VergoldermeisterinSo leicht und doch so schwer

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Vergoldermeisterin und Restauratorin Sylvia Reh.
Vergoldermeisterin und Restauratorin Sylvia Reh. (Foto: Stephan Rumpf)

Vergoldermeisterin und Restauratorin Sylvia Reh will andere für ihr Handwerk begeistern. Was ihre Idee mit Glück und Zufriedenheit zu tun hat.

Von Sabine Buchwald

Sylvia Reh kann von Glück reden. Viel sogar. Ihr Leben ist gut verlaufen bisher, nicht immer und alles, aber es hätte auch ganz anders kommen können. Die Berufswahl nach der Schulzeit hat ihr Glück gebracht, wortwörtlich. Gut dreißig Jahre später entwickelt sie nun eine Geschäftsidee daraus. Sie habe lange daran gearbeitet, jetzt ist es endlich so weit. Seit ein paar Monaten verkauft sie Glück, „Goldenes Glück“ nennt sie es. Eine passende Alliteration. Denn Sylvia Reh, 47, ist Vergoldermeisterin, hat einen Master Professional für Restaurierung und ist Dozentin an der Meisterschule für das Vergolderhandwerk in München, der einzigen ihrer Art in Deutschland. Sie pendelt zwischen der großen Stadt und dem satten Land hinter Ulm, wo sie aufgewachsen ist.

Wer sie dort in Erisdorf besucht, den holt sie gern mal mit einem ihrer Oldtimer vom Bahnhof ab, einem schlumpfblauen Porsche 914 zum Beispiel, an dem sie selbst in ihrer Garage rumschraubt. Was sie dazu wissen muss, hat sie von ihrem Vater gelernt. „Es gibt ja kaum Mechaniker für solche Autos.“ Überhaupt mangele es an Handwerkern, sagt Reh. Dieses Thema treibt sie um.

Für ihr Projekt „Goldenes Glück“ sammelt Sylvia Reh Ginkoblätter und baut Klee an. Vierblättrigen, es soll ja Glücksklee sein. Seit sieben Jahren experimentieren sie und ihre Mutter mit dieser Pflanze in ihren Gärten. Das Trocknen ist heikel, es klappt nicht immer. Manchen dieser zarten Gewächse schadet der Feuchtigkeitsentzug. Wenn alles perfekt heil bleibt, dann veredelt Sylvia Reh den Klee mit Blattgold, setzt ihn auf ein Papier und schreibt einen Sinnspruch dazu. Es sind Sätze wie „Glücklich ist nicht der, der alles hat, was er will, sondern der, der zu schätzen weiß, was er hat“ oder einfach auch nur die Aufforderung „Carpe diem“, nutze den Tag.

Derlei Sprüche liest man auf Postkarten, T-Shirts, Poster. Man kann sie als banal abtun oder sie sich eingerahmt an die Wand hängen und darüber nachdenken. Für Sylvia Reh haben die, die sie aussucht, Bedeutung. Sie selbst lebt danach und will weitergeben, dass es sinnvoll sein kann, wenn man zufrieden ist mit dem, was man hat. Diese Haltung aber schließt eine persönliche Weiterentwicklung nicht aus, Reh arbeitet an ihrer eigenen.

Weil sie Geschäftsfrau ist, hat sie für „Goldenes Glück“ einen Webshop eröffnet, in erster Linie aber ist sie Handwerkerin und als solche sagt sie: „Ich will das Handwerk ins 21. Jahrhundert führen, die alten Techniken in unsere Zeit transferieren.“ Eben auch mit Ideen wie handvergoldeten Blättern. Einer ihrer Lieblingssätze in diesem Zusammenhang: „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern.“ Er fällt in einer Schlüsselszene des italienischen Familienepos „Der Leopard“ von Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Man kann ihn durchwinken oder gedanklich durchkauen.

Was soll denn so bleiben, fragt man Sylvia Reh. „Die Freude an hochwertigen handgemachten Objekten“, antwortet sie. Und was muss sich ändern? „Die Erscheinung solcher Objekte.“ Sie müssten sich dem heutigen Empfinden anpassen. Nicht jeder wolle sich noch einen schweren Barockrahmen aufhängen. Für viele Leute, die aufgeschlossen für handwerkliche Kompetenz seien, müsse handwerkliches Können in einem modernen Gewand stecken. Dafür wirbt sie, auch damit ihr Beruf nicht ausstirbt.

„Ich rahme Ihre Stücke so, dass Sie diese noch mehr lieben werden“, sagt Sylvia Reh.
„Ich rahme Ihre Stücke so, dass Sie diese noch mehr lieben werden“, sagt Sylvia Reh. (Foto: Stephan Rumpf)

Und dann bringt Sylvia Reh König Ludwig II. ins Gespräch, den Kunst- und Künstlerfreund. „Ohne das Vergolderhandwerk hätte er seine Träume in Neuschwanstein oder Herrenchiemsee nie so umsetzen können“, sagt sie und klingt etwas desillusioniert, als sie fortfährt: „Die Leute besuchen die Schlösser und staunen, aber zu den handwerklichen Finessen haben die wenigsten noch wirklich Bezug.“ Wer wisse schon, wie Vergolden funktioniert?

Man darf ihr zuschauen in ihrer Werkstatt in Erisdorf im Landkreis Biberach am Rand der Schwäbischen Alb. Sie hat einen schlichten rechteckigen Holzrahmen aus Weymouth-Kiefer mit verschiedenen Kreiden und gemahlener Tonerde grundiert. Eine Auftragsarbeit, etwa acht Blätter à 0,012 Gramm Blattgold wird sie am Ende dafür brauchen, um ihn oben und an der sichtbaren Seite zu ummanteln.

Stückchen für Stückchen überträgt Sylvia Reh mit einem an der Spitze abgerundeten Vergoldermesser die Blättchen aufs Holz. Das feine Material reagiert auf den kleinsten Luftzug, ist im wörtlichen Sinn hauchdünn. Die sogenannten Netze, eine Mischung aus Alkohol und destilliertem Wasser, mit dem Reh das Holz für jedes Blättchen vorher einlässt, zieht das Gold an. Mit einem handbreiten Pinsel aus Eichhörnchenhaar streicht Sylvia Reh Stück für Stück auf den Rahmen. Zwischendurch, während sie unmerklich ein- und ausatmet, den Kopf etwas zur Seite gedreht, fragt sie nach dem Mond. „Bei Neumond gehen Vergoldungen nicht so gut“, das bestätige auch der Goldschläger, von dem sie ihr Material beziehe. An diesem Nachmittag aber gibt es keinerlei Probleme. „Vergolden ist wie kochen, man muss Verschiedenes ausprobieren“, sagt Reh. Sie hat ihre Tricks, mischt ihre Grundierung, den Leim, die Netze selbst an.

Jedes Fitzelchen Gold wird aufgesammelt und wiederverwertet.
Jedes Fitzelchen Gold wird aufgesammelt und wiederverwertet. (Foto: Stephan Rumpf)

Angefangen hat sie mit einer Lehre als Bildeinrahmerin in einer Galerie. Eine Ausbildung, die kaufmännische Aspekte mit konservatorischen zusammenbringt. „Ich habe gelernt, Passepartouts zuzuschneiden, Farben und Rahmen auszuwählen, die Kalkulation zu machen.“ Mehr als das fasziniert sie damals die Kunstwelt, mit der sie erstmals in Berührung kommt. Sie trifft auf heimische Künstler, aber ihr Blick geht weiter. Keith Haring und Roy Lichtenstein leben zu dieser Zeit noch, Andy Warhol ist auf dem Weg zur Unsterblichkeit. Sylvia Reh will in die USA, Warhols „Factory“ sehen. Sie geht dann aber erst mal als Au-pair nach Washington. Nebenbei arbeitet sie dort in einer Galerie und besucht die Museen der Stadt so oft wie möglich. Nach einem Jahr kommt sie kurz zurück nach Biberach, und schafft es dann doch noch nach New York.

Sie taucht ein ins Soho der Neunzigerjahre, wird Praktikantin in der Galerie Artists Space. Sie habe das Non-Profit-Konzept fasziniert, sagt Reh. Die Galerie ist ein Sprungbrett für junge Künstler, bis heute. Nur vier Monate bleibt sie dort, wo sie eigentlich immer hin wollte. Sie hatte sich vor der Abreise zu Hause verliebt. Zusammen mit diesem Mann führt sie dann die Rahmenmanufaktur seiner Urgroßeltern weiter, gegründet von Julius Riempp 1896. Ein Glücksfall? „Ich wollte eigentlich nie zurück aufs Land“, sagt sie rückblickend. „Aber ich konnte in meinem Beruf arbeiten.“

Sylvia Reh beginnt nach einigen Jahren, mit Fotografie zu experimentieren. Vor ihrem 40. Geburtstag beschließt sie, sich fortzubilden, auf eine Fotografie-Schule zu gehen, und wird dann von einem schweren Skiunfall ausgebremst. Plötzlich ist sie zur Ruhe gezwungen und muss ihre Pläne verwerfen. Statt zur Fotografin lässt sie sich schließlich zur Fassmalerin und Vergolderin ausbilden, beweist, dass man das auch im Sitzen kann. Von da an pendelt Reh regelmäßig nach München, wo sie inzwischen eine Zweitwohnung hat. „Ich verdanke der Stadt mein Handwerk“, sagt Reh – und dem Handwerk viele Auszeichnungen. Sie hat den Meisterpreis der Bayerischen Staatsregierung für ihren Abschluss als Restauratorin und auch als Meisterin im Vergolderhandwerk bekommen; die Goldmedaille der Handwerkskammer für München und Oberbayern als Jahresbestmeisterin im Vergolderhandwerk.

Allein in München wird das Vergolderhandwerk noch gelehrt, aber die Berufsschule hat Nachwuchssorgen. Soeben ist sie von Obersendling nach Neuperlach gezogen. Nur drei neue Schüler starteten diesen Herbst ins erste Lehrjahr, drei waren es auch nur im vergangenen Jahr. Die neuen haben drei Jahre vor sich, sollte es ihre Erstausbildung sein. 2016 wurden die Mal-, Fass- und Vergoldetechniken in das Verzeichnis für Immaterielles Kulturerbe der Unesco aufgenommen. „Ich würde meinen Beruf auf jeden Fall empfehlen, aber nicht auf eine dauerhafte Festanstellung aus sein.“ Sie sieht „eine Menge Potenzial“ für eine Selbständigkeit. Ihre Expertise jedenfalls ist gefragt. Sie arbeitet regelmäßig bei einem Münchner Antiquitätenhändler am Alten Hof, seit 2021 ist sie Dozentin an der Meisterschule für das Vergolderhandwerk und im Vorstand des Fördervereins. Und dann ist da noch das „Goldene Glück“, die Blätter, die Sprüche, was sie selbst glücklich macht.

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