Süddeutsche Zeitung

Münchner Stadtrat:Oberbürgermeister Reiter erhält Rückendeckung für den Rauswurf Gergievs

Fast alle Fraktionen im Münchner Stadtrat unterstützen die Entscheidung, den Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker wegen dessen Nähe zu Putin abzusetzen. Im Detail gibt es aber offenbar Diskussionsbedarf.

Von Susanne Hermanski

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erhält Rückendeckung für sein Vorgehen gegen Valery Gergiev, den er als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker absetzen will. Allein entscheiden kann er dies unterdessen nicht. Doch fast alle Fraktionen im Münchner Stadtrat - Grüne/Rosa Liste, CSU/Freie Wähler, SPD/Volt, FDP/Bayernpartei, Linke/Die Partei - haben nun ein gemeinsames Papier verfasst, laut dem sie "eine sofortige Trennung der Stadt München von Herrn Gergiev" befürworten.

Der Grund: Er habe sich trotz Aufforderung nicht öffentlich vom völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine distanziert. "Dies ist kein Misstrauensvotum gegen die gesamte russische Bevölkerung und keine Einschränkung der künstlerischen Freiheit", heißt es in dem Schreiben. "Herr Gergiev hat aber als Repräsentant der Stadt München eine herausgehobene Stellung und ist ein Botschafter ganz Münchens. Herr Gergiev hat immer wieder seine Nähe zu Präsident Putin gezeigt und damit demonstriert, dass ihm diese Freundschaft im Zweifel wichtiger ist als unsere Werte."

Diese Einigkeit zu erzielen, dauerte länger als angenommen. Das Statement war schon für Donnerstag, nach der Sitzung des Kulturausschusses des Stadtrats erwartet worden. Im Detail gab es aber offenbar Diskussionsbedarf. Gerade Florian Roth (Die Grünen) hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass sie schon früher darauf gedrängt hatten, sich von Gergiev zu trennen, etwa als 2018 der Stadtrat über seine Vertragsverlängerung abstimmen musste. Der Dirigent stand schon damals in der Kritik wegen seiner Nähe zu Putin und den damit verbundenen Positionen etwa in Bezug auf die Annexion der Krim oder Homosexuelle.

Der Bayerische Rundfunk zitierte dazu auch den Kulturreferenten Anton Biebl aus einer internen Stellungnahme nach einer nichtöffentlichen Sitzung des Kulturausschusses: "Wer nun sagt, man hätte nie oder nicht so lange kooperieren dürfen, tut dies im Wissen von heute und im Lichte eines Angriffskrieges auf die Ukraine, den sich vorher niemand vorstellen konnte. Wir haben daran glauben wollen, dass man eine gemeinsame Entwicklung nehmen kann und den Dialog betont. Mit dieser Vorstellung sind wir gescheitert."

Reiter hat für sein Vorgehen auch viel Kritik geerntet. So hat etwa der Salzburger Festspielintendant Markus Hinterhäuser im ORF die Absetzung von Valery Gergiev als scheinheilig kritisiert. Der Münchner Oberbürgermeister hätte Haltung gezeigt, wenn er sein bisheriges Eintreten für Gergiev als Fehler eingestanden hätte und selbst zurückgetreten wäre. Es sei laut Hinterhäuser zwar legitim, dass Kulturinstitutionen prüften, wie prominente russische Künstler zur russischen Invasion in die Ukraine stünden. Wegen der politischen Repression in Russland sei es aber falsch, allen Menschen mit russischem Pass Stellungnahmen abzuverlangen, die sie kaum geben könnten. "Das kann auch die nackte Überlebensangst sein", sagte Hinterhäuser.

Auch reißt in der Öffentlichkeit die Kontroverse über die juristischen und finanziellen Aspekte von Reiters Handeln nicht ab. Arbeitsrechtler spekulieren darüber, ob Gergiev überhaupt ein Fehlverhalten nachgewiesen werden kann, das die einseitige Aufhebung des Vertragsverhältnisses rechtfertigt. Der Verstoß gegen die Treuepflicht, die Störung des Betriebsfriedens und die erhebliche Verletzung des Interesses des Vertragspartners könnten dafür Ansatzpunkte sein. Dann müssten auch Gergievs Honorare bis 2025 nicht ausgezahlt werden. Weil der Vertragstext nicht öffentlich ist, bewegen sich solche Aussagen allerdings im Reich der Spekulation.

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