Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Eine Pop-up-Mogelei

Lesezeit: 1 min

Die Frage, wie viel Platz den Autos genommen werden soll, um Raum für Radfahrer und Fußgänger zu schaffen, ist eine wichtige. Sie mit Provisorien beantworten zu wollen, ist der falsche Weg

Von Dominik Hutter

Wer zu spät kommt, den bestraft der Autoverkehr. Denn der fließt schon längst wieder in einer Größenordnung, die der Vor-Corona-Zeit nahe kommt. Nun mit Verweis auf die Pandemie-Ausnahmesituation provisorische Radlstreifen auf den gar nicht mehr so leeren Asphalt zu pinseln, bedeutet vor allem eines: das Aufschieben einer seriösen Verkehrsdebatte, wie viel Platz für Autos und wie viel für Radler und Fußgänger reserviert wird. Zugunsten einer Art Guerilla-Aktion, mit der ganz schnell vollendete Tatsachen geschaffen werden sollen. In der Hoffnung, dass alles dauerhaft so bleibt.

Pop-up-Bike-Lanes mag cool klingen und dem Zeitgeist entsprechen. Aber das hätte man beizeiten anstoßen müssen, als der Lockdown noch in Kraft war. Nicht Wochen später. Die Grundidee war doch: So lange kaum was los ist auf den Autospuren, bekommen Radfahrer temporär mehr Platz. Diese Zeit ist vorbei. Jetzt ist man wieder an dem Punkt, an dem die Verkehrsdebatte schon vor Corona war: Wie gestaltet man angesichts begrenzter Ressourcen eine zukunftsorientierte und ökologisch sinnvolle Verkehrsplanung, eine Umverteilung des Straßenraums? Das ist auch Thema im grün-roten Koalitionsvertrag. Zu Recht, die Frage ist eine der wichtigsten in der Kommunalpolitik. Nach ihrer Klärung kann man an den richtigen Stellen mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger schaffen. Dazu braucht es keine Übergangsphase mit der Mogelpackung Pop-up-Lanes.

Krisen werden gerne als Begründung genutzt, um etwas durchzusetzen, das man ohnehin schon immer durchsetzen wollte. Corona diente der Radl-Lobby als Argument für breitere Radwege - weil ja ohnehin kaum Autos führen. Die PS-Fraktion dagegen pochte auf ihren Besitzstand - weil das Auto ja einen virensicheren Weg ins Büro gewährleiste und daher seine Berechtigung habe. Beides ist in seiner Rigorosität Unsinn, die Verhältnisse werden sich wieder normalisieren. Auf einen solchen Zug sollte der Stadtrat nicht aufspringen. Zumal das Pop-up-Spektakel zumindest an zwei Stellen gar nicht notwendig wäre. Dass an Zweibrückenstraße und Rosenheimer Berg Autospuren wegfallen, hat der Stadtrat längst beschlossen - die Straßenzüge führen auf die Ludwigsbrücke zu, die derzeit saniert wird und anschließend für Autos schmaler wird. Dort kann man natürlich schon einmal provisorisch ummarkieren. Das hat aber nichts mit Corona zu tun.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2020
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