Kinderbetreuung:Im Uni-Kindergarten gehört das Glücklichsein zum Konzept

Kinderbetreuung: Bella und Caspar experimentieren auf dem Sommerfest des Uni-Kindergartens mit Wasserfarben.

Bella und Caspar experimentieren auf dem Sommerfest des Uni-Kindergartens mit Wasserfarben.

(Foto: Robert Haas)

Vor 50 Jahren gründeten Studenten den Uni-Kindergarten. Sie starteten mit Flugblättern und antiautoritären Erziehungsvorstellungen. Heute ist die Elterninitiative eine der ältesten und größten in München.

Von Kathrin Aldenhoff

Die Wilde Elke sieht an diesem Samstagnachmittag gar nicht so wild aus. Sie sitzt, die Krücken in den Händen, zwischen Müttern und Vätern und sieht der Rhythmikgruppe des Kindergartens bei ihrer Sommerfestaufführung zu. Die Rhythmiklehrerin hatte Elke vorher begrüßt, hatte den Kindern und Eltern erzählt: das Piratenschiff vorne im Garten, die Wilde Elke, die sei nach ihr benannt. Elke hatte die Hand gehoben und ein wenig skeptisch in die Runde gelächelt.

Es ist Sommerfest im Uni-Kindergarten, und wie bei vielen Sommerfesten gibt es Kuchen und Grillfleisch, Kaffee und Cuba Libre, Kinderschminken und Kinderdisco. Eine Frau am Grill ruft: "Leute, esst mehr vegetarisch", Kinder fahren auf Traktoren und Bobbycars durch den Garten.

In dem Garten im Leopoldpark, hinter der Fakultät für Psychologie und Pädagogik, geht es an diesem Tag aber um mehr als das. Es geht um die Idee, seine Kinder möglichst frei aufwachsen zu lassen und darum, diese Idee zu feiern. Vor 50 Jahren forderten Studenten der Uni München eine repressionsfreie Erziehung für ihre Kinder und den Klassenkampf, vor 50 Jahren gründeten sie den Uni-Kindergarten.

70 Kinder, fünf Gruppen, ein gelb gestrichenes flaches Gebäude und ein großer Garten mit alten Bäumen: Der Uni-Kindergarten ist eine der ältesten und größten Elterninitiativen in München, er wurde über die Jahre zur Institution mit Warteliste. Die Zeiten des Klassenkampfes sind vorbei, es ist ruhiger geworden. Heute geht es vor allem ums Glücklichsein, das steht seit 1998 sogar im Konzept.

Mehr als die Hälfte dieser 50 Jahre hat Elke Erber den Kindergarten als Leiterin geprägt. Nicht umsonst trägt das Piratenschiff ihren Namen. Also, Frau Erber: Waren Sie wild? "Für einige schon wahrscheinlich", sagt die 75-Jährige, und ein Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen. Sie hat sich auf eine Bierbank in den Schatten gesetzt, vor sich ein Glas Cuba Libre, und erzählt von damals, von 1978, als sie zum Uni-Kindergarten kam.

"Als ich hier anfing, war das alles Laissez-faire", erzählt Elke Erber. "Damit konnte ich nichts anfangen. Das ist für alle anstrengend, für Kinder, Erzieher und Eltern. Wir haben dann ein Programm gemacht." Ein fester Tagesablauf, Strukturen; Zeit zum Essen, Ausruhen und Vorlesen. Aber immer noch viel Zeit zum Spielen, zum Draußen sein, Toben und Klettern.

Man kennt sich von früher

Während sie erzählt, kommen zwei Frauen auf sie zu. Eine von ihnen ist Marjan Raasch, sie ist Erzieherin und leitet den Kindergarten heute. "Ich bin die Marjan", sagt sie und umarmt Elke. "Ich habe ein sehr schweres Erbe zu tragen", setzt sie hinterher und lächelt.

Es passiert Elke Erber häufiger, dass sie unvermittelt umarmt wird. Von Kindern, die in ihrer Gruppe waren, von Müttern, deren Kinder sie betreut hat. Manche rufen ihren Namen quer über die Straße. Als eine junge Frau mit dunklen Haaren vorbeikommt und sie anlächelt, da steht Elke Erber auf und drückt sie ganz fest. Ein Mädchen aus ihrer ersten Gruppe. "Die saß manchmal von morgens bis abends auf meinem Schoß", erinnert sie sich. Heute ist sie selbst Mutter und meldete ihre Kinder im Uni-Kindergarten an.

Kindererziehung als ein Weg, die Gesellschaft zu verändern, das war die Idee in den Anfängen des Kindergartens. Gegen Unfreiheit, gegen Unterdrückung und Unterdrücker, für Solidarität, die freie Entfaltung von Bedürfnissen und Fähigkeiten und für den Klassenkampf. Die Eltern waren ein wichtiger Teil davon, sollten an sich selbst und ihren unbewussten Konflikten arbeiten und an der politischen Willensbildung. Im Jahr 1969 hatte die Stadt München einen Antrag der Studentenschaft und 100 000 Mark für einen Kindergarten im Leopoldpark bewilligt, die Eltern sammelten 80 000 DM. So ging es los.

Es wurde viel diskutiert, über das Putzen, das Essen, Erziehungsfragen

Sechs Schautafeln im Garten und eine gedruckte Dokumentation erzählen die Geschichte des Uni-Kindergartens, erzählen von Flugblättern, Spendenaufrufen und heftigen Auseinandersetzungen um die politische und pädagogische Ausrichtung. "Früher hatten wir jede Woche Elternabend und Kinderplenum", erzählt Elke Erber. Es wurde viel diskutiert, über das Putzen, das Essen aus der Mensa, die großen Erziehungsfragen. Und immer wieder kämpfte der Kindergarten ums Überleben, starteten die Eltern Spendenaufrufe.

Von Anfang an halfen die Eltern mit, betreuten zum Beispiel in den Achtzigerjahren während der Teamsitzungen am Freitagnachmittag die Kinder, putzten die Räume. Putzen tun sie auch heute noch selbst. Und auch damals schon gab es mehr Anmeldungen als freie Plätze; nur jedes vierte Kind konnte in der Einrichtung aufgenommen werden.

"Was man mehr reinsteckt, kriegt man mehr wieder raus"

Julia Berkic hat sich zu Elke Erber an die Bierbank gesetzt. Sie kennen sich nicht, was sie verbindet, ist der Kindergarten. Die Kinder von Julia Berkic toben durch den Garten, die Große geht inzwischen zur Schule, der Kleine wird noch hier betreut. An das lange Aufnahmegespräch erinnert sich die Mutter gut. Daran, dass die Erzieherin wissen wollte, wie sie und ihr Mann sich kennengelernt haben - und was sie sich für ihre Kinder wünschen. "Ob es am Ende klappt, hängt davon ab, ob die Chemie stimmt und wie man sich einbringen will", sagt sie.

Zwölf Stunden soll jedes Elternteil im Jahr mithelfen - schreinern, die Homepage pflegen oder am Sommerfest Eis verkaufen. Es gibt Frühstücksdienste und Schneedienste, und wenn Erzieher krank sind, dann müssen die Eltern auch mal bei der Betreuung einspringen. Julia Berkic meint: "Was man mehr reinsteckt, kriegt man mehr wieder raus." Aus den drei Jahren, die Eltern, Kinder und Erzieher zusammen verbringen, entstünden oft Freundschaften fürs Leben. Elke Erber nickt.

Was ist denn nun das Besondere an diesem Kindergarten? Die kleinen Gruppen, sagt Elke Erber. Früher waren es zwölf, heute sind es 14 Kinder in einer Gruppe und mindestens zwei Betreuer. "Wir können uns mehr mit dem einzelnen Kind beschäftigen", sagt sie. Und der Austausch mit den Eltern. "Auch wenn der es anstrengend macht. Aber da werden Probleme besprochen und auf die Dauer tut das gut."

Auch Julia Berkic sind die kleinen Gruppen wichtig. Und der Erziehungsstil, den sie hier haben. "Hier weht noch der Geist von 68", sagt sie. "Die Kinder werden zu autonomen Persönlichkeiten erzogen, nicht zu Mitläufern. Nicht zu braven Kindern, sondern zu Kindern, die sich wehren können."

Einmal im Monat bringen die Kinder im Kinderplenum vor, was sie stört. Sie legen gemeinsam Regeln fest, die dann für alle gelten. Manchmal erzählt ein Kind aber auch einfach, dass es einen Handstand kann, ein anderes fügt hinzu, dass es zwei Salti kann und ein drittes Kind erzählt, dass es daheim sechs Babymäuse hat.

Elternabende finden inzwischen nicht mehr wöchentlich statt, sondern einmal im Monat. Und es geht auch nicht mehr um die ganz großen Erziehungsfragen. Sondern eher um die Entwicklung der Kinder, mit wem sie spielen und wie sie sich in der Gruppe verhalten. Und manchmal auch darum, ob es im Kindergarten Demeter-Joghurt gibt und ob Nüsse auf den Naschteller gehören oder nicht.

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