Süddeutsche Zeitung

Unterwasserhockey:"Wie Ballett, nur mit Raketenantrieb"

Unterwasserhockey ist die vielleicht schlechteste Zuschauersportart der Welt. Außer man darf ausnahmsweise mit ins Becken springen - bei der Deutschen Meisterschaft in München.

Von Philipp Crone

Bis um 12.19 Uhr am Sonntag heißt es: Ralph gegen Alan, Berlin gegen Weinheim, Mann gegen Gravitation - oder Frau gegen Luftmangel. Die Deutsche Meisterschaft im Unterwasserhockey in der neuen Freihamer Schwimmhalle ist kurz vor dem Ende, der Meister aber noch nicht gekürt. Die Teams sitzen auf Bänken rund um das 25 Meter lange Becken, vor dem Tisch der Turnierleitung steht die Hauptschiedsrichterin, den Signalknopf in der Hand, um das Spiel bei Bedarf unterbrechen zu können - als auf einmal ein ungewohntes Signal durch die schwülwarme Schwimmbadluft hallt: der Feueralarm. Während die zwölf Spielerinnen und Spieler aus dem Becken klettern und die insgesamt 100 Teilnehmer des Turniers sich in Badeanzug oder -hose auf den Weg ins Freie machen, bleibt die Frage, ob diese Unterbrechung wohl noch sportliche Auswirkungen hat?

Der Slowene Alan Kucar, 44, in den Diensten des Tabellenführers Sporttaucher Berlin, liegt eine halbe Stunde zuvor auf den Fliesen neben dem Becken, den roten Abdruck der Taucherbrille noch auf der Stirn. Er streicht mit den Fingern über seinen Schnurrbart und sagt: "Beim Unterwasserhockey geht es um Luftökonomie und Gravitation." Er ist Software-Entwickler und aus dem besten Wasserhockey-Alter langsam raus, aber noch führt sein Team in der Tabelle, ehe es gleich gegen die Marlins geht, eines von drei Münchner Teams. Mit einem Sieg können Kucar und Co. die zweite Meisterschaft in Folge erringen.

Die Hinrunde im November in Hannover hat Berlin klar als Tabellenführer abgeschlossen, aber am Samstag gab es überraschende Niederlagen, und nun geht es gleich gegen das drittplatzierte Team aus München. Kucar steht auf, nimmt seine Utensilien in die Hand, also Badekappe, Taucherbrille, Schnorchel, Schwimmflossen und Schläger. Letzterer ähnelt ein wenig einer Mini-Machete, nur harmlos breit und aus Plastik. Gleich wird sich Kucar an der Stirnseite des Beckens im Wasser einfinden, neben fünf seiner Mitspielerinnen und Mitspieler, und auf das Startsignal warten, nach dem beide Teams ihren schnellsten Schwimmer zum eineinhalb Kilo schweren Puck schicken, der in der Mitte auf dem Beckenboden liegt, in zweieinhalb Metern Tiefe.

Am Rand steht Ralph Cahn, eine Art Ikone des deutschen Unterwasserhockeys, Trainer der jüngsten Mannschaft des Turniers mit acht Teams. Cahn erklärt die wichtigsten Regeln: Den Puck darf man nur mit dem 30 Zentimeter langen Schläger spielen samt den anliegenden Zeigefinger und Daumen. Wer den Puck an die drei Meter breite und 20 Zentimeter hohe Leiste schießt, die an beiden Stirnseiten des Beckens auf dem Boden befestigt sind, hat ein Tor erzielt, was die beiden Schiedsrichter im Wasser jeweils mit beiden hochgestreckten Armen anzeigen. Ein Spiel dauert zweimal acht Minuten.

In diesem Moment pfeift die Schiedsrichterin an. Der im Wasser befestigte elektrische Summer, der eine Art Mini-Schiffstuten ausstößt, wird erst benötigt, wenn die Spielerinnen und Spieler unter Wasser sind. Anpfiff also, München gegen Berlin, Kucar taucht ab. Und unter Wasser ist das dann eine ganz andere Nummer.

Man kann dieses Spiel nur von außerhalb des Beckens verfolgen, was dazu führt, dass ein Torjubel zeitversetzt erfolgt, bis der erste Spieler wieder an der Wasseroberfläche ist. Oder man taucht eben mit ab, was aber nur Trainer, Schiedsrichter und Spieler dürfen. In diesem Fall ausnahmsweise auch Fotograf und Reporter. Und da unten klingt das Spiel um die Meisterschaft beinahe wie ein Horrorfilm: Man hört den eigenen Atem, Wasserrauschen, dazu das Klicken, wenn Spieler den Puck mit dem Schläger spielen. So wie jetzt der schnellste Münchner, der den Puck erreicht, in die kleine Keule nimmt und sich eindreht. Rückpass zum Mitspieler, auftauchen, Luft holen, von oben durch die Brille das Spiel verfolgen, den Verlauf antizipieren, abtauchen, eingreifen.

Luft und Gravitation also. Es ist das Eine, den Puck zu spielen, ihn über den Boden zu führen in den freien Raum. Spannend wird es allerdings, wenn zu einem taktischen Spielaufbau hinzukommt, dass eben ein Spieler nicht beliebig lang den Puck führen kann. Das führt beim ersten Angriff der Münchner zu der für Unterwasserhockey-Laien kuriosen Situation, dass zunächst sieben Spieler um den Puck kämpfen, dann aber alle auftauchen, während zwei von oben runterschwimmen. München ist zuerst am Ball, ein Zweikampf, noch fünf Meter vor dem Tor.

"Man darf den Gegner nicht behindern", erklärt Cahn, "höchstens ein bisschen abdrängen." Und vor allem kann man den Puck höchstens vier Meter weit schießen unter Wasser, da sind Schwimmwege analog zu den Laufwegen weniger wichtig. Dafür aber eben die Luftökonomie.

Der Münchner Stürmer gewinnt das Duell, spielt den Puck ins Tor, 1:0. Fouls bringen München immer wieder in Ballbesitz, und zur Halbzeit steht es bereits 2:0. "Das ist wie Ballett", sagt Cahn, "nur mit Raketenantrieb." Neben ihm steht Austin Moore, 43, Kapitän des anderen Münchner Erwachsenenteams, und sagt: "Es ist die schlechteste Zuschauersportart der Welt." Populär ist sie am ehesten noch in Australien, Neuseeland oder Frankreich.

Am Ende verliert Berlin mit 0:4. Alan Kucar, laut Hockey-Ikone Cahn einer der besten Spieler des Turniers, sagt schulterzuckend: "Wir waren nur zu neunt, dann hat sich noch jemand verletzt, und einige gute Spieler haben gefehlt." München sei einfach besser gewesen. Worin? "Im Prinzip musst du immer in einer Dimension mehr mitdenken als bei anderen Ballsportarten. Und vor allem musst du in jedem Moment wissen, wie lange deine Mit- und Gegenspieler noch unter Wasser bleiben können." Deshalb sei es auch ziemlich egal, ob ein Team mit mehr als den zwei vorgeschriebenen Frauen spiele. Es gehe mehr ums strategische Mitdenken als um Kraft.

Und natürlich darum, seine Leistung abzurufen, auch nach einem Feueralarm. Weinheim um Kapitän Ralph Weber schafft das, gewinnt auch das letzte Spiel und wird damit Meister. Und wäre das Becken nicht mit Fliesen ausgekleidet, sondern mit Glas und dahinterliegenden Tribünen samt hochauflösenden Unterwasserkameras, dann würde hier nicht stehen, Weber, 32, von Beruf IT-Spezialist, sondern: Unterwasserhockey-Profi.

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