Dokutheater „Offene Wunde“Das OEZ-Attentat kommt auf die Bühne

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Die Opfer des Attentats am Olympia-Einkaufszentrum vom 22. Juli 2016 sind nicht vergessen. Hier ein Foto vom Trauermarsch zum sechsten Jahrestag des rassistischen Anschlags.
Die Opfer des Attentats am Olympia-Einkaufszentrum vom 22. Juli 2016 sind nicht vergessen. Hier ein Foto vom Trauermarsch zum sechsten Jahrestag des rassistischen Anschlags. (Foto: Robert Haas)

Das dokumentarische Theaterstück „Offene Wunde“ erzählt im Volkstheater aus der Perspektive der Geschwister der Opfer des Anschlags. Tunay Önder und Christine Umpfenbach haben zahlreiche Interviews geführt, um die Erinnerung wachzuhalten.

Von Yvonne Poppek

Der kleine Band „Tell Their Stories“ ist vor ein paar Monaten erschienen. Auf dem orangefarbenen Cover haben die neun Namen genau Platz: Armela, Can, Dijamant, Guiliano, Hüseyin, Roberto, Sabine, Selçuk, Sevda. Am 22. Juli 2016 wurden sie Opfer des rassistisch motivierten Attentats am Olympia-Einkaufszentrum. „Er war der Augenstern unserer Familie“, steht etwa in dem Büchlein, das an sie erinnert. Oder: „Du hast mir immer das Gefühl geschenkt, dass ich genug bin.“ Oder: „Ich bin mit ihm durch seine Kindergartenzeit gegangen, seine Schulzeit und seine Lehre.“ Oder: „Er hat uns in jeder Situation zum Lachen gebracht und Ideen gegeben.“

Es sind Worte von denjenigen, die diese neun Menschen geliebt haben und zurückgeblieben sind. Zum Teil sind es auch Worte von Angehörigen, mit denen Tunay Önder und Christine Umpfenbach Interviews geführt haben für ihr dokumentarisches Theaterstück „Offene Wunde“, ein weiteres Projekt, das die Opfer in Erinnerung halten soll. Am Donnerstag, 24. April, wird das Stück über das Attentat im OEZ im Münchner Volkstheater Premiere haben.

Knapp acht Jahre ist es erst her, dass der Attentäter im OEZ gezielt auf Menschen schoss. Es vergingen drei Jahre, bis die bayerischen Sicherheitsbehörden die Tat als rechtsextremistisch einordneten, sich von der Bezeichnung „Amoklauf“ distanzierten, wie sie auch jahrelang auf dem Denkmal am Erinnerungsort stand. Wie soll man an eine solche Tat erinnern, die zeitlich noch so nah liegt, bei der die Verletzungen noch so frisch sind, der Kampf um die Anerkennung des rechtsextremen Motivs noch in den Gliedern steckt? Soll man das überhaupt, im Theater?

Tunay Önder ist sich hier sicher. Der Gedanke sei ihr vor knapp zwei Jahren gekommen, erzählt sie. Önder engagiert sich in der Initiative „München OEZ Erinnern“, hat darüber engen Kontakt mit vielen Angehörigen. Sie erzählt, in der Initiative sei so viel Energie da gewesen, der Wunsch, diese Geschichte im Gedächtnis zu halten und öffentlich zu teilen.

Christine Umpfenbach reagierte hingegen zögerlicher. „Bei der Thematik war ich sehr zurückhaltend“, sagt sie. Das Attentat liege zeitlich noch so nah, die Opfer seien so jung, die Familien noch traumatisiert. Für sie war klar: Eine Arbeit sei nur möglich mit der Zustimmung aller Familien. Also organisierten sie ein Treffen mit den Angehörigen im Bellevue di Monaco, stellten ihre Pläne vor und erhielten die Zustimmung, die sie brauchten. Erst dann legten sie los.

Tunay Önder und Christine Umpfenbach kennen sich von vorhergehenden Arbeiten, beispielsweise vom Doku-Stück „Urteile“ über den NSU, das am Residenztheater zu sehen war. Umpfenbach ist bekannt für ihre recherchebasierten Theaterproduktionen, ihr Abend „9/26 – Das Oktoberfestattentat“ an den Kammerspielen beispielsweise wurde 2021 für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. Die Theatermacherin steigt sehr tief in die jeweilige Materie ein und fördert Unglaubliches an Fakten, aber auch an emotionalen Aussagen zutage.

Tunay Önder (links) und Christine Umpfenbach kennen sich von vorhergehenden Arbeiten. „Offene Wunde“ bringen sie bewusst am Volkstheater heraus.
Tunay Önder (links) und Christine Umpfenbach kennen sich von vorhergehenden Arbeiten. „Offene Wunde“ bringen sie bewusst am Volkstheater heraus. (Foto: Weronika Demuschewski)

Diesmal haben sie und Önder mit rund 30 Personen gesprochen, wie sie sagen, mit sieben der neun Familien, mit Anwälten, Aktivistinnen und Aktivisten, der Polizei. Jedes Interview umfasst 15 bis 30 Seiten. Der Schwerpunkt dabei ist: Sie erzählen die Geschichte aus der Perspektive der Geschwister. Es sind die jungen Stimmen, die im Volkstheater zu Gehör kommen. Bewusst, auch aus diesem Grund, wollten Önder und Umpfenbach „Offene Wunde“ an dem Haus an der Tumblinger Straße mit seinem jungen Ensemble herausbringen.

Aus den vielen Seiten Interviews über die Erinnerung an die Opfer, die Gefühle der Geschwister, die Fakten, das Jetzt, haben die beiden eine Textfassung erstellt, die möglichst paritätisch die Anteile auf die Angehörigen verteilt. Die Namen derjenigen, mit denen sie gesprochen haben, sollen nicht genannt werden. Die fünf Darstellerinnen und Darsteller kommen als „Vertreter“ von sieben Geschwistern und eines Sohnes auf die Bühne. Sie sind die „Stimmen, die sie lebendig machen“, sagt Önder. Sie nennt sie auch „Stimmkörper“ von „Menschen, die eine kollektive Erfahrung“ haben, es gehe nicht darum, einzelne Personen zuzuordnen.

Die Umsetzung ist für das Duo ein Spagat

Die Textfassung stammt von Önder und Umpfenbach zusammen, Regie führt nur Umpfenbach. Es ist ihr anzumerken, dass sie diese Aufgabe behutsam angeht. Die Angehörigen waren eingeladen, ins Volkstheater zu kommen, das Haus und auch die Darstellenden kennenzulernen. Viele haben das gemacht, sind weiter mit dem künstlerischen Team im Austausch. Önder und Umpfenbach schätzen das, das ist im Gespräch deutlich zu sehen. Zugleich nimmt sie „Offene Wunde“ enger in die Pflicht als ein anderes, historisch entfernteres Thema. Die Regisseurin sieht die Schwierigkeit, „die künstlerischen Prozesse einzuhalten und dabei die Familien nicht zu vergessen“. Ein Spagat, so bezeichnet das Önder.

Es ist natürlich auch der Umgang mit sensiblen, sehr persönlichen Inhalten, die auf der Bühne öffentlich werden, der sie ihre Verantwortung spüren lässt. Zum Teil hatten die Angehörigen nie so offen über das Attentat und ihre Bedeutung für sie gesprochen wie mit ihnen, manche sprachen darüber auch zum ersten Mal, erzählt Umpfenbach. „Ich war verblüfft, wie viel sie zum Teil erzählt haben“, sagt Önder. Ein Theaterabend, der auf diesen Aussagen basiert, kann einen solchen Text nicht als Rohmaterial behandeln. Gleichzeitig aber geht es trotzdem darum, zu einer theatralen Erzählung zu finden, mit Darstellern, Bühnenbild, Musik, Sound, Licht. Und natürlich mit Publikum.

Dass Christine Umpfenbach dies, auch in Zusammenarbeit mit Tunay Önder, bewerkstelligen kann, hat sie schon oft unter Beweis gestellt. Sicher ist: Für die meisten Münchner dürfte „Offene Wunde“ ein in irgendeiner Weise ebenfalls emotionales Projekt sein. Auf die Frage „Wo warst du am Tag des OEZ-Attentats?“ weiß fast jeder eine Antwort. Dass ein Theaterabend der Geschichte der Opfer, der Familien, aber auch diesem kollektiven Gedächtnis einen Raum gibt, hat jetzt schon einen Wert an sich.

Offene Wunde, ein dokumentarisches Theaterstück über das Attentat am OEZ, Premiere: Donnerstag, 24. April, 19.30 Uhr, Münchner Volkstheater

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