Verkehrsberuhigte Innenstadt:München will von anderen Städten lernen

Verkehrsberuhigte Innenstadt: Ob Radler oder Autofahrer, Fußgänger oder Einzelhändler - es ist schwierig, die Interessen aller in der Innenstadt zu befriedigen.

Ob Radler oder Autofahrer, Fußgänger oder Einzelhändler - es ist schwierig, die Interessen aller in der Innenstadt zu befriedigen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Der Planungsausschuss hat Referenten aus anderen Städten zum Thema verkehrsberuhigte Innenstadt eingeladen.
  • Die Münchner Wirtschaftsverbände fordern, beim Thema Verkehrsberuhigung mit einbezogen zu werden.
  • Eine Stadt brauche Flair, sagt der Berliner Landschaftsarchitekt Carlo Becker. In München sieht er da noch Potenzial.

Von Andreas Schubert

Vergangenen Juni hatte der Münchner Stadtrat sich grundsätzlich darauf verständigt, dass weniger Autos in die Innenstadt fahren sollen. Am Mittwoch nun hat sich der Planungsausschuss externe Meinungen zum Thema angehört. Das Ergebnis: So einfach wird es nicht sein, den Autoverkehr im Zentrum zu reduzieren. Dafür signalisierte das Gremium eine grundsätzliche Einigkeit, dass die Situation nicht so bleiben kann, wie sie aktuell ist. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erklärte dabei zum wiederholten Mal, dass er sich beim Reduzieren des Verkehrs mehr Tempo wünsche.

Dass Verkehrsberuhigung auch in einer deutlich kleineren Stadt ihre Zeit braucht, verdeutlichte der als Gastreferent geladene Freisinger Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher (Freisinger Mitte). Freising hat einen langjährigen Prozess mit zahlreichen Untersuchungen hinter sich, der sowohl die Belange der Geschäftsleute der Innenstadt, der Anwohner, aber auch der Menschen im Freisinger Umland berücksichtigen sollte. Dabei herausgekommen ist ein Verkehrskonzept für das Zentrum, das derzeit umgesetzt wird. Es beinhaltet verkehrsberuhigte Zonen und eine Fußgängerzone, für Autofahrer von außerhalb stehen, rund ums Zentrum verteilt, rund 3000 Parkplätze zur Verfügung.

Auch das von den Größenverhältnissen eher mit München vergleichbare Wien hat sich für sein Zentrum einiges einfallen lassen. So hat die Stadt dort neun sogenannte Begegnungszonen ausgewiesen, in denen Autos zwar langsam fahren dürfen, Fußgänger aber Vorrang haben. 15 weitere solche Zonen sind geplant. Das funktioniere bestens, wie Andreas Dillinger, Leiter der Verkehrspolitik bei der Wirtschaftskammer Wien, anhand der Einkaufsmeile Mariahilfer Straße erklärte.

Für ihn ist eine Verkehrsberuhigung durchaus auch eine Chance für den Handel. Wie auch Freising setzt Wien auf eine problemlose Erreichbarkeit des Zentrums, auch per Auto. Doch Begegnungszonen wie in Österreich sieht die deutsche Straßenverkehrsordnung derzeit noch nicht vor. Die Stadt Freising zum Beispiel hat deshalb sogenannte Spielstraßen zur Verkehrsberuhigung ausgewiesen.

Für Erreichbarkeit sprechen sich auch die Münchner Wirtschaftsverbände aus und fordern zudem, beim Thema Verkehrsberuhigung mit einbezogen zu werden. Ein modernes Verkehrsmanagement sei in der Lage, den städtischen Verkehr für alle verträglich zu steuern, ohne die freie Wahl des Verkehrsmittels einzuschränken, erklären die Verbände. Sie haben dabei auch die Handwerker und Lieferanten im Sinn, für die es weiterhin Zufahrtsmöglichkeiten und Stellplätze geben müsse. Gleichzeitig schlagen sie unter anderem vor, den öffentlichen Nahverkehr weiter zu verbessern.

Den öffentlichen Nahverkehr "sexy machen", so drückt es die Verkehrsplanerin Stefanie Bremer von der Universität Kassel aus. Doch das allein reicht ihrer Erkenntnis nach nicht. Verkehr funktioniert ihrer Erkenntnis nach nur als Netz. Sie schlägt deshalb die schnelle Erarbeitung und Umsetzung eines Verkehrskonzepts vor, das alle möglichen Verkehrsmittel mit einbezieht und möglichst viele Menschen zufrieden stellt - auch diejenigen, die aufs Auto angewiesen sind. Mit einfachen Mitteln sei das in einer Stadt wie München aber nicht zu schaffen. Ihr Tipp an die Stadt: "Sie müssen die Komplexität beherrschen können." In die Umsetzung von Projekten seien dabei immer auch die Menschen mit einzubeziehen.

Denn um die Menschen geht es ja auch in einer Stadt. Und denen müsse man ein attraktives Umfeld schaffen, sagt auch der Berliner Landschaftsarchitekt Carlo Becker. In Zeiten des zunehmenden Online-Handels reiche es nicht mehr, nur Waren in Geschäften anzubieten. Seine Vision von eine attraktiven Innenstadt sieht eine Mischung aus viel Grün, viel Freiraum für die Menschen und weitere Angebote - seien es kulturelle oder gastronomische - vor. Flair sei das, was eine Stadt brauche, und in München sieht der Berliner noch eine ganze Menge Potenzial.

Verkehrsberuhigte Innenstadt: Es müsse mehr Flair im Zentrum entstehen, regte der Landschaftsarchitekt Carlo Becker an.

Es müsse mehr Flair im Zentrum entstehen, regte der Landschaftsarchitekt Carlo Becker an.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Wie dieses ausgeschöpft werden kann, darüber muss sich das Planungsreferat Gedanken machen - und auch darüber, was mit den 2000 Parkplätzen auf den öffentlichen Flächen des 150 Hektar großen Zentrums passiert. Die Grünen haben wiederholt vorgeschlagen, einen Teil davon zu streichen und die Potenziale der bestehenden Parkhäuser im Zentrum besser zu nutzen. In diesen gibt es nach Auskunft von Stadtbaurätin Elisabeth Merk aktuell rund 5000 Stellplätze. Weitere 7000 Stellplätze gibt es auf Privatgrund. Dass nicht alle Parkplätze verschwinden können und Anwohner, Gewerbe sowie in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen auch weiterhin die Möglichkeit haben sollen, ins Zentrum zu fahren, darüber herrscht im Stadtrat Einigkeit.

Bis es ein Verkehrskonzept für die ganze Stadt gibt, darauf will der Stadtrat aber nicht warten. In den nächsten Monaten stehen unter anderem Beschlüsse zum Altstadt-Radlring, zum Parkraum in der Innenstadt und zum Mobilitätsplan an, laut Merk sind das ohnehin schon Bausteine eines Verkehrskonzepts. OB Reiter wünscht sich, dass diese Beschlüsse dann nicht wieder vertagt werden. "Wir müssen auch mal was beschließen", sagte er.

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