Süddeutsche Zeitung

Neue Angebote in München:Wie sich der Carsharing-Markt verändert

Lesezeit: 3 min

Von Andreas Schubert

Noch in diesem Sommer werden Tausende elektrisch betriebene Tretroller auf den Fahrradwegen Münchens unterwegs sein. Zwölf Anbieter von Leihrollern haben bereits ihr Interesse an der vermutlich lukrativen Stadt bekundet. Doch auch der Carsharing-Markt ist in den vergangenen Wochen immens gewachsen. Mit 700 Autos, die im sogenannten Free-Floating-System zur Verfügung stehen, ist nun der Autoverleiher Sixt in München an den Start gegangen. Free Floating bedeutet: Ein Nutzer leiht innerhalb eines bestimmten Geschäftsgebiets spontan ein Auto und stellt es an anderer Stelle in diesem Geschäftsgebiet wieder ab. Vorher muss er sich eine App für sein Smartphone runterladen und sich mit seinen Führerschein- und Bezahldaten registrieren.

Das machen Car2Go und Drive Now, die erst vor Kurzem zu Share Now fusioniert sind, schon seit Jahren so. Das Unternehmen Sixt, das früher zusammen mit BMW an Drive Now beteiligt war und seine Anteile verkauft hat, schaltet nun beim Free Floating noch einen Gang höher: Wer ein Auto in München ausleiht, kann dieses auch außerhalb des Geschäftsgebietes zurückgeben, sofern es dort eine Sixt-Dependance gibt, sprich: Er oder sie kann in eine andere Stadt fahren, den Autoschlüssel in den Briefkasten der Sixt-Filiale werfen und muss sich um nichts weiter kümmern. Das kostet eine Extra-Gebühr, trägt aber dazu bei, dass die Grenzen zwischen klassischem Autoverleih und Carsharing nun aufgehoben sind.

In der Sixt-App lassen sich klassische Sixt-Mietautos und Share-Autos ausleihen und sogar ganz normale Taxis rufen. In den kommenden Tagen werden auch die E-Scooter des Berliner Anbieters Tier in der App abrufbar und gleich zu buchen sein, ohne dass man sich die App von Tier eigens aufs Smartphone laden muss. Wie ein Sixt-Sprecher erklärt, soll die App eine Plattform für alle möglichen Formen der Mobilität sein. Er schließt nicht aus, dass irgendwann auch der öffentliche Nahverkehr eingebunden sein könnte. So weit sei man zwar noch nicht, die App sei aber grundsätzlich eine offene Plattform.

Mit dem Wiedereinstieg von Sixt ins Carsharing-Geschäft stehen in München nun 2000 Leihautos im Free Floating zur Verfügung. Dazu kommen noch die Unternehmen, die ein stationsgebundenes Carsharing anbieten. Ältester Anbieter ist hier Stattauto mit 450 Fahrzeugen, die an mehr als 120 festen Stationen in der Stadt und im Umland geliehen und abgegeben werden können. Dazu zählen seit Kurzem auch die Mobilitätsstationen in einzelnen Stadtvierteln, an denen verschiedene Angebote wie Leihrad, ÖPNV und eben Leihautos samt Elektroladestationen gebündelt sind.

An bestimmte Stationen respektive Gebiete gebunden sind auch die 120 Wagen der Bahntochter Flinkster sowie die des Anbieters Oply, der aktuell 210 Fahrzeuge in 81 Zonen abgestellt hat.

Dann gibt es noch Plattformen wie Snappcar, Turo und Drivy, auf denen private Autobesitzer ihre Wagen zum Teilen anbieten können. Um die Abwicklung des Leihgeschäfts sowie um Versicherungsfragen kümmern sich die Betreiber der Plattformen. Die Preise hängen bei allen Arten des Carsharings vom jeweiligen Fahrzeugtyp ab sowie von den Zeiten, in denen die Autos ausgeliehen werden. Bei den Free Floatern starten die Preise bei 19 Cent pro Minute, liegen in München aber oft höher, so um die 30 Cent. Bei den anderen Carsharing-Arten ist eine Abrechnung nach Minuten nicht möglich. Hier werden Stunden- oder Tagespreise erhoben, teilweise plus Gebühren, die zu unterschiedlich sind, um an dieser Stelle aufgelistet zu werden. Ein Preisvergleich lohnt sich, denn jeder Autofahrer nutzt ein Fahrzeug unterschiedlich lang und für verschiedene Zwecke.

Die Roller werden aufgemotzt

Der Carsharing-Markt ist umkämpft, das merkt man auch daran, dass gerade die Free-Floating-Anbieter immer wieder mit günstigen Angeboten locken und teils auf Anmeldegebühren verzichten. Die nach Minuten berechneten Preise variieren dabei je nach Nachfrage und Angebot. Den günstigsten Tarif zahlen Kunden immer dann, wenn besonders viele Autos in einer Gegend herumstehen. Umgekehrt wird es bei einem knappen Angebot teurer. Dass eine steigende Zahl an Carsharing-Autos die Zahl der Privatautos in der Stadt reduzieren hilft, stimmt dabei nicht. Laut Statistik nimmt die Anzahl von Privatautos in München sogar zu. Ende vergangenen Jahres waren es knapp 715 000 - das sind fast 15 000 mehr als zwei Jahre zuvor.

Die Deutsche Umwelthilfe hat auch schon vor vier Jahren kritisiert, dass Carsharing sogar zusätzlichen Autoverkehr in den Städten verursacht, da vor allem Menschen die Autos nutzen, die sonst mit dem ÖPNV gefahren wären. Zudem ist der Anteil der elektrisch betriebenen Autos zumindest in München noch relativ gering. Rund 85 sind es derzeit bei Share Now, der Anteil soll aber von diesem Jahr an deutlich steigen, kündigt das Joint-Venture von Daimler und BMW an.

Was die Elektrifizierung angeht, ist vor allem ein von jungen Leuten genutztes Angebot schon sehr viel weiter. Inzwischen sind schon rund 350 elektrisch betriebene Roller der Firma Emmy in München unterwegs. Gerade in den Ausgehvierteln prägen sie das Straßenbild. Um einen Nachteil gegenüber den Autos zu beheben - das Fehlen eines Navis - werden derzeit an den roten Retro-Schwalben Handyhalterungen angebracht, damit auch Nutzer, die sich in der Stadt nicht auskennen, sich zum Beispiel mit Google-Maps durch die Straßen navigieren lassen können, ohne anhalten zu müssen, um aufs Smartphone zu schauen. Die Roller werden quasi aufgemotzt, um sich gegen den schärfsten Konkurrenten im Stadtverkehr zu behaupten. Das ist weder Share Now noch Stattauto, sondern das Fahrrad. Mit dem kommen die Münchner zumindest auf Kurzstrecken stets am schnellsten voran.

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Quelle:
SZ vom 24.06.2019
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