München:Unter einer Kuppel

In einem Camp in Griechenland haben die Kunststudenten Franziska Wirtensohn und Michael Wittmann gemeinsam mit Geflüchteten den "Habibi-Dome" errichtet. Nun bringen sie ihre Idee offener Strukturen ins Maximiliansforum

Von Jutta Czeguhn

Nie funktioniert der Abstieg ganz bruchlos von der grellen Selbstvergessen- und Selbstbesessenheit der Maximilianstraße hinunter in diese immer etwas düstere Unterführung direkt unter der Kreuzung am Altstadtring. Es sind nicht die Lichtverhältnisse oder der Pflanzenwucher in den ehemaligen Rolltreppenschächten, die den harschen Kontrast zwischen oben und unten ausmachen. Es ist das, was man in den beiden Schauräumen des Maximilianforums zu sehen bekommt, das in der Regel nicht zusammengeht mit dem absurden Konsumtreiben über dem Straßenniveau.

München: "Jeder Mensch, egal mit welcher Geschichte, ist eine Bereicherung, nicht ein Problem", sagen die Kunststudenten Michael Wittmann (Hintergrund) und Franziska Wirtensohn.

"Jeder Mensch, egal mit welcher Geschichte, ist eine Bereicherung, nicht ein Problem", sagen die Kunststudenten Michael Wittmann (Hintergrund) und Franziska Wirtensohn.

(Foto: Robert Haas)

Am Tag vor der Vernissage zur aktuellen Ausstellung fluten und schrubben Männer von der Stadtreinigung den Boden in der Kunst-Passage. Es wird auch noch heftig geschraubt und gehämmert an einem halbkugelförmigen Gerüst aus lauter Holzdreiecken. Jeder der jungen Leute scheint hier genau zu wissen, was er tut, jeder Handgriff sitzt. Mitten drin trifft man auf Franziska Wirtensohn und Michael Wittmann, sie wirken ein wenig erschöpft, oder nervös, oder beides. Viel hängt für sie an diesem Projekt, an dem sie seit drei Jahren arbeiten. Sie haben eine Förderung vom Kulturreferat bekommen, das Maximiliansforum stellt ihnen die Räume zur Verfügung, ihre Namen stehen auf den Ausstellungsflyern, die Medien sind aufmerksam geworden. Es könnte schlechter laufen für zwei 27-jährigen Kunststudenten. Doch man merkt ziemlich rasch, dass ihnen die eigene Rolle in dem Ganzen nicht superwichtig ist. Franziska Wirtensohn macht auf die Netzstruktur der Fachwerkkuppel aufmerksam, die eine optimale Lastenverteilung ergibt. Feingliedrig, hochflexibel, stabil sei das, aber nur im Zusammenwirken aller Kräfte. Der "Habibi Dome", wie die beiden das Konstrukt nennen, sei ebenfalls einzig und allein als kollektives Statement vieler Menschen zu verstehen.

München: Bei der Parade "Behinderung ist Rebellion" im Juni war der Habibi Dome dabei. Im Maximiliansforum wollen die Studierenden nun erneut auf das Thema Teilhabe in unserer Gesellschaft hinweisen.

Bei der Parade "Behinderung ist Rebellion" im Juni war der Habibi Dome dabei. Im Maximiliansforum wollen die Studierenden nun erneut auf das Thema Teilhabe in unserer Gesellschaft hinweisen.

(Foto: Robert Haas)

Menschen, die die Münchner Studenten in einem Lager für Geflüchtete in Katsikas im Nordwesten Griechenlands kennengelernt haben. Im Jahr 2016 reisen sie zum ersten Mal dorthin, ermutigt von ihrem Professor an der Akademie der Bildenden Künste, Res Ingold, einem Querdenker und großen Ermutiger. Im griechischen Bergdorf begegnen sie hunderten Menschen, die dort nach der Schließung der Balkanroute gestrandet sind und auf einer Viehweide in Zelten hausen. "Zur Untätigkeit verdammt und zermürbt von der Ungewissheit", erzählt Michael Wittmann. Die beiden stoßen im Camp zu einem motiviertem Team freiwilliger Helfer des Vereins "Soup & Socks". Die deutsche NGO versorgt die Menschen im Camp mit dem Nötigsten und vielem mehr. Zum Beispiel in den "Habibi.Works", die den Geflüchteten, aber auch Einheimischen offensteht. Sie nennen es einen "Maker-Space", einen Ort, an dem die Menschen an Projekten arbeiten können, die sie sich selbst wählen, etwa in der Holz- oder Metallwerkstatt. Es gibt dort auch eine Küche, einen Beautysalon, eine Computer-Area oder Nähmaschinen. Viele kleine Projekte gibt es dort, manche sind kurzfristig, manche ziehen sich über Monate, wie der Habibi Dome, den Franziska Wirtensohn und Michael Wittmann zusammen mit den Syrern Ahmad und Ala'Aldin zimmern. "Habibi" ist ein arabisches Kosewort, es bedeutet soviel wie "Liebling" oder "Freund".

Musik im Habibi-Dome, in Katsikas im  Nordwesten  Griechenlands

Im Geflüchteten-Camp im griechischen Katsikas nutzen die Menschen den Raum als Treffpunkt.

(Foto: privat)

Insgesamt dreimal reisen die Münchner ins Camp nach Griechenland, bis die Holzkuppel steht, die sie nach dem Bausatz des "Geodesic Dome" des legendären Architektur-Futuristen Richard Buckminster Fuller errichten. Der Amerikaner, Jahrgang 1895, pflegte schon früh den Open-Source-Gedanken. Die Bedienungsanleitung für seine so sphärisch leichte wie extrem tragfähige Konstruktion sollte für jeden frei zugänglich sein. Heute, das hätte sich auch der visionäre Fuller nie träumen lassen, findet man sie auf Youtube.

Gäste und Komplizen

Das Maximiliansforum hat keine Öffnungszeiten, der städtische Kulturort in der Unterführung unter dem Altstadtring ist immer passierbar. So ist also auch das Habibi-Dome-Projekt jederzeit erfahrbar. Bis zum 7. Oktober stehen die Rundzelte hinter den großen Schaufenstern der beiden Ausstellungsräume, Video-Einspielungen erzählen ihre Geschichte. Am Samstag, 15. September, aber öffnen sich die gläsernen Barrieren. Von 16 bis 19 Uhr gibt es im Forum einen offenen Workshop mit einer partizipativen Performance, Live-Cooking und Musik. Um 19 Uhr berichten Gäste über die Habibi-Dome-Projekte in Griechenland und Obersendling. Am Donnerstag, 27. September, 19 Uhr, gibt es eine Diskussion über Modelle künstlerischer und sozialer Komplizenschaft.czg

Die Menschen aus dem Camp könnten den Dome, der dort immer noch steht, "selbstbestimmt und eigenverantwortlich nutzen", sagt Franziska Wirtensohn. Für sie und Michael Wittmann ist er ein Symbol "für eine Zusammenarbeit über Grenzen hinweg, für Begegnung auf Augenhöhe". Die beiden haben ihre Idee, die wie Fullers Bausatz unendlich kopier- und variierbar ist, nun nach München gebracht. Auf die Schwanthalerhöhe etwa, wo im vergangenen Juni eine Kuppelkonstruktion den Vorplatz des Zwischennutzungsprojekts Köşk überspannte, beziehungsweise ein vom Designer Roubs Style aus Stoffresten zusammengesetzter Dome durch die Straßen paradierte. Im Juli tauchte der Habibi Dome, ganz im Sinne seines Pop-up-Charakters, in Obersendling auf. Im Werkraum der Hans Sauer Stiftung wurde er zusammengezimmert von Geflüchteten, die in der Unterkunft an der Hofmannstraße 69 leben, gemeinsam mit Schülern des Wittelsbacher Gymnasiums.

Im Maximiliansforum erfährt man nun von all diesen Projekten. Franziska Wirtensohn und Michael Wittmann hätten sich gewünscht, dass ihre syrischen Freunde Ahmad und Ala'Aldin zur Eröffnung nach München kommen. Ahmad, ein Französischlehrer, lebt mittlerweile in Frankreich. Ala'Aldin steckt immer noch in Griechenland fest. Das Menschenrecht, sich frei zu bewegen, hat keiner von beiden.

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