Mordprozess ohne Leichen:Angeklagter bestreitet Tötung seiner Frau und Stieftochter

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Der Angeklagte streitet zum Prozessauftakt im Landgericht München alle Vorwürfe ab. (Foto: Britta Schultejans/dpa)

Zum Auftakt der Verhandlung erzählt der 45-Jährige seine eigene Version vom Verschwinden der beiden Frauen. Er gehe davon aus, dass Mutter und Tochter noch leben - oder zumindest die Mutter.

Von Susi Wimmer

Roman H. wirkt ungehalten, genervt, er verzieht die Mundwinkel und sagt auf russisch: "Wir haben wohl ein Übersetzungsproblem." Die zweite Strafkammer am Landgericht München I aber scheint eher ein Problem mit den widersprüchlichen Aussagen und Geschichten zu haben, die der 45-Jährige am ersten Prozesstag von sich gibt: Er, der wegen Mordes und Totschlags an seiner Stieftochter Tatjana und an seiner Ehefrau angeklagt ist, behauptet vor Gericht, dass "die Mädchen noch leben, zumindest meine Frau Maria". Er sei auch bereit, das weiter zu erklären, aber nur "in engerem Kreis, nicht öffentlich", denn er habe die begründete Annahme, dass ansonsten Gefahr für die Frauen bestünde. Die Schwurgerichtskammer stellt sich auf einen langen Prozess ein, der bis mindestens März nächsten Jahres dauern wird. Denn: Bislang haben die Strafverfolger zwar etliche Indizien zusammengetragen - allein, es fehlen die Leichen der beiden Frauen.

Indizien, das sind kleine Mosaiksteinchen, Bauteile aus Hinweisen und Tatsachen, die zusammengenommen zu einer Schlussfolgerung führen können: schuldig im Sinne der Anklage. Oder auch nicht. Es gibt keine Tatwaffe, es gibt keine Leichen, es gibt kein Geständnis. Trotzdem ist Staatsanwalt Daniel Meindl davon überzeugt, mit Roman H. den Täter der mutmaßlichen Ramersdorfer Bluttat auf die Anklagebank gebracht zu haben. Meindl geht davon aus, dass H. seine Ehefrau Maria im Streit im Flur der gemeinsamen Wohnung in der Ottobrunner Straße am 13. Juli vergangenen Jahres getötet hat, "am ehesten durch stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Kopf".

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Der 38-Jährige spritzte pflegebedürftigen Patienten so viel Insulin, dass sie starben. Das Gericht ordnete außerdem anschließende Sicherungsverwahrung an.

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Nach der Tat am Vormittag habe er gewartet, bis seine 16 Jahre alte Stieftochter mittags vom Sprachunterricht heimgekommen sei und habe auch sie mit Schlägen auf den Kopf im Wohnzimmer getötet. Da er damit eine andere Straftat verdecken wollte, stuft die Staatsanwaltschaft dies als Mord ein. Sodann sei H. in den Baumarkt gefahren, habe Pinsel und Farbe gekauft, um an den Wänden die Blutspritzer zu übertünchen. Anschließend habe er die Leichen an einen noch unbekannten Ort gebracht, die Böden akribisch gereinigt und die blutverschmierten Teppiche in einem Wäldchen ins Gebüsch geworfen.

Roman H. verdeckt sein Gesicht nicht, als alle Kameras vor Beginn des Prozesses auf ihn gerichtet sind. Er gibt mit monotoner Stimme seine Personalien zu Protokoll, Roman H., geboren in Tomsk, ehemalige Sowjetunion, Lagerfachkraft, verheiratet. Als die Anklageschrift verlesen wird, hebt er die Hand. Er stört sich an einer Formulierung und an der Tatsache, dass sein Familienstand als "verwitwet" angegeben wird. "Ich habe grundsätzlich verstanden, um was es geht", fängt er an. Er werde auf alles antworten, was das Gericht interessiere. Und dann erzählt er seine Geschichte.

Dass er mit Frau und Stieftochter an jenem Tag gemeinsam zu Mittag Salat und russische Maultaschen gegessen habe, dann sei er in den Keller gegangen. Als er etwa eine Stunde später die Wohnungstüre aufgesperrt habe, sei Tatjana auf Maria gelegen und habe sie gewürgt. Er habe das Kind weggezogen, seine Frau ins Bad gebracht. Er habe an ihrem Hinterkopf eine blutende Wunde gesehen, seine Frau sei nicht ansprechbar gewesen, "in einem Schockzustand", er habe sie in der Wanne eiskalt abgeduscht. Die Tochter sei weinend auf dem Wohnzimmer-Teppichboden gekauert, aus der Nase blutend.

Wenig später hätten sich die Frauen zurechtgemacht, er habe keinerlei Verletzungen an ihnen bemerkt - und seien zum Shoppen ins PEP aufgebrochen. Seine Frau habe ihn gebeten, alles sauber zu machen, sie werde ihm später alles erklären. Also habe er die Wände in Gang und Wohnzimmer gestrichen, die Kleidung der Frauen in die Waschmaschine geworfen, denn "frisches Blut lässt sich leichter wegwaschen". Dann habe er mit dem Waschstaubsauger den Boden gereinigt, das getrocknete Blut aus den Fugen gekratzt und den Boden nochmals gesäubert. Zuerst wollte er die Teppiche nicht entsorgen, "weil, wer Probleme schafft, sollte sie auch selbst beseitigen", tut er kund. Dann habe er sie doch weggefahren.

"Und sie glauben, dass die beiden nach dem Streit bei Regen zu Fuß über fünf Kilometer ins Pep gelaufen sind, während der Wagen der Frau in der Garage stand", fragt Richter Norbert Riedmann. Und warum der Teppich nicht bei den Mülltonnen entsorgt wurde, darauf hat Roman H. keine Antwort. Auch nicht auf die Tatsache, dass er bei der Polizei vor einem Jahr eine völlig andere Version erzählt hatte.

Der Ex-Mann von Maria G. sagt vor Gericht, er habe seine Tochter verloren, seine Ex-Frau, "seitdem durchlebe ich die Hölle". Und: "Ich hoffe, dass Sie die Sache aufklären können."

© SZ vom 20.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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