Süddeutsche Zeitung

Null Acht Neun:Der Himmel in Hallbörgmuus

Wer in München unglücklich ist, ist es auch in Monaco. Warum also verreisen in ferne Länder? Man findet dort ja nichts, was es hier nicht auch gibt, genauso oder gar besser.

Von Christiane Lutz

Verreisen ist eines der Dinge, die während der vergangenen eineinhalb Jahre zu einer seltsam unrealen, ja geradezu fantastischen Erinnerung verkommen sind. Gab es wirklich einmal Zeiten, in denen man sorg- und maskenlos einfach über den Atlantik geflogen ist? So, als sei das kein Ozean, sondern ein oberbayerischer Weiher, über den man mal kurz hopst? Und wer erinnert sich noch an diese unfassbar lange Anfahrt zum Münchner Flughafen, auf der aufgrund ihrer Dauer schon Kinder erwachsen, Ehen beendet, Epen verfasst wurden? Kaum vorstellbar das alles, nicht nur, weil das Fliegen inzwischen aus einer Vielzahl an Gründen problematisch geworden ist. Da kommt es gelegen, dass man inzwischen sowieso mit dem eigenen Stadtviertel verwachsen ist. Sich zu weit davon zu entfernen, ist nur verstörend.

"Though we travel the world over to find the beautiful, we must carry it in us or we find it not", konstatierte einst der amerikanische Philosoph und Autor Ralph Waldo Emerson. Übersetzt heißt das etwa: Wer in München unglücklich ist, ist es auch in Monaco. Warum also verreisen? Auf die innere Haltung kommt es an. Nichts, was es hier nicht auch gibt, genauso oder gar besser.

Wer etwa seinen Körper nach Portugal schleppt, um Abstand zu gewinnen vom pandemischen Mühsal, entdeckt dort alsbald ein entzückendes Fischerdörfchen namens "Burgau". Moment. Burgau? So heißt doch ein mindestens genauso entzückender Rastplatz auf der A8 irgendwo bei Günzburg, sogar mit einem See! Hätte man sich also sparen können, den Reisestress. Und traf man nicht unlängst diesen britischen Geschäftsmann, der von "Hallbörgmuus" schwärmte, das er sich als sehr exotischen Ort vorstellt, jedes mal, wenn er nach München geschäftsreist und mit der S-Bahn daran vorbei fährt, so dass man direkt versucht ist, sich für zwei Millionen Euro ein Häuslein dort zu kaufen? Und stand nicht gerade wieder in den Zeitungen, dass überall in Bayern die Ortsschilder geklaut werden von Pups, von Fucking, Kotzheim und Kissing? Einfach nur, weil es dort so beautiful ist wie sonst nirgends? In München kommt angeblich auch immer wieder das Straßenschild der "Tangastraße" weg, warum das originell sein soll, erschließt sich allerdings nicht.

Das Prinzip gilt für den Rest der Republik auch, in Konstanz und Jena heißen ganze Stadtteile "Paradies", in Stuttgart gibt es den Bopser und das Bubenbad, in Hamburg eine Bushaltestelle mit dem wunderschönen Namen Schulterblatt. "Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah", sagt Goethe, von dem gern behauptet wird, er sei Frankfurter, aber im Herzen war der doch auch ein Münchner, schließlich gibt es hier einen Platz, der so heißt, wie er.

Es lässt sich also festhalten: Fernreisen müssen nicht verklärt werden. Auch Karl Valentin soll München übrigens nur äußerst ungern verlassen haben. Schlechte Laune kann man schließlich überall pflegen. Ist das nicht beautiful?

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