Wohnungsnot: Wartezeiten fast so lange wie ein Bachelor-Studium

Wohnungsnot: Auf den Wartelisten des Studentenwerks für einen Platz in einem Münchner Wohnheim stehen zurzeit 11 007 Studierende, ganze 1621 mehr als vor einem Jahr.

Auf den Wartelisten des Studentenwerks für einen Platz in einem Münchner Wohnheim stehen zurzeit 11 007 Studierende, ganze 1621 mehr als vor einem Jahr.

(Foto: Robert Haas)
  • Die Suche ist derzeit offenbar schwieriger denn je: Auf den Wartelisten des Studentenwerks für einen Platz in einem Münchner Wohnheim stehen 11 007 Studierende.
  • Die beiden großen Münchner Universitäten sind renommiert - und der gute Ruf zieht Studenten aus dem In- und Ausland an.
  • Behörden und Studentenwerk haben bereits Maßnahmen ergriffen, ausreichen werden sie wohl kaum.

Von Sabine Buchwald und Jakob Wetzel

Die Vorlesungen haben noch nicht begonnen, eine der härtesten Aufgaben aber müssen Studenten bereits jetzt lösen: auf dem überhitzten Immobilienmarkt Münchens eine Unterkunft finden, die zu ihrem Budget passt. Die Not ist akut. Mitte Oktober beginnt das Wintersemester, zu dem stets besonders viele junge Frauen und Männer neu mit dem Studium beginnen und eine Bleibe suchen. Und die Suche ist derzeit offenbar schwieriger denn je: Auf den Wartelisten des Studentenwerks für einen Platz in einem Münchner Wohnheim stehen zurzeit 11 007 Studierende, ganze 1621 mehr als vor einem Jahr. Bei privaten Wohnheimen gibt es häufig erst gar keine Warteliste; wer ein Zimmer will, muss darauf hoffen, dass er einen gerade gekündigten Platz übernehmen kann. Und auf Internetportalen finden selbst winzige Zimmer zu stolzen Preisen innerhalb weniger Minuten neue Mieter, etwa eines in der Au in einer Zweier-WG, knapp neun Quadratmeter groß, für 575 Euro im Monat.

Der Bedarf an Wohnraum für Studenten werde immer größer, heißt es vom Studentenwerk - und das liegt auch daran, dass die Zahl der Studierenden kontinuierlich zunimmt. An den Münchner Universitäten und Hochschulen, um die sich das Studentenwerk kümmert, sind derzeit etwa 130 000 Studierende eingeschrieben. Im Jahr 2008 waren es nur knapp 91 000. Und das Wachstum hält an. Die Einschreibung an den Hochschulen ist zwar noch im Gange. Doch zum Beispiel die Technische Universität (TU) verzeichnet für das kommende Wintersemester schon deutlich mehr Anmeldungen für das erste Fachsemester als zum selben Zeitpunkt im vergangenen Jahr.

Die beiden großen Münchner Universitäten sind renommiert. Im Juli erhielten sowohl die TU als auch die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) den Titel einer Exzellenz-Uni, und der gute Ruf zieht Studenten aus dem In- und Ausland an. Die Kehrseite aber ist: Schon jetzt, mit mehr als 42 000 Studentinnen und Studenten, seien ihre "Kapazitäten überdehnt". Dieser Meinung ist selbst der scheidende TU-Präsident Wolfgang Herrmann, unter dessen Amtszeit die TU stark expandiert hat. Und die Zahlen ließen sich auch nicht einfach drosseln: Zum Studium zugelassen werde jeder, der geeignet ist.

Um die Wohnungsnot unter den Studenten zu bekämpfen, rüstet das Münchner Studentenwerk längst nach. An der Chiemgaustraße in Giesing etwa entstehen derzeit 380 zusätzliche Wohnheimplätze, an der Schwere-Reiter-Straße wird ein neues Gebäude mit 190 neuen Plätzen errichtet. Das Studentenwerk hat überhaupt große Pläne: Bis 2025 sollen etwa 3000 Wohnplätze neu geschaffen oder saniert werden, allerdings nicht nur in München. In Freising etwa sollen im Frühjahr des kommenden Jahres 350 neue Studentenzimmer bezogen werden können, in Garching sind gleich drei neue Häuser mit zusammen 195 Zimmern geplant.

Insgesamt betreibt das Münchner Studentenwerk derzeit 30 Wohnheime mit fast 11 000 Plätzen in München, Freising und Rosenheim. Das klingt zunächst nach viel Wohnraum - doch es sind letztlich weniger Plätze als noch Studenten auf der Warteliste stehen. Auf dieser sind freilich auch Bewerbungen aus früheren Semestern enthalten, die sich eigentlich schon erledigt haben. Wer endlich einen Platz im Wohnheim bekomme, lehne das Angebot deshalb häufig ab, weil er schon anderswo fündig geworden sei, heißt es vom Studentenwerk. Deshalb gehe es in Wahrheit schneller voran, als es den Anschein habe. Trotzdem aber muss sich, wer sich für ein Zimmer bewirbt, in den meisten Fällen auf Wartezeiten von drei oder mehr Semestern einstellen. Im Wohnheim an der Türkenstraße, in unmittelbarer Nähe sowohl zur TU als auch zur LMU, beträgt die Wartezeit laut Studentenwerk gar fünf Semester. Wer jetzt das erste Semester beginnt, bekäme demnach erst zum sechsten Semester einen Platz - also zum Ende seines Bachelor-Studiums.

Was die Lage zusätzlich verschärft, ist das Oktoberfest

Um ihren Studenten zu helfen, betreibt die TU eine eigene Wohnungsbörse; hier sind derzeit knapp 180 Angebote eingestellt. Im Internet erhalten angehende Studenten Tipps wie den, sich nicht im Uni-Viertel, sondern eher am Stadtrand umzusehen. Dort sei die Miete günstiger, und man sei mit öffentlichen Verkehrsmitteln trotzdem rasch in der Innenstadt. Um vertrauenswürdig zu wirken, könne man zur Wohnungsbesichtigung außerdem gleich Einkommensnachweise und vielleicht gar einen Lebenslauf mitbringen. Mit Hilfe von Postkarten fordert die TU seit Jahren Vermieter und auch Studenten, die ins Ausland gehen, dazu auf, ihr Zimmer für die Dauer ihrer Abwesenheit zu vermieten.

Die LMU setzt auf Beratung: Wenn internationale Studenten sich immatrikulieren, erhielten sie die Adressen von Studentenwerk wie auch von privaten Anbietern, erklärt Robin Eisenreich, der in der Uni als Teamleiter für die Immatrikulation und die Betreuung ausländischer Studenten zuständig ist. Bei akuten Notfällen vermittle die Uni die Studenten auch direkt ans Studentenwerk, wo es Notschlafplätze gibt.

Stadt, Freistaat und Studentenwerk versuchen es derweil wie in den vergangenen Jahren mit Appellen an die Großherzigkeit. "Helfen Sie den jungen Leuten bei ihrem Einstieg in einen neuen, wichtigen Lebensabschnitt und bieten Sie ihnen ein bezahlbares Dach über dem Kopf!", baten vergangene Woche Bayerns Bauminister Hans Reichhart, Wissenschaftsminister Bernd Sibler (beide CSU), Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Ursula Wurzer-Faßnacht, die Geschäftsführerin des Münchner Studentenwerks. Wer kann, solle günstig an Studierende vermieten oder den eigenen Mietern gestatten, zu niedrigen Preisen unterzuvermieten. Vermieter, die sich davon erweichen lassen, können sich ans Studentenwerk oder auch an den Seniorentreff Neuhausen wenden, der günstige Zimmer in der Wohnung älterer Münchner vermittelt; die Mieter müssen kleine Hilfen im Alltag übernehmen.

Die Universitäten berichten derweil, dass Studenten immer wieder frustriert ihre Koffer packen und die Stadt verlassen. Man erhebe hierzu keine Zahlen, sagt zum Beispiel Eisenreich von der LMU. Doch in die Sozialberatung der Uni kämen immer wieder ausländische Studenten, die wegen der hohen Lebenshaltungskosten und der hohen Mieten die Stadt und das Land wieder verlassen.

Was die Lage in München zusätzlich verschärft, ist das Oktoberfest: Ausgerechnet kurz vor Beginn des Wintersemesters empfängt die Stadt Millionen Gäste aus aller Welt, die ebenfalls Schlafplätze suchen - und so die Preise in Hostels und Unterkünften in die Höhe treiben, in denen sich Studenten vorübergehend einquartieren wollen. Hotelkosten verschlängen nicht selten einen Großteil des ohnehin knappen Budgets der Neuankömmlinge, heißt es bei der TU. In Webinaren, also Online-Seminaren, die sich vor allem an die wachsende Zahl der Studenten aus dem Ausland richten, rät die TU unter anderem, möglichst erst nach der Wiesn anzureisen - oder viel früher. Nur weiß man dann vielleicht noch nicht, ob man in München überhaupt einen Studienplatz hat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: