Restituierte NS-Raubkunst:Ein durch und durch politisches Gemälde

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Spitzwegs "Justitia" wurde einst von den Nazis geraubt. (Foto: NEUMEISTER/Christian Mitko)

Das Ölbild "Justitia" von Carl Spitzweg hing einst im Haus eines jüdischen Kaufmanns, später im Bonner Wohnsitz des Bundespräsidenten. Nun kommt es in München unter den Hammer.

Von Susanne Hermanski

Die Augenbinde ist ihr verrutscht, ihr Stehvermögen hat einen gewaltigen Knacks, unter ihrem Sockel wuchert das Unkraut, und die eine ihrer beiden Waagschalen fehlt ihr bereits ganz - Carl Spitzwegs "Justitia" ist ein wahrhaft ikonisches Bild. Sehr politisch war es schon, als der Münchner es 1857 gemalt hat. Der Weg, den das Ölgemälde danach nahm, ist es nicht minder. Im März wird das jüngst als NS-Raubkunst restituierte Werk vom Münchner Auktionshaus Neumeister versteigert.

Viele Jahre hing Spitzwegs Justitia in ihrer gesamten subversiven Drallheit in der Bonner Villa Hammerschmidt. Bis 2006 um genau zu sein, da war Horst Köhler gerade seit zwei Jahren Bundespräsident. Als 2007 Recherchen der Historikerin Monika Tatzkow bewiesen, dass es sich dabei um ein NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kunstwerk aus jüdischem Besitz handelte, war sie also erst recht ein Politikum. Die dpa meldete damals, das Bild werde nun von der Bundesrepublik an die rechtmäßigen Erben zurückgegeben. Viele Zeitungen berichteten darüber.

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Was mit dem Bild dann wirklich geschah, ist im Moment noch ungeklärt. Klar ist nur: Erst vor wenigen Wochen, am 20. November 2019 erging die offizielle Vollzugsmeldung aus dem Bundesverwaltungsamt: "Raubkunst: Rückgabe eines Spitzweg-Gemäldes abgeschlossen". Darin heißt es: "Recherchen zur Provenienz des Spitzweg-Gemäldes ergaben bereits 2006, dass der frühere Eigentümer, der Kaufmann Leo Bendel, als Jude vom NS-Regime verfolgt wurde, er das Gemälde im Juni 1937 an die Kunsthandlung Heinemann in München verkauft hatte und noch im gleichen Jahr mit seiner Frau von Berlin nach Wien gegangen war."

Es könne "nicht ausgeschlossen werden, dass das Rechtsgeschäft ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus und die dadurch verursachte Emigration des Verkäufers nicht abgeschlossen worden wäre". Deshalb restituiere man nun an die "Vertreter der Rechtsnachfolger". Warum erst jetzt, erklärt das Schreiben mit keiner Silbe. Leo Bendels Schicksal ist so erschütternd, dass es die juristischen Ausführungen, abgefasst in kaltem Amtsdeutsch, freilich nicht richtig wiedergeben.

Für 16 000 Reichsmark verkaufte er die Justitia

Er war Generalvertreter für Tabak- und Zigarettenpapierfabriken und besaß in seiner Sammlung einen weiteren Spitzweg. Den musste Bendel ebenfalls verkaufen, nachdem er 1935 - dem Jahr der Nürnberger "Rassegesetze", die mit vielen Berufsverboten für Juden einhergingen - seine Position verloren hatte. Die Justitia nahm ihm im Juni 1937 die Münchner Galerie Heinemann ab, für 16 000 Reichsmark. Dass dieser Preis nicht dem Marktwert entsprach, zeigte sich zehn Monate später, als das Bild für 25 000 Mark an Hitlers Kunsthändlerin Maria Almas-Dietrich verkauft wurde. Es sollte später einmal ein Prachtstück für Hitlers Großmuseum in Linz sein. Doch weil das bis Kriegsende nicht fertig war, verließ die Justitia Bayern nicht.

Leo und Else Bendel kurz nach ihrer Ankunft in Wien. (Foto: Privatarchiv / Karl-Werner Quarg / Elisabeth Sandmann Verlag)

Leo Bendel wurde nach dem sogenannten Anschluss Österreichs verhaftet und ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert, wo er im Frühjahr 1940 zu Tode gequält wurde. Seine Frau Else, die keine Jüdin war, überlebte unter ärmlichsten Bedingungen in Wien. Ihre nach dem Krieg gegenüber deutschen Behörden geltend gemachten Entschädigungsansprüche wurden abgelehnt, sie konnte keine ausreichenden Nachweise über den früheren Besitz beibringen.

Wie viele andere für Linz bestimmte Kunstwerke landete die Justitia 1945 im sogenannten Central Collecting Point der Amerikaner, also in einem der beiden Zwillingsbauten der Nazis am Königsplatz, dem Führerbau oder dem Verwaltungsbau der NSDAP. Was von dort aus in der frühesten Nachkriegszeit nicht von den Besatzern an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben wurde, landete später im Bundesbesitz.

Der kostbare Spitzweg wurde 1961 sogar unmittelbar dem Bundespräsidialamt zugeordnet. Nach München kam er als Leihgabe auch einmal wieder zu Besuch - ins Haus der Kunst, wo er 1985 die Ausstellung "Carl Spitzweg und die französischen Zeichner. Daumier - Grandville - Gavarni - Doré" zierte. Auf der Rückseite des Gemäldes kann man bis heute die entsprechenden Stempel finden, die all diese Wege dokumentieren.

Warum die Erben von Leo Bendel und seiner Frau die Justitia nun gerade bei Neumeister in München versteigern lassen, lässt sich nur mutmaßen. Zum einen gilt Neumeister seit Jahrzehnten als besonders spezialisiert auf Carl Spitzweg (der 1808 in München geboren wurde und 1885 auch hier starb). Das teuerste Spitzweg-Gemälde, das je verkauft wurde, kam im September 2000 hier unter den Hammer und erzielte kurz vor der Euro-Umstellung 2 400 000 DM. Zum Anderen hat sich Katrin Stoll, die Besitzerin des Auktionshauses, besonders verdient gemacht um die Aufklärung von vielen Raubkunstfällen. Nachdem sie das Geschäft von ihrem Vater übernommen hatte, recherchierte sie intensiv die eigene Firmengeschichte. Das Auktionshaus war unter dessen Vorbesitzer Weinmüller tief in das System des NS-Kunstraubs verstrickt.

© SZ vom 01.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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