Urteil:Mordversuch in 18 Sekunden

  • Im Dezember 2018 attackierte ein 64-Jährige, erheblich alkoholisiert, seine Ex-Freundin im Aufzug zu ihrer Wohnung.
  • Der Messerstich verfehlte das Herz des Opfers nur knapp. "Er wollte sie umbringen", sagte Richter.
  • Nach dreieinhalb Jahren Haft wird der Mann in eine Entzugsklinik eingewiesen.

Von Susi Wimmer

Am Ende will Yahia A. seine weinende Ex-Freundin in die Arme schließen, aber ein Polizeibeamter im Gerichtssaal geht sofort dazwischen und ruft: "Don't touch!", nicht berühren. Der Angeklagte und die Frau - sie lieben sich, das ist kaum zu übersehen. Sie nannte ihn "Prinz" oder "Major", er trug sie jahrelang auf Händen und überhäufte sie mit Schmuck und Präsenten. "Mir blutet immer noch das Herz, wenn ich ihn sehe", hatte die Frau im Zeugenstand gesagt.

Geblutet hatte sie tatsächlich, nicht nur sprichwörtlich: Denn als sie ihren "Prinzen" wegen dessen Alkoholsucht verließ, passte er sie in der Tiefgarage ihrer Wohnung in Riem ab, drängte sich mit in den Aufzug und rammte ihr ein Messer elf Zentimeter tief in die linke Rückenseite, knapp am Herzen vorbei. Die zweite Schwurgerichtskammer verurteilte den 64-Jährigen deshalb am Freitag zu einer elfjährigen Haftstrafe wegen versuchten Mordes sowie zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

Veronika L. (Name geändert) wird "täglich daran erinnert, dass sie fast gestorben wäre", hatte die Staatsanwältin erklärt. Die 57-Jährige will aus ihrer Wohnung ausziehen, "sie dreht fast durch, wenn sie in den Aufzug steigt". Den Abend des 15. Dezember 2018 hatte Yahia A. wartend in der Tiefgarage seiner Ex-Freundin verbracht. Tags zuvor hatte er ihr noch einen Geschenkkorb gebracht. Doch nun hatte er eine Supermarkttüte dabei, darin zwei Messer.

Als Veronika L. aus ihrem Wagen stieg, wollte er mit ihr in die Wohnung. Gegen ihren Willen drängte er sich mit in den Aufzug. "18 Sekunden dauert die Fahrt bis in den ersten Stock", erläutert der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann. Zeit genug für Yahia A., ein Messer mit 18 Zentimeter langer Klinge aus der Tüte zu nehmen. In der kleinen Aufzugskabine, gerade mal 85 auf 113 Zentimeter groß, hatte die arglose Frau keine Chance, sich zu wehren, weshalb das Gericht das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt ansah.

"Your last day today", sagte der "Prinz" - dein letzter Tag -, setzte ihr das Messer an die Kehle und fügte ihr eine Schnittwunde zu. "Lass das sein", schrie sie und bückte sich nach unten weg. Daraufhin rammte Yahia A. ihr das Messer fast bis zum Heft in den Rücken. "Er wollte sie umbringen", sagte Richter Riedmann in der Urteilsbegründung. Allein der Wegdrehbewegung verdankt Veronika L. wohl ihr Leben. Ansonsten, so das Gericht, hätte Yahia A. mit dem Stich das Herz der Frau treffen können.

Der Alkohol war der Grund, warum Veronika L. die Beziehung beendet hatte

Ihre Hilfeschreie hatten schon Nachbarn alarmiert, und als sich die Türen im ersten Stock öffneten, zog einer Yahia A. von der Frau weg, der andere zog der Verletzten das stecken gebliebene Messer aus dem Rücken. "Was wäre passiert, wenn die Frau im vierten Stock gewohnt hätte?", fragte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Nach der Tat versteckte sich Yahia A. in einem Gebüsch und versuchte, sich die Pulsadern aufzuschneiden, ehe die Polizei ihn überwältigte.

Verteidigerin Birgit Schwerdt hatte in ihrem Plädoyer siebeneinhalb Jahre Haft wegen versuchten Totschlags sowie einen Entzug gefordert. Yahia A. sei schon öfter handgreiflich geworden, die Frau sei dadurch vorgewarnt und nicht mehr arglos gewesen. Für ihren Mandanten spreche auch, dass er sich entschuldigt habe. Veronika L. habe ihm verziehen und sei an einer Verurteilung nicht interessiert. Zudem sei A. zur Tatzeit mit 2,89 Promille erheblich alkoholisiert gewesen.

Der Alkohol war überhaupt der Grund, warum Veronika L. die langjährige Beziehung im August 2018 schließlich beendet hatte. Yahia A. lebt seit 25 Jahren in Deutschland und hatte als Hausmeister gearbeitet. Als er 2016 seinen Job verlor sei er "in ein Loch gefallen", sagt Schwerdt. Seinen Frust bekämpfte er mit bis zu zwei Flaschen Wodka täglich. Auch zwei Entgiftungs-Aufenthalte in Kliniken brachten ihn nicht weg von der Sucht. Sie sehe keine Veranlassung, Yahia A. in einer Entzugsklinik unterzubringen, hatte die Staatsanwältin erklärt. Er sei extrem eifersüchtig, sei gegenüber einer Frau schon einmal gewalttätig geworden, was nicht am Alkohol, sondern an seinem Rollenbild läge. Da Yahia A. außerdem kein Deutsch spreche, sehe sie keine Erfolgsaussichten bei einer Therapie. "So wie der BGH das zurzeit sieht, liegt der Fall einer Unterbringung vor", sagte Richter Riedmann im Urteil. Vorher aber wird Yahia A. eine dreieinhalbjährige Haftstrafe verbüßen und anschließend in eine Entzugsklinik eingewiesen.

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