Süddeutsche Zeitung

Nach Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes:Wie es für das Volksbegehren Mietenstopp weitergeht

Die Initiatoren hadern nach dem Aus mit der Rechtsprechung. Sie hoffen nun auf eine Entscheidung auf Bundesebene - und auf einen Mietenstopp-Gipfel im Oktober.

Von Anna Hoben

Früher, sagt Beatrix Zurek, hieß es aus der Bundespolitik in Berlin gern sinngemäß, man werde doch nicht das Mietrecht ändern - "nur für euch in München". Früher war das Problem mit den hohen Mieten offenbar eine Münchner Besonderheit. "Jetzt haben auf einmal alle das Problem", sagt die Vorsitzende des Mietervereins München.

Das Volksbegehren Mietenstopp ist ein Versuch gewesen, seine Folgen zu lindern. In 162 Städten und Gemeinden in Bayern, all jenen eben, in denen per Definition ein angespannter Wohnungsmarkt herrscht. Die Initiatoren wollten Bestandsmieten für sechs Jahre einfrieren; das hätte den Mietern eine kleine Verschnaufpause verschaffen sollen.

Es hat nicht geklappt. Das bayerische Innenministerium hat das Volksbegehren abgelehnt, weshalb die Sache vor den Verfassungsgerichtshof ging. Der entschied vorvergangene Woche, das Volksbegehren sei unzulässig - das Vorhaben widerspreche dem Grundgesetz, der bayerischen Verfassung und dem Bundesrecht.

Wie schauen die Initiatoren mit etwas Abstand auf das Urteil? Ein wenig enttäuscht sei sie, sagt Zurek, und: "Je länger ich darüber nachdenke, desto unverständlicher wird es für mich." Das hat mit dem Sondervotum zu tun, das drei der neun Richter abgaben. Es belege für sie klar, "dass man hätte dafür stimmen müssen". Verfassungswidrige Volksgesetzgebung sei fast nicht denkbar, heißt es in der Begründung der Abweichler, weil Volksbegehren und Volksentscheide ja präventiv verfassungsrechtlich überprüft werden.

Auf der anderen Seite sei es jedoch immer wieder vorgekommen, "dass Parlamentsgesetze, selbst wenn sie von der Staatsregierung eingebracht wurden, vom Verfassungsgerichtshof und/oder vom Bundesverfassungsgericht ganz oder teilweise für verfassungswidrig erklärt werden mussten". Oder, wie Beatrix Zurek es ausdrückt: "An ein Plebiszit werden fast höhere Ansprüche gestellt als an ein normales Gesetz." Das Volksbegehren zur Artenvielfalt sei von der Staatsregierung "mit einem Versöhnungsgesetz abgeräumt" worden. "Jetzt wäre mal ein Versöhnungsgesetz für Mieter angebracht."

Für Mieter in München werde durch das aktuelle Urteil "alles immer ungewisser"

Tilman Schaich von der Bürgerinitiative Ausspekuliert sieht das naturgemäß ähnlich. Auch er sagt, er finde das Urteil desto unverständlicher, je länger er darüber nachdenke. Auch, weil das Bundesverfassungsgericht erst kommendes Frühjahr über den Berliner Mietendeckel entscheidet. Wenn Karlsruhe das dortige Gesetz für verfassungskonform erklärt, hätten die Initiatoren in Bayern ein Dreivierteljahr verloren.

"Es stellt sich etwa die Frage, ob unsere Unterschriften dann noch zählen", sagt Schaich. Für Mieter in München werde durch das aktuelle Urteil "alles immer ungewisser", zumal jetzt in der Corona-Zeit. Die gesetzliche Möglichkeit, Mietzahlungen zu stunden, ist Ende Juni ausgelaufen. Die Hauptfolgen von Kurzarbeit und Kündigungen, glaubt er, stünden jedoch erst noch bevor. "Dann wird es ganz bitter."

Aufgeben kommt freilich nicht in Frage. Am ersten Oktoberwochenende will das Bündnis hinter dem Volksbegehren zu einem Mietenstopp-Gipfel in Aschaffenburg einladen. Ein Arbeitswochenende mit Diskussionen und Workshops soll es werden, passend zum World Habitat Day der Vereinten Nationen, der am 5. Oktober die Probleme ins Bewusstsein rufen soll, die mit der fortschreitenden Urbanisierung weltweit verbunden sind. Eingeladen sind Mietenstopp-Initiativen aus anderen Städten; Berlin und Frankfurt hätten bereits zugesagt, berichtet Tilman Schaich.

Es müsse nun eben auf Bundesebene weitergehen, sagt auch Beatrix Zurek; gleichzeitig wolle sie nicht, dass sich die Landesebene "aus der Verantwortung zieht". Sie habe keine Lust, da "den Druck rauszulassen". Gesetze wie die Mietpreisbremse, die per Landesverordnung überhaupt erst in Kraft treten, oder auch das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnungen seien schließlich auch auf Landesebene geregelt.

Vor einem guten Jahr hatten Mieterverein und SPD erstmals ihren Plan für ein Volksbegehren vorgestellt

Mittlerweile ziehe beim Mieterverein in der Corona-Krise der Beratungsbedarf an. Etwa 300 000 Mieterhaushalte würden früher oder später ein Problem bekommen, prophezeit Zurek. Auch um jene Menschen zu hören, die durch Corona in Schwierigkeit geraten sind, wollen Tilman Schaich und seine Mitstreiter im September vielleicht wieder einen Mieterstammtisch veranstalten.

Das ansonsten alle zwei Monate stattfindende Vernetzungstreffen war zuletzt länger auf Eis gelegt. Zum nächsten Stammtisch könnten nun gezielt Initiativen aus der Gastronomie und der Kultur eingeladen werden, die Probleme mit Mietzahlungen haben. "Das betrifft ja nicht nur das Wohnen."

Vor einem guten Jahr hatten Mieterverein und SPD erstmals ihren Plan für ein Volksbegehren vorgestellt. Das Bündnis wuchs, und im vergangenen Oktober begann die Unterschriftensammlung für die Zulassung der Initiative. Viel Arbeit, bei der davon ausgegangen werden muss, dass sie erst einmal umsonst war. Klar, sagt Zurek, der Kampf für bezahlbare Mieten sei mühsam, "aber das war er schon immer". Dass so viele unterschiedliche Akteure das gleiche Ziel verfolgten, sei schön und mache Spaß.

Aber wieder und wieder gegen die Widerstände der "großen Interessensgruppen anzukämpfen", das sei schon schwierig. Dazu gehört auch der Eigentümerverband Haus und Grund, der am Tag der Gerichtsentscheidung eine Pressemitteilung verschickte, in der es hieß, der Fiskus könne aufatmen: Schließlich verdiene der Staat über die Einkommensteuer der Vermieter kräftig mit - mehr als 35 Millionen Euro pro Jahr seien es allein aus den Münchner Mietsteigerungen, so die Rechnung des Münchner Haus- und-Grund-Chefs Rudolf Stürzer.

Für ihre eigenen Wohnungen hat die Stadt München indes schon vor einem Jahr die Ziele des Volksbegehrens vorweggenommen. Im Juli 2019 beschloss der Stadtrat, dass es für die mehr als 60 000 Wohnungen der kommunalen Unternehmen Gewofag und GWG fünf Jahre keine Mieterhöhung geben soll. Bis Juli 2024 sind die Mieten eingefroren - auf durchschnittlich 7,92 Euro pro Quadratmeter bei frei finanzierten und 6,45 Euro bei geförderten Wohnungen. Die Durchschnittsmiete laut Mietspiegel liegt bei 11,69 Euro.

Oberbürgermeister Dieter Reiter verwies damals darauf, dass Mieterpolitik "auch mit Symbolik zu tun hat". München müsse im eigenen Einflussbereich zeigen, dass es auch anders gehen kann. Damals litten die Finanzen noch nicht unter der Corona-Krise.

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SZ vom 29.07.2020/flud
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