Auch wenn es zum Teil heftig umstritten ist: In der Sprache etabliert sich das sogenannte Gendern immer mehr. Viele Radiomoderatoren und -moderatorinnen zum Beispiel sprechen inzwischen eine geschlechtsneutrale Form aus, indem sie nach einer winzigen Sprechpause noch ein -innen an die Endung -er anhängen.
Viele benutzen beim Schreiben das Gendersternchen (Musiker*innen). Aus Studenten sind längst Studierende geworden - und in Stadtratsanträgen tauchen immer häufiger kurios klingende Formulierungen wie "Zufußgehende" oder "Radfahrende" auf, speziell in Anträgen der grün-roten Rathauskoalition.
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Wegen Corona sind Münchens Fahrschulen schon seit Wochen geschlossen. Manche Betriebe fürchten um ihre Existenz - und manche um einen nicht zu bewältigenden Ansturm im Sommer.
Eben diese hat nun beantragt, auch die Verkehrsplanung gendergerecht zu gestalten. Die Verwaltung möge das Thema "Gender Planning" im neuen Mobilitätsreferat in den Fokus stellen, heißt es in dem Antrag, der ein "Hearing" im Mobilitätsausschuss zum Thema vorschlägt. Es gehe darum zu klären, "wie die Bedürfnisse aller Mobilitätsteilnehmer*innen berücksichtigt und spezifisch weibliche Bedürfnisse an Mobilität in der Infrastruktur umgesetzt werden können". Zur Begründung heißt es unter anderem: "In der Vergangenheit orientierte sich die Verkehrsplanung oftmals an dem Stereotyp ,Mann im Dienstwagen auf dem Weg zur Arbeit'. Entsprechend wurden Straßen, Parkplätze und Ampelphasen auf diese Art der Fortbewegung angepasst. Die heutigen Wegestrecken sind jedoch deutlich vielschichtiger."
Frauen machten viele Umwege, teilt Grünen-Stadträtin Sofie Langmeier dazu mit. "Sei es wegen der Kinder, wegen Eltern, die Unterstützung brauchen, weil sie für den Einkauf zuständig sind, weil sie mit dem Rad nicht an lauten Straßen entlang fahren wollen oder sich in manch dunklen Ecken unsicher fühlen." Julia Schmitt-Thiel (SPD) erklärt, Frauen seien viel öfter zu Fuß und mit Kindern unterwegs. "Und ältere wie junge Frauen haben andere Sicherheitsbedürfnisse im öffentlichen Raum."
Das Hearing solle auf verschiedene Bedürfnisse aufmerksam machen und Fragen behandeln wie die Sicherheit und die Ausleuchtung von Unterführungen, Hindernisse für Kinderwagen oder Rollatoren, oder Ampelschaltungen, die eine stressfreie Querung der Straße erlauben. Als konkrete Beispiele für potenzielle Verbesserungen fallen der SPD-Rätin etwa die Beleuchtung im Maßmannpark ein, die sich für ein besseres Sicherheitsgefühl optimieren ließe, oder der schmale Radweg an der Lindwurmstraße, der ohnehin schon auf der Liste der Stadt steht.
"Wir fangen nicht bei null an"
Die Reaktion der CSU als Oppositionspartei auf den grün-roten Antrag fällt indessen vernichtend aus. Manuel Pretzl, Fraktionsvorsitzender im Stadtrat, teilt auf Nachfrage mit: "Der Antrag ist völlig aus der Zeit gefallen. Männer fahren Dienstwagen und Frauen erziehen die Kinder - das sind Stereotype, die zum Glück längst überholt sind. SPD und Grüne zementieren hier uralte Rollenbilder", so Pretzl. Natürlich müsse bei der Verkehrswende an alle Verkehrsteilnehmer gedacht werden, dies sei längst Konsens im Stadtrat. Sein Befund: "Ein Hearing zu diesem Thema ist überflüssig. Sehr viele Bürger haben derzeit ganz andere Sorgen als die Frage nach gendergerechten Ampelphasen." Die Bild-Zeitung schrieb derweil von "Gender-Gaga".
Tatsächlich klingt "gendergerechte Verkehrsplanung" zunächst seltsam. Doch mit dem Thema beschäftigen sich Studien zum Teil schon seit Jahrzehnten, stets mit dem Ergebnis, dass Frauen sich in der Stadt anders fortbewegen als Männer. Zum Beispiel Wien geht bei seiner "geschlechtssensiblen Verkehrsplanung" den genannten Fragen nach. Im Ergebnis entstanden dort in verschiedenen Bezirken unter anderem breitere Fußwege, neu gestaltete Plätze mit mehr Aufenthaltsqualität und neue Radwege.
Das sind Dinge, wie sie freilich auch in München realisiert werden. Die Verkehrsplanung beschäftigt sich auch hier schon länger mit dem Thema "Gender-Mainstreaming". So verweist die ehemalige SPD-Stadträtin Bettina Messinger auf Twitter auf einen Beitrag des Planungsreferats zum Thema, der aus dem Jahr 2006 stammt. "Wir fangen nicht bei null an", sagt Julia Schmitt-Thiel. Es gehe bei der Verkehrswende darum, generell die Bedürfnisse verschiedener Menschen abzufragen. Jetzt, nach dem Start des neuen Mobilitätsreferats, sei eine gute Gelegenheit, auf das Thema wieder verstärkt aufmerksam zu machen.