Süddeutsche Zeitung

Brütende Vögel:Runter von der Wiese!

Die Gegend zwischen Freiham und Harthaus bietet Feldlerchen und Kiebitzen ideale Nistplätze. Dort tummeln sich aber auch Hunde und Jogger, die Bodenbrüter gefährden. Besonders in dieser Jahreszeit.

Von Ellen Draxel

Lange bevor die Sonne aufgeht, können Frühaufsteher sie schon zwitschern hören: Singvögel, die mit ihrem Morgenkonzert den Frühling willkommen heißen. Welche Arten dabei nur einzelne Weckrufe trällern und welche ganze Arien schmettern, wissen allerdings nur Kenner. Selbst Vogelliebhaber wie Frank Külmaier tun sich schwer, die Stimmen zu identifizieren. Weshalb der Germeringer, der oft mit seiner Frau durch die Felder zwischen Harthaus und Freiham spaziert, bei seinen Ausflügen gerne sein Handy mitnimmt. Denn darauf befindet sich eine App, die ihm beim Bestimmen der Tiere hilft.

Eine dieser Exkursionen im vergangenen Sommer ist dem Ehepaar besonders im Gedächtnis geblieben. "Zwei Lerchen", erinnert sich Külmaier, "flogen an diesem Tag über die Wiese und kehrten immer wieder zum selben Punkt zurück. Vermutlich hatten sie dort ihr Nest." Dass es Lerchen waren, versicherte ihm die App. Unterwegs auf der weiten Fläche waren damals aber nicht nur Vögel. "Wir sahen auch einen Hund, der sich auf einem anderen Teil des Feldes mit seinem Fang abmühte." Das Frauchen, erzählt Külmaier, der anders heißt, seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen will, rief nach ihrem vierbeinigen Liebling vom Wegrand aus. Doch der Hund reagierte nicht. Wenig später brachte er ihr stolz seine Beute: eine Maus.

Kein Einzelfall, wie Külmaier inzwischen weiß. "Die gesamte Fläche, eigentlich ein ideales Gelände für Bodenbrüter, ist das ganze Jahr über ein Tummelplatz für freilaufende Hunde." Viele Halter parkten mit dem Auto am Beginn des Harthauser Wegs und ließen dort ihre Vierbeiner aus dem Fahrzeug springen, damit diese ihr Geschäft verrichten. Bis zu den Schutzgebieten sei es für die Hunde dann nicht mehr weit. Külmaier mag Hunde und hat Verständnis für deren Bewegungsdrang. Weil er sich aber auch beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) engagiert, ist ihm bewusst, was das Laufenlassen von Hunden quer über die Wiese für Vögel bedeuten kann: eine massive Störung, die unter Umständen dazu führt, dass diese ihr Gelege aufgeben.

Sophia Engel ist Ornithologin, sie bestätigt Külmaiers Sorge um die Feldlerchen, Kiebitze und Flussregenpfeifer. "Durchgangsverkehr aus ständig wechselnden Richtungen ist gerade bei Bodenbrütern ein großes Problem. Gerade jetzt kommen sie aus ihren Winterquartieren zurück und suchen sich einen Nistplatz. Wenn da zu viel Störung ist, lassen sich die Tiere gar nicht erst nieder." Die, die es dann doch tun, brüten auf kiesigen Flächen von Anfang März bis Ende Juni. Die "kritischste Zeit", erklärt die Fachfrau vom LBV, sei im April und Mai. In diesen Monaten sollten die Vögel auf keinen Fall durch schnüffelnde oder beinhebende Hunde - oder auch durch Querfeldein-Jogger und picknickende Familien - verunsichert werden. "Auf den Wegen zu bleiben, ist unproblematisch, damit arrangieren sich die Vögel, daran gewöhnen sie sich."

Die Felder dienen als ökologischer Ausgleich für den Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke

Nester von Bodenbrütern, sagt Engel, seien sehr gut getarnt. "Man sieht sie oft nicht, schon gar nicht die Eier." Man müsse aber nicht erst auf das Nest treten, um zu verhindern, dass Küken heranwachsen. "Da reicht schon das Vorbeilaufen mal auf der linken, mal auf der rechten Seite." Dann suchten die Vögel das Weite - ohne die Eier fertig auszubrüten. Gerade bei Ausgleichsflächen, die bewusst als Ersatzlebensräume geschaffen werden, sei das "sehr schade".

Die 20 Hektar große Fläche zwischen Germering und Freiham, so groß wie 28 Fußballfelder, ist die größte ökologische Ausgleichsfläche für den Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke. Sie wurde 2020 angelegt, der überwiegende Bereich sind Magerrasen-Flächen. Um diesen Untergrund zu erhalten, hat man dem Acker zuvor bewusst mit Getreidepflanzen die Nährstoffe entzogen, auch das Düngen fiel weg. Ein Bagger trug schließlich die oberste Schicht des verbleibenden Humus ab, um den Bewuchs eines "artenreichen Extensivgrünlands", wie der Magerrasen im Fachjargon genannt wird, zu ermöglichen.

Es finden sich aber auch speziell für Reptilien wie die streng geschützte Zauneidechse geschaffene Habitate am Rand des Harthauser Wegs: große Steinhaufen, kunstvoll arrangiert neben Totholz- und Sandhügeln. Bodenbrüter lieben diese Standorte, und nicht nur sie: Zwischen Gräsern legten auch gerne Vogelarten wie die Dorngrasmücke oder der Zilpzalp ihre Nester an, erläutert Sophia Engel. Aufgrund der Bewirtschaftung der Äcker sei der Bestand dieser Tiere in den vergangenen Jahren aber immens zurückgegangen: Um 80 Prozent etwa beim Kiebitz und um rund 75 Prozent bei der Feldlerche.

Umso wichtiger sei es, Rückzugsorte zu erhalten. "Wenn man früher über die Felder lief, hörte man die Lerche überall", weiß die 50-jährige Vogelkundlerin. "Das ist inzwischen vorbei." Was also tun? Die Hundehalter bitten, ihre Vierbeiner anzuleinen? Sie mit Infoschildern für das Thema sensibilisieren? Frank Külmaier plädiert für beides. Er selbst sucht seit Längerem schon das Gespräch mit den Frauchen und Herrchen und stößt dabei in aller Regel auf großes Verständnis. Den meisten Hundebesitzern, sagt er, sei das Problem so überhaupt nicht bewusst.

Auch bei der Bahn kennt man die Situation und plant daher, an Ort und Stelle Informationstafeln aufstellen zu lassen. "Dort werden wir darauf hinweisen, dass Hunde nicht in die ökologische Ausgleichsfläche laufen dürfen", erklärt eine Sprecherin. Aktiv wird außerdem der Landesbund für Vogelschutz: Am Freitag, 1. April, ist ein Aktionstag zum Thema Hunde und Vögel geplant. Allerdings nicht am Harthauser Weg, sondern in der Langwieder Haide.

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