Na also. Es lässt sich über Protest, Antisemitismus und Rassismus gewinnbringend diskutieren, und das alles vor dem Hintergrund des Israel-Palästina-Konflikts und der deutschen Verantwortung. Die Villa Stuck macht es vor, das städtische Kunstmuseum, das gerade noch in seinem Interim in der Goethestraße residiert. Geraldine Rauch, Mathematikerin und Präsidentin der Technischen Universität Berlin, und Meron Mendel, Pädagoge und Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, treffen sich – und reden. Über den Umgang von Hochschulen mit echtem und vermeintlichem Antisemitismus und über den politischen Druck.
Eine pikante Note hat der Abend im zu kleinen Vortragsraum der „Villa“, weil er Teil einer Gesprächsreihe über Boykott und Zensur ist, die im ersten Anlauf abgesagt worden war. Im März war das, weil es Differenzen zwischen Museums-Team und Stadt München gab, es ging um einen der Eingeladenen, der sich für einen akademischen Boykott Israels aussprach.
Inzwischen habe sich das Museum intensiver auf die Diskussionen vorbereitet, versicherte dessen Leiter Michael Buhrs, und nun läuft alles, wie ursprünglich geplant. Inzwischen ist die Villa Stuck selbst ein Beispiel dafür, wie aufgeladen in Deutschland das Reden vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts ist. „Wir dürfen nie aufhören, miteinander zu sprechen“, sagt Buhrs.
TU-Chefin Rauch beklagt die aufgeheizte Stimmung durch politische Akteure, insbesondere in der Hauptstadt, das mache ihr „große Sorgen“: Sobald eine Hochschulleitung zwischen die Lager gerate, hier pro Israel, dort pro Palästina, sei es sehr schwierig zu moderieren, „weil politisch interveniert wird“ und kaum Interesse an Differenzierung bestehe. Längst nicht jeder Protest sei illegal.

Vor einigen Monaten wurde Rauch bundesweit bekannt. Sie hatte in den sozialen Medien einem Post einen Like gegeben, der vordergründig für einen Waffenstillstand in Nahost warb. Weil auf dem dazugehörigen Foto ein Hakenkreuz zu sehen war, wurde ihr Rücktritt gefordert. Rauch widersetzte sich und bat um Entschuldigung. „Ich hab’s nicht gesehen“, sagt sie über das Hakenkreuz. Es sei ein Fehler gewesen, nicht aufmerksamer zu sein.
Der per Video zugeschaltet Mendel sagt, er freue sich, dass Rauch noch im Amt sei. Und doch, er kritisiert sie hart für ihr Agieren in den sozialen Medien, er vermisse „Sensibilität und Kompetenz“. Rauch wiederholt ihr Mea Culpa. Der Blick auf Rauchs Fehler tut dem guten Gespräch keinen Abbruch: Mendel formuliert seine Kritik scharf, aber sachlich.
Es geht fortan vor allem um die Situation in Berlin. Sie ist mit Pro-Palästina-Aktionen und Besetzungen an Hochschulen viel aufgeladener als etwa in München. Rauch verurteilt bestimmte Aktionen, die Besetzung eines Hochschulpräsidiums etwa sei eine indiskutable Grenzüberschreitung und erzeuge Angst; Gewalt gegen Personen erst recht. Dennoch, auch nach solchen Vorfällen müsse der Rechtsstaat Rechtsstaat bleiben. Sie kritisiert, dass Politik und Medien sich gerne die Rolle der Justiz anmaßten: „Das macht mir Angst.“
In dem von der Journalistin Elke Buhr moderierten Gespräch berichtet Rauch von ihrem Eindruck aus Berlin, wo der Sparzwang genutzt werde, um politisch Druck auf Hochschulen auszuüben: Wenn unliebsame Campus-Proteste, die oft legitim und friedlich seien, nicht unterbunden würden, müsse man befürchten, dass dann an der betreffenden Hochschule erst recht Gelder gekürzt würden. Das führe dazu, sagt Rauch, dass Spitzen von Hochschulen zuletzt recht still gewesen seien.

Mendel sagt, er wolle im Kampf gegen Antisemitismus keine falschen Freunde in der Politik, die in Wirklichkeit die Rede- und Wissenschaftsfreiheit beschneiden wollten. Er erinnert daran, dass es die Debatte, wer öffentlich sprechen darf, auch im Kontext von Rassismus gebe. In Frankfurt etwa sei gegen einen Auftritt des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer protestiert worden. Das führe regelmäßig zur grundlegenden Frage: Wer entscheide, wer Rassist ist und wer wo sprechen darf?
An die Verantwortlichen in Wissenschaft und Kultur appelliert Mendel, Rückgrat zu zeigen, um die Freiheit der Wissenschaft zu schützen. Dort müsse man über Definitionen von Antisemitismus diskutieren. Es sei nicht richtig, sagt Mendel, wenn die Politik eine allgemeingültige Antisemitismusdefinition oktroyiere.