohnen, Dorothee Stapelfeldt (SPD). Einen entsprechenden Beschluss aber verhinderte Bayerns Bauministerin Kerstin Schreyer (CSU) mit einem Veto. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) warf ihr daraufhin "Blockadehaltung" vor, die Staatsregierung habe immer noch nicht verstanden, wie angespannt die Situation auf dem Wohnungsmarkt in München und anderen Kommunen sei, "dies trifft letztendlich die Mieterinnen und Mieter in Bayern hart".

Schreyer erwidert auf Anfrage, Reiters Angriff sei ein "leicht zu durchschauendes Ablenkungsmanöver", die SPD-geführte Landeshauptstadt schaffe es "seit Jahrzehnten nicht", genug Wohnraum zu schaffen. Ihr Nein in der Länderkonferenz begründet Schreyer damit, aus einer Pressemitteilung "einen Antrag zu stricken", sei "ein Schnellschuss, den der Freistaat Bayern nicht guten Gewissens unterstützen konnte". Man müsse erst die Urteilsbegründung prüfen. Diese ist Anfang kommenden Jahres zu erwarten, es dauere nach der Verkündung eines Urteils in der Regel etwa zwei Monate, bis die Begründung vorliege, erklärt die Pressestelle des Bundesverwaltungsgerichts.

Politiker regen an, das Baugesetzbuch zu ergänzen

Die Münchner Grünen schickten in der vergangenen Woche einen Appell nach Berlin, man möge in den Koalitionsverhandlungen die nötige Ergänzung im Baugesetzbuch durchsetzen. Stefan Jagel, Fraktionsvorsitzender von Die Linke/Die Partei im Stadtrat, fordert, dass "der Bundesgesetzgeber die kommunalen Vorkaufsrechte wieder stärkt, und zwar flott". Die FDP allerdings betont im Stadtrat regelmäßig, dass man Vorkaufsrechte generell ablehne, weil die Stadt dabei viel Geld ausgebe, ohne neuen Wohnraum zu schaffen.

Die Münchner SPD-Chefin und Bundestagsabgeordnete Claudia Tausend beobachtet als Wohnungspolitikerin das Thema genau. Wenn die Begründung des Urteils den Tenor bestätige, dann müsse man "natürlich das Baugesetzbuch nachschärfen", sagt Tausend. Die nötige Gesetzesänderung sei "längst vorbereitet". Im Entwurf des Koalitionsvertrags, der am Mittwoch öffentlich wurde, ist die Frage allerdings offen gelassen: "Wir werden prüfen, ob sich aus dem Urteil (...) gesetzgeberischer Handlungsbedarf ergibt."

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