Wenn Wolf Haas kommt, dann wird das Volkstheater zum Mistplatz. Da landet ein Menschenknie in Wanne 4, Finger bei den Folien, ein Fuß bei der Teerpappe, und am Ende sind doch alle aus dem Häuschen, weil bestens unterhalten. Das schafft wohl nur der Schriftsteller aus Österreich, der im gesamten deutschsprachigen Raum verehrt wird für seine Herzrhythmusstörung gewordene Krimiprosa, für seine erzählerischen Experimente, für seinen schwarzen Humor und nicht zuletzt: für seine Brenner-Romane, deren jüngster zum Großteil auf einem Wiener Wertstoffhof spielt.
Nicht nur das Volkstheater ist neu seit seinem bis dato letzten München-Gastspiel (2018 mit "Junger Mann"), auch Wolf Haas hat sich verändert. Optisch zumindest. Die Haare sind grau und ungebremst gewachsen, hinten hat er sie zusammengebunden. Zwei Covid-Symptome habe er, erzählt der 61-Jährige gerne: lange Haare und einen Roman. Der Roman heißt "Müll" und ist das Gegenteil, ein Bestseller in gewohnter Haas-Qualität. Es gibt ja die Brenner-Romane und die Nicht-Brenner-Romane von Haas, Beständigkeit und Überraschung im verlässlichen Wechsel.
Nun also der Brenner in seinem neunten Fall, acht Jahre nach "Brennerova", sieben Jahre nach der letzten Verfilmung ("Das ewige Leben"). Die Hauptfigur, von der der Erzähler seit den späten Neunzigern eigenwillig und treu berichtet, ist inzwischen Mistler, "der beste Job, den er jemals gehabt hat". Denn: "Das war vielleicht früher einmal so, dass die Müllarbeit nur für das Wegräumen der Vergangenheit gestanden ist. Recycling hin, Kreislauf her, sprich Zukunft gestalten." Auf dem Mistplatz wird der ehemalige Kriminaler und Privatdetektiv in ein süffisantes "Macho-Theater" verwickelt, das sich von Wien bis an den Chiemsee ausdehnt: erst die Leichenteile, dann die Mordermittlung, später heißt es, die Organmafia habe ihre gierigen Hände im Spiel. Und dann hat der Brenner auch noch private Sorgen. Weil er als "Bettgeher" seit einiger Zeit in fremden Wohnungen schläft und eines Tages von einer zu früh heimkehrenden, sehr, sehr wütenden Ehefrau überrascht wird.
Haas, dunkel gekleidet im dunklen Volkstheater, liest, wie er immer liest: mit seinem ureigenen, zwischen österreichischer Wurschtigkeit und spitzbübischer List changierenden Sound. Sein Vortrag ist körperlich. Wie er sich mit beiden Armen auf den Tisch stützt, so beugt sich Haas auch in seinen Text. Er ist ein musikalischer Autor, ein musikalischer Vorleser ist er auch. Im Rhythmus der Satzmelodien lacht das Publikum berauscht. Wellen der Heiterkeit, schwappende Freude. Brenner-Romane sind ja vor allem eins: pointenreich und lustig, dabei hintersinnig und poetisch. Da dürfen Sätze funkeln wie diese: "Vor dem Mist sind alle Menschen gleich" oder "Leichenfund beim ersten Date betrachtet jede Frau als schlechtes Zeichen".
"Jetzt komm ich mir auch ein bisschen wie Peter Handke vor."
Seine Lesung garniert Haas, wohl dosiert, mit Exkursen über Zuhörer, die zu spät kommen, über angeblich spontane Änderungen am Text und über den Supervollmond in dieser Nacht. In der stellenweise improvisierten zweiten Hälfte berichtet der Schriftsteller davon, wie er vor der Lesung in Wien einen Fotoautomaten aufgesucht habe. Der Bilderstreifen diene ihm seitdem als Lesezeichen, er erinnere ihn an Peter Handkes Film "Die linkshändige Frau". Haas sagt mit verdruckstem Charme: "Jetzt komm ich mir auch ein bisschen wie Peter Handke vor."
Der Abend auf dem Mistplatz endet romantisch. Nach dem lang anhaltenden Schlussapplaus weist der Autor darauf hin, wie schwierig es für Veranstalter und Künstler in dieser Phase der Pandemie ist, Säle zu füllen. Das Volkstheater war voll besetzt bei diesem ersten von mehreren Bayern-Stopps der Lesetour. Haas weiß das sehr zu schätzen. "Ich möchte nur sagen, dass jeder einzelne von Ihnen ein Rohdiamant ist."