Süddeutsche Zeitung

Landgericht München:Azubi soll 70-Jährige vergewaltigt haben

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Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, sein Opfer brutal missbraucht zu haben. Vor Gericht stellt sich der Mann selbst als Opfer dar - die Frau habe ihn zum Sex überredet.

Von Susi Wimmer

Zeugen haben vor Gericht die Pflicht, die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit. Ein Angeklagter jedoch ist nicht verpflichtet, wahrheitsgemäß auszusagen, weil er sich nicht selbst belasten muss. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass er lügen kann, bis sich die Balken biegen. Ob Joseph K. vor dem Landgericht München I Geschichten erfindet oder nicht, muss die neunte Strafkammer entscheiden.

Die Versionen könnten nicht unterschiedlicher sein: Nach der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft sprach der damals 21-jährige Joseph K. im Oktober 2021 um drei Uhr früh am Hauptbahnhof eine 70-jährige Frau an. Er soll sie mehrfach berührt und versucht haben, sie zu umarmen, sie soll ihn immer wieder abgewehrt haben. Er soll davon gesprochen haben, dass er viel Geld habe, die Frau soll geantwortet haben: "Ich bin eine Mutter, ich habe einen Sohn in deinem Alter. Ich habe eine Familie und bin keine Hure. Lass mich in Ruhe."

Derartige Szenen spielten sich, so die Anklageschrift, weiter ab auf der Fahrt in der S-Bahn zum Ostbahnhof, und als die Frau um 3.40 Uhr in den Bus der Nachtlinie nach Perlach einstieg, folgte er ihr. Die 70-Jährige stieg am Oskar-Maria-Graf-Ring aus, K. soll sie dort gepackt und in einer Ecke vergewaltigt haben. Er soll ihr mit der Faust gegen den Kopf geschlagen und ihren Kopf auf den Asphalt gerammt haben. Schließlich zerrte er noch an der Handtasche der Frau, bis der Riemen riss, und flüchtete.

Rechtsanwältin Claudia Wüllrich hatte eine audiovisuelle Vernehmung ihrer Mandantin beantragt, das heißt, die Frau wird in einem Nebenzimmer per Video in den Gerichtssaal zugeschaltet und muss ihrem mutmaßlichen Peiniger nicht gegenübertreten. Für die Vernehmung wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

Der Angeklagte besteht darauf, vor Gericht selbst zu sprechen

Dafür bekam die Öffentlichkeit in ganzer Ausführlichkeit die Version von Joseph K. zu hören. "Er hat darauf bestanden, selbst zu reden", sagt sein Verteidiger Solomon Webs. Joseph K., ein kleiner Mann in Lederhosen, weißen Kniestrümpfen und Sandalen, stammt aus Sierra Leone. Er habe an dem Abend Sex mit einer Prostituierten haben wollen, aber da er zu spät kam, sei daraus nichts geworden. Vor einer gewissen Pension am Hauptbahnhof habe er diese Frau getroffen, eine Prostituierte. Sie habe ihm Sex angeboten. Er, der Gärtner-Azubi, habe ihr im Voraus 150 Euro gegeben. Dann habe er es sich auf der Fahrt anders überlegt, wollte doch nicht, sie habe darauf bestanden und im Freien einen "Quick-Sex" vorgeschlagen. Das habe er auch nicht gewollt, aber dann doch gemacht. Er habe 100 Euro zurückgefordert. Als sie "Hilfe, Polizei" schrie, habe er sich an ihrer Tasche festgeklammert und gesagt: "Bitte so was nicht, ich kenn den Rückweg nicht."

Außerdem behauptet K., an dem Abend neun Bier, eineinhalb Flaschen Wodka, eine halbe Flasche Cognac, acht Joints und zwei Ecstasy-Tabletten konsumiert zu haben. Er konsumiere viel, wenn er Stress habe, "wegen der Abschiebungsgeschichte". Diese Mengen seien "kaum vorstellbar", sagt Richter Christian Daimer, "da wären Sie eher ein Fall für die Obduktion". Die Suche nach der Wahrheit soll Ende Februar vor Gericht vorerst enden.

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