Süddeutsche Zeitung

Theater:Grunzend in die Diktatur

Sapir Heller inszeniert "Animal Farm" nach George Orwell am Münchner Volkstheater.

Von Yvonne Poppek, München

Mit Tieren kennt sich das Münchner Volkstheater mittlerweile aus. Am Eröffnungswochenende im neuen Haus traten die Schauspieler in "Unser Fleisch, unser Blut" als Kuh, Ziege, Schwein, Pferd und Hund auf. Da ging es passend zum Einzug ins neue Stadtviertel ums Schlachtvieh. In seiner Inszenierung von "Über Menschen" lässt Regisseur und Intendant Christian Stückl mehrfach einen echten Hund auf die Bühne kommen. Und nun: "Animal Farm" nach George Orwell. Es liegt schon in der Natur der Sache, dass die Schauspieler hier Tiere darstellen werden. Regisseurin Sapir Heller nimmt in ihrer Inszenierung auch noch einen echten Hund dazu, geballte Dosis sozusagen. Und so beginnt der Abend mit dem Lauf eines Hundes auf die Bühne, dazu kommt eine Stimme aus dem Off, aus dem Publikum entzücktes Murmeln, besonders, wenn es Leckerli gibt. Ja, mei! Ein sehr herziger Einstieg in die düstere, sonst so ideenreich erzählte Geschichte.

George Orwells Fabel "Animal Farm" erschien 1945, konzipiert als anti-stalinistische Satire. Der Sozialist Orwell erzählt in zehn Kapiteln von einer Revolution der Tiere, die die Herrschaft des Farmers Mr. Jones abschaffen wollen. Die Vision von einem Leben, in dem alle gleich sind, entwirft zu Beginn das alte Schwein Old Major, das kurz darauf stirbt. Der Umsturz kommt trotzdem, allerdings übernehmen nach und nach die Schweine die Herrschaft und errichten eine Diktatur. Am Ende gilt nur noch ein Grundsatz: "Alle Tiere sind gleich, aber einige Tiere sind gleicher als andere." Bei Orwell ist die Auslöschung des Gleichheitspostulats und die neuerliche Unterjochung der meisten Tiere ein schleichender Prozess. Die Schlinge legt sich gleichsam langsam um den Hals und wird ohne Gegenwehr sachte zugezogen.

Ein prächtiges Schaulaufen etabliert die Charaktere

Am Anfang von Hellers Inszenierung, die vor einem zu 75 Prozent ausgelasteten Saal gezeigt werden darf, erzählt Philipp Lind aus dem Off - während an der Rampe der Hund die Leckerli einsammelt - von der Ausgangslage auf der Farm. Bauer Jones lässt sich lieber volllaufen, als sich um den Betrieb zu kümmern. Nach dieser Einführung beginnt der Abend quasi ein zweites Mal mit dem Auftritt der Tiere. Henriette Nagel kommt als erste auf die Bühne, deren Mitte ein rostfarbenes Metallgerüst dominiert (Bühne und Kostüme: Anna van Leen). Nagel trägt einen Kamm auf dem Kopf, eine Schnabel-Nase, Feder-Röckchen. Sie lässt den Kopf nach vorne zucken, nimmt die Arme zurück, die Brust raus, läuft ab und zu aufgescheucht umher. Zweifelsfrei: ein Huhn. Eins nach dem anderen kommen die Tiere nun ins Licht, mit schlichten Versatzstücken am Kostüm und absolut gelungener Bewegungschoreografie. Stolze Pferde, dumme Schafe, naive Kuh, mürrischer Esel, aufgeweckte Schweine. Ein prächtiges Schaulaufen ist das und ein unterhaltsam etabliertes Charakter-Setting. Ein Märchenstart.

Old Major erzählt alsbald vom Gerüst herab von seiner Vision, unten reißt Kuh Marie (Maral Keshavarz) die Augen weit auf, als sei dies förderlich für geistige Lichtblicke. Die Schafe (Julian Gutmann und Silas Breiding) verzichten auf jeden Durchblick, Pferd Boxer (Jan Meeno Jürgens) gefällt sich eh besser in seiner Sportlichkeit. Ihr mangelndes Verständnis drückt gewaltig auf das Ergebnis: Revolution: ja, bitte. Aber was ist das eigentlich? Die kommt dann trotzdem mit einem Konfettiregen, Beats und einer Hip-Hop-Jazz-Dance-Einlage. Die Tiere sind befreit, was nun?

Es ist die Stärke von Hellers Inszenierung, dass sie viele schöne Details erfindet, die Figuren geschickt über die Bühne verstreut oder zusammenzieht. Auch wie sie das teilbare Bühnengerüst als Spielelement einsetzt, ist ein hübscher Kniff, die Tiere arbeiten sich an dem Hin- und Herschieben ab, ihre Plackerei wird so gekonnt sichtbar gemacht. Auch die Charakterzeichnungen gelingen fein: Jakob Immervoll trägt einen herrlichen Esels-Grant nach außen, Lorenz Hochhuth die Eleganz eines Rosses. Jonathan Müller als gruseliger Schweine-Demagoge, Steffen Link als intellektuelles Gegenteil und schließlich Anne Stein als der skrupellose, gefährliche Führer sind überzeugend.

Dennoch braucht der Abend einige Zeit, um sich zu entwickeln. Dass hat mit dem putzigen Einstieg zu tun, aber auch mit der nur kurz vom Hunde-Erzähler angedeuteten jammervollen Lage, aus der sich die Tiere befreien. Während die Farmbewohner an ihrem Gleichheits-Ideal basteln, wirkt ihr Sonnenscheinstaat nicht ernsthaft bedroht, das bleibt blasse Bühnenbehauptung. Seltsam konfliktfrei arrangiert sich die neue Nation. Die Änderungen, die Orwell in feinen Nuance aufnotieren konnte, sind auf der Bühne erst mit der Zeit wirklich greifbar, dann allerdings ist das Schreckensregime plötzlich da.

Von der Bühne herab ist oft erzählt worden, wie manipulativ und gefährlich Worte sind, wie quälend Unterdrückung, wie unerklärbar die Schockstarre derer, die sich unterjochen lassen. Heller nimmt die Fäden auf und findet ihre eigene, weiche Stimme, um das noch einmal aufzudröseln und die neue Frage nach Gleichheit und Gleichsein zu stellen. Sie ist da sehr nah an Orwells kunstvoll unbekümmertem Märchenton, der kontrapunktisch zum Inhalt gesetzt ist. Beide tupfen in schönsten Pastellfarben ein Schlachtengemälde auf die Leinwand. Man muss nur hinsehen. Dass bei Heller am Schluss noch einmal ein Hund darüber laufen muss: geschenkt.

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