Seit die neue grün-rote Rathausmehrheit die Tunnelpläne für die Landshuter Allee auf Eis gelegt hat, ist die Auseinandersetzung wieder voll entflammt. Gegner und Befürworter eines Tunnelneubaus an diesem Teil des Mittleren Rings schlagen sich Zahlen und Messwerte, Fakten und Vermutungen, Konzepte und Visionen um die Ohren. Die ÖDP im Neuhauser Bezirksausschuss (BA) besinnt sich nun auf die Machbarkeitsstudie zum Tunnel von 2014 und hat in der jüngsten Sitzung den Antrag gestellt, diverse, damals nicht weiter verfolgte Einzelmaßnahmen zur Verringerung der Emissionen neu zu prüfen und möglichst schnell umzusetzen. Das knüpft nahtlos an die Formulierungen des Rathaus-Bündnisses an, den Tunnel nur dann zu beerdigen, wenn es andere Lösungen zum Schutz der Anwohner gibt. Falls nicht, stehe man, so Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), im Wort.
Denkbar seien, listet die ÖDP auf, beispielsweise Tempolimits, Maut, Sondergenehmigungen, Lkw-Verbot, "Frei nur für Elektro", "Frei für mindestens drei Insassen" oder eine Fahrradspur. Auch Lärmschutzfassaden oder lärmdämmender Fahrbahnbelag zählen zu den Möglichkeiten. Die CSU hielt davon gar nichts. In der Studie damals sei doch schon "fast alles" untersucht worden, wandte Nima Lirawi ein, und das Tempo sei zwischen Donnersbergerbrücke und Dachauer Straße bereits von 60 auf 50 Stundenkilometer gesenkt worden. Sein Fraktionskollege Wolfgang Schwirz nannte Fahrverbote auf dieser Strecke "völlig unrealistisch". Wenn man den Durchgangsverkehr aus der Stadt heraushalten wolle, solle man endlich mal den Autobahn-Südring bauen. Diese schon recht alte Forderung nach einem Lückenschluss hat allerdings wenige politische Befürworter. Als neuer Sprecher der Bürgerinitiative "Pro Landshuter Allee Tunnel" betonte Lirawi einige Tage nach der BA-Sitzung noch einmal, all die erwähnten Szenarien seien "nicht sinnvoll" und "realitätsfern". Die BI befürchte einen neuen "Prüfungsmarathon".
Der Bezirksausschuss brachte den Antrag trotz aller Einwände mit 22 zu zwölf Stimmen auf den Weg, gegen die CSU und den größten Teil der SPD-Fraktion. Deren Sprecherin Anna Lena Mühlhäuser erklärte, die SPD warte nach wie vor auf das Ergebnis der erweiterten Untersuchung. Weil sich herausgestellt hat, dass der neue, knapp 1,5 Kilometer lange Tunnel an der Landshuter Allee an seinem südlichen Ende die Emissionswerte nicht einhalten würde, prüft das Baureferat technische Optionen wie eine Verlängerung der Röhre unter der Arnulfstraße hindurch, hinauf auf die Donnersbergerbrücke. Ein Ergebnis hat das Baureferat für Mitte 2020 - also jetzt - angekündigt. Auf Nachfrage erklärt dessen Sprecherin aber nur, die Koalitionsvereinbarung sei kein Stadtratsbeschluss. "Wir gehen davon aus, dass der Stadtrat in Kürze über die Einsparungen im investiven Bereich entscheidet."
Zu Wort gemeldet hat sich inzwischen auch wieder einmal die "Initiative für Neuhausen" mit einem Vorstoß, den BA-Chefin Anna Hanusch (Grüne) als "interessanten Vorschlag aus der Bürgerschaft" einstuft. Die Initiative mit nach eigenen Angaben 40 Mitgliedern, als deren Sprecherin Marita Firnkes-Müller auftritt, nennt die bisherige Tunnel-Vorplanung "nicht bürger-, sondern verkehrsfreundlich": "Gewinner ist der Durchgangsverkehr". Der werde nicht nur auf dem Mittleren Ring noch zunehmen, sondern am Rotkreuzplatz ebenso, und an der Oberfläche blieben trotz Untertunnelung zu viele Fahrspuren. Wegen der vielen Ein- und Ausfahrtsrampen seien kaum Querungen für Fußgänger und keine durchgehende grüne Mittelpromenade möglich, statt des ersehnten Brückenschlags werde die Trennung des Viertels durch die Verkehrsschneise "bleibend betoniert". Neuhausen werde für etwa acht Jahre zu einer lärmenden und stauträchtigen Großbaustelle "mit tausenden Fahrten Schwerlastverkehr". Und der Gedanke, Abriss des alten Tunnels und Neubau in zwei bis drei Abschnitten durchzuführen, würde die Situation für die Bürger nur verlängern und verschlimmern.
In einem Schreiben an die Stadtspitze, die Stadträte und den Bezirksausschuss hat die Initiative daher Ideen skizziert, die ihrer Meinung eine Verkehrsentlastung und -beruhigung sowie mehr Grün und Aufenthaltsqualität schaffen würden. Der überörtliche Verkehr solle großräumig über Umfahrungsstraßen wie Wintrichring, Georg-Brauchle-Ring, Schleißheimer Straße und Landsberger Straße an den Mittleren Ring angebunden und so aus Neuhausen draußengehalten werden. Die Fahrspuren an der Oberfläche der Landshuter Allee sollen reduziert werden zugunsten einer größeren Grünfläche auf der Decke des bestehenden Tunnels, auf der, auf Höhe der Leonrodstraße, ein Skulpturenpark angelegt werden könnte. Und in einem Aufwasch würde die Initiative auch gleich noch den Durchgangsverkehr vom Rotkreuzplatz verbannen. Die sogenannte Furt über den Platz dürften dann nur noch Linienbusse, Taxis, Rettungsfahrzeuge und Radfahrer benutzen, auf der Nymphenburger Straße dürfte nur noch langsam gefahren werden.
Auch davon hält die Bürgerinitiave pro Tunnel gar nichts. Eine bloße Umverteilung der Verkehrsströme sei "kein zukunftsfähiges Verkehrskonzept", sondern eine Verlagerung der Belastung auf Anwohner anderenorts. Im übrigen werde sich Berechnungen des Baureferats zufolge der an der Oberfläche bleibende Verkehr sehr wohl reduzieren, an den Kreuzungen des Rings mit Nymphenburger und Leonrodstraße in Stoßzeiten zu 60 Prozent.