Ein Buch des rumänischen Philosophen E.M. Cioran heißt " Vom Nachteil, geboren zu sein". Und angesichts von Corona, Klimawandel oder Ukraine-Krieg fragt man sich tatsächlich manchmal, warum es bei der Geburt keinen Beipackzettel oder andere Warnhinweise gab. "I bin geborn und i kon mir gar ned erinnern dass mi wer gfrogt hat, ob i gern geborn wern dad", heißt es im einem ganz ähnlichen Geist im Lied " Lebenserwartungsblues" von Maxi Pongratz. Ob er dann "Na danke" oder "Freilich ja super Idee" geantwortet hätte, das weiß der in München und Oberammergau lebende Musiker laut Liedtext aber nicht. Dafür erfahren wir, dass Pongratz' Vater Maurer war und ihm "am Meterstob de Lebenszeit erklärt" hat. "Zwei Meater san z'weit / Oana duads leicht", so der Vater über "unsere Lebenserwartung bei regelmäßiger Wartung".
Zu hören ist der "Lebenserwartungsblues" auf "Meine Ängste", das vor ein paar Tagen bei Trikont erschienen ist und das Maxi Pongratz am 27. Mai im Münchner Volkstheater vorstellt. Nach dem wunderbaren Debüt von 2019 ist es das zweite Solo-Album des Musikers, der als Mitglied von Kofelgschroa bekannt wurde. Jenem vierköpfigen Unikum aus Oberammergau mit seiner ganz eigenen Mischung aus minimalistischer Volkmusik, Polka-Krautrock, Dub-Feeling und lakonischen Texten. Seit 2019 befinden sich Kofelgschroa im Dornröschenschlaf. "Der Michi und der Martin haben einen Hof, der Matthias steckt in einem Architekturbüro", erzählt Pongratz am Telefon. "Wir reden immer wieder von Reaktivierung, aber es fehlt a bissl an der Zündung."
Woran es in den letzten beiden Jahren ebenfalls gefehlt hat, das waren Auftrittsmöglichkeiten. Auch Maxi Pongratz hat das gespürt. "Ich verdiene eigentlich live mein Brotgeld." So "im Großen und Ganzen" sei er aber "gut durchgekommen". Zudem habe er die Erfahrung gemacht, dass das "irgendwie auch eine schöne Zeit war, wenn man nicht immer auf der Jagd ist von einem Auftritt zum nächsten". Und dadurch etwa auch mehr Zeit fürs Schreiben und Studio hat. Weil es anderen da ähnlich ging, war er im Studio dann auch nicht alleine. Stattdessen hat er die Zeit dort neben vertrauten Mitstreiterinnen wie Theresa Loibl (Tuba) und Maria Hafner (Geige) mit ganz neuen Kollegen wie dem Mandolinisten Ferdinand Kraemer von Black Patti oder dem Singer-Songwriter und Gitarristen Philip Bradatsch verbracht.
Für seine Verhältnisse ist es ein sehr fröhliches Album geworden
Auch Pongratz selbst spielt neben seinem Akkordeon auf drei Stücken Gitarre. "Ich hab a bissl so meine Gitarrenphase. Und man denkt die Lieder, je nachdem von welchem Instrument man kommt, immer a bissl anders," sagt der Musiker, der auf seinem Debüt mit rumpeligen Klavier-Klängen überraschte. Weil da seine Klavier-Phase war. Auf "Meine Ängste" hört man dieses nur in einem Stück. Für seine Verhältnisse sei es zudem "ein sehr fröhliches Album". Was man bei dem Titel vielleicht nicht erwartet. Ob der mit Corona oder dem Klimawandel zu tun habe? Ja, ihm sei es schon "um das gegangen. Um die Angst als ständigem Begleiter. Aber auch um die Angst als Höhenangst, oder Angst, die einen auch schützt." Und insgesamt eher um "in sich gekehrte Ängste".
Im leicht melancholischen Opener "Ängste" geht es tatsächlich um diese Ambivalenz, dass Angst einen lähmen, aber auch beschützen kann. Im beschwingten "Ich träume intensiv" erfahren wir, dass Pongratz nie ohne Happy End aufsteht und deshalb im Traum immer wieder auf die Ausgangsposition zurückgeht. Im elegischen, von Tuba und Akkordeon geprägten "Telefon" verarbeitet er den Tod der Oma, im "Ordnungslied" besingt er sein "gschlambads Leben" und beklagt, dass in seinem Kopf "koa Haushaltshilfe" vorbeikommt. Im ruhigen "Des wos war" fragt er sich, warum in der Erinnerung doch meist "des scheene überwiegt". In "Freiheit" geht es um eine Gans, die vom Wegfliegen träumt, aber zum Abheben zu schwer ist. "Kistlerstraße", "Death Valley" und "Walzer der Unentschlossenen" wiederum sind drei Instrumentalstücke.
Im letzten Sommer war Pongratz im Death Valley
Im "Death Valley" ist Pongratz übrigens im letzten Sommer gewesen. Das heißt eigentlich in Los Angeles, bei einem vom Goethe-Institut veranstalteten Festival, bei dem es um das Verhältnis der deutschen Volksmusik zur nordmexikanischen Música Norteña ging. Wegen verschärfter Einreise-Bedingungen saß er davor aber erstmal eine Woche in Frankfurt fest. Die Folge: "Ich bin wirklich gelandet und sofort auf die Bühne. Ich hab so einen Jetlag g'habt. Da wollte ich am liebsten ein Bier, das hats aber ned geben." Was ihn dann aber wirklich "runtergezogen" habe, das war die unglaubliche Armut in Los Angeles. Gleichzeitig war da aber auch die amerikanische Natur, die er "echt krass schön" fand.
Krass schön ist, wenn man sich die Formulierung ausleihen darf, auch "Meine Ängste" geworden. Das heißt poetisch, lebensklug, verspielt und versponnen, melancholisch, das aber dann doch auf eine leichte Art. Und was den eigenwilligen, oft mit Karl Valentin verglichenen Humor angeht: "Mir fällt immer auf: Für a Bauerntheater bin i zu traurig und für was Ernstes bin i zu lustig." Ansonsten sei seine Absicht aber eigentlich immer nur, ein "schönes Lied" zu schreiben. Den Schalk im Nacken, den erkennt man aber doch, wenn man das Merchandise zum Album anschaut. Da ist zum einen das Lineal mit seiner schlanken, "valentinesken" Figur drauf. Eine Anspielung auf das "Telefon"-Lied. Und dann ist da ein ebenso nützlicher Meterstab, der wie ein langgezogenes Akkordeon aussieht.
Maxi Pongratz: Meine Ängste, Trikont Verlag; live am 27. Mai, 20 Uhr, im Münchner Volkstheater , Tumblingerstr. 29 und am 14. Juli, 19.30 Uhr, im Hacker-Pschorr Brettl auf dem Tollwood-Festival
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